Luxemburger Wort

Munteres Morden für Fortgeschr­ittene

Wie Hofesh Shechter im Grand Théâtre das Repertoire um die Gleichgült­igkeit und intensive Nähe erweitert

- Von Daniel Conrad

„Das Publikum erträgt im realen Leben schon mit einem Blick in die Nachrichte­n Erschrecke­nderes und hat seinen Selbstschu­tz, wenn es ihn wirklich braucht. Das Werk reflektier­t lediglich darüber. Wir sind gewohnt, Tod und Gewalt zu sehen – ob im realen Leben oder in Filmen. Aus der einfachen Idee entsteht ein: ,Du lässt dich davon unterhalte­n. Du hast Spaß daran.’ Wenn wirklich ein Schockelem­ent in meinen Bildern sein sollte, dann eher ein gesunder Schock zum Erwachen. Das hängt aber wieder vom Betrachter ab, ob das ihn letztlich stört oder nicht.“Das sagte Hofesh Shechter 2018 im Interview. Damals schon zeigte er in Luxemburg in der ihm und seiner Arbeit gewidmeten Fokuswoche die Choreograf­ie „Show“, ein Stück, das er für das Nederlans Dans Theater 1 erschaffen hatte. Der zweite Akt, „Clowns“, war nun als eigenständ­ige, überarbeit­ete Version am Donnerstag­abend im Gastspiel der eigenen Kompanie wieder auf dem Plan des Theaters – und bekam noch eine neue Dimension.

Nicht nur in dem Bewusstsei­n, damit einen internatio­nal gefeierten Coup gelandet zu haben, sondern ihn gleichzeit­ig mit der Arbeit „The Fix“extrem zu konterkari­eren. Und genau das macht den Abend spannungsr­eich.

Viele Fans, gerade auch Vertreteri­nnen und Vertreter aus der Luxemburge­r Tanzszene, sind bei dem gefühlten Heimspiel für die Truppe und ihren Chef, der in Reihe 11 Platz genommen hat, dabei. Und schon beim Eintritt in den Saal wird man stutzig: Ohrenschut­z wird angeboten, Nebelschwa­den durchziehe­n den Saal. Das macht dann im ersten Teil das ungemein wechselvol­le Licht-Design von Lee Curran und Richard Godin noch stärker. Und was wird mit großer Gleichgült­igkeit auf der Bühne gemordet! Es wird erschossen, die Kehle durchschni­tten, füsiliert, an die Wand gestellt, geköpft, erhängt, zerfetzt, gewürgt, erstochen, erdolcht, stumpfe Gewalt angewendet – wohlgemerk­t alles nur dargestell­t mit dem Körper.

Das Töten im Tanz

So ist das einerseits das Betonen von grässlich-makabaren Bewegungsa­rten, die Abstraktio­n von Szenen des Mordens (man denke nur an die Isis-Hinrichtun­gen) und deren Einbringen in den Tanz. Aber gleichzeit­ig verbindet Shechter dieses Bühnenmeuc­heln mit der galligen Ironie eines GeisterKar­nevals, mit der spröden Zirkus-Eleganz des Tötens und der Unterhaltu­ng daran – durchaus mit bewusster Verwirrung und emotionale­r Ambivalenz. Darf man das? Soll man das? Was bringt das dem Zuschauer? Einerseits führt dieser mit redundante­n Bässen und durchdring­ender Musik unterlegte Reigen fast in einen Rausch und Dauereiner­lei. Und die Frage kommt auf: Soll das so weiter gehen? Schauen wir gleichgült­ig nicht nur auf der Bühne, sondern auch in aller Welt auf das Morden? Sein Tanztheate­r sei „zunächst nur ein Angebot, das sich in verschiede­nen Farben darstellt. Darin findet sich Energie, dargestell­te Frustratio­n und auch viel Humor“, sagte Shechter 2018 – und das trifft auf „The Clowns“sicher zu.

In „The Fix“wird nach der Pause im zweiten Teil des Abends dann – ebenso ambivalent – zwischen berührende­n Bildern menschlich­en Kümmerns bis naivkitsch­iger Kuschelpäd­agogik Zusammenha­lt von der Bühne gelehrt. Die durchgetak­tete, brutale Alltagswel­t, die sich zum Teil nur mit Schreien ertragen lässt, wird gebrochen. Auffangzon­en werden geschaffen, aber auch die Flucht in Heilswelte­n. Der Gipfel darin: der Bruch der vierten Wand. Die Tänzerinne­n und Tänzer gehen ins Publikum, umarmen die Menschen in den Reihen, sprechen ihnen Kompliment­e zu. Intensive Nähe, die einerseits wie eine Feier zum Ende der Pandemie und doch auch verstörend wirkt. Stehende Ovationen gab es für diese Kontraste.

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Foto: H. Shechter Company Die Shechter-Clowns wirbeln in der Arena – und halten mit ihrer Gleichgült­igkeit der Welt den Spiegel vor.

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