Munteres Morden für Fortgeschrittene
Wie Hofesh Shechter im Grand Théâtre das Repertoire um die Gleichgültigkeit und intensive Nähe erweitert
„Das Publikum erträgt im realen Leben schon mit einem Blick in die Nachrichten Erschreckenderes und hat seinen Selbstschutz, wenn es ihn wirklich braucht. Das Werk reflektiert lediglich darüber. Wir sind gewohnt, Tod und Gewalt zu sehen – ob im realen Leben oder in Filmen. Aus der einfachen Idee entsteht ein: ,Du lässt dich davon unterhalten. Du hast Spaß daran.’ Wenn wirklich ein Schockelement in meinen Bildern sein sollte, dann eher ein gesunder Schock zum Erwachen. Das hängt aber wieder vom Betrachter ab, ob das ihn letztlich stört oder nicht.“Das sagte Hofesh Shechter 2018 im Interview. Damals schon zeigte er in Luxemburg in der ihm und seiner Arbeit gewidmeten Fokuswoche die Choreografie „Show“, ein Stück, das er für das Nederlans Dans Theater 1 erschaffen hatte. Der zweite Akt, „Clowns“, war nun als eigenständige, überarbeitete Version am Donnerstagabend im Gastspiel der eigenen Kompanie wieder auf dem Plan des Theaters – und bekam noch eine neue Dimension.
Nicht nur in dem Bewusstsein, damit einen international gefeierten Coup gelandet zu haben, sondern ihn gleichzeitig mit der Arbeit „The Fix“extrem zu konterkarieren. Und genau das macht den Abend spannungsreich.
Viele Fans, gerade auch Vertreterinnen und Vertreter aus der Luxemburger Tanzszene, sind bei dem gefühlten Heimspiel für die Truppe und ihren Chef, der in Reihe 11 Platz genommen hat, dabei. Und schon beim Eintritt in den Saal wird man stutzig: Ohrenschutz wird angeboten, Nebelschwaden durchziehen den Saal. Das macht dann im ersten Teil das ungemein wechselvolle Licht-Design von Lee Curran und Richard Godin noch stärker. Und was wird mit großer Gleichgültigkeit auf der Bühne gemordet! Es wird erschossen, die Kehle durchschnitten, füsiliert, an die Wand gestellt, geköpft, erhängt, zerfetzt, gewürgt, erstochen, erdolcht, stumpfe Gewalt angewendet – wohlgemerkt alles nur dargestellt mit dem Körper.
Das Töten im Tanz
So ist das einerseits das Betonen von grässlich-makabaren Bewegungsarten, die Abstraktion von Szenen des Mordens (man denke nur an die Isis-Hinrichtungen) und deren Einbringen in den Tanz. Aber gleichzeitig verbindet Shechter dieses Bühnenmeucheln mit der galligen Ironie eines GeisterKarnevals, mit der spröden Zirkus-Eleganz des Tötens und der Unterhaltung daran – durchaus mit bewusster Verwirrung und emotionaler Ambivalenz. Darf man das? Soll man das? Was bringt das dem Zuschauer? Einerseits führt dieser mit redundanten Bässen und durchdringender Musik unterlegte Reigen fast in einen Rausch und Dauereinerlei. Und die Frage kommt auf: Soll das so weiter gehen? Schauen wir gleichgültig nicht nur auf der Bühne, sondern auch in aller Welt auf das Morden? Sein Tanztheater sei „zunächst nur ein Angebot, das sich in verschiedenen Farben darstellt. Darin findet sich Energie, dargestellte Frustration und auch viel Humor“, sagte Shechter 2018 – und das trifft auf „The Clowns“sicher zu.
In „The Fix“wird nach der Pause im zweiten Teil des Abends dann – ebenso ambivalent – zwischen berührenden Bildern menschlichen Kümmerns bis naivkitschiger Kuschelpädagogik Zusammenhalt von der Bühne gelehrt. Die durchgetaktete, brutale Alltagswelt, die sich zum Teil nur mit Schreien ertragen lässt, wird gebrochen. Auffangzonen werden geschaffen, aber auch die Flucht in Heilswelten. Der Gipfel darin: der Bruch der vierten Wand. Die Tänzerinnen und Tänzer gehen ins Publikum, umarmen die Menschen in den Reihen, sprechen ihnen Komplimente zu. Intensive Nähe, die einerseits wie eine Feier zum Ende der Pandemie und doch auch verstörend wirkt. Stehende Ovationen gab es für diese Kontraste.