Putin bläst zum verbalen Gegenangriff
Russland Präsident attackiert Europa und die USA auf dem Petersburger Wirtschaftsforum mit großen Worten
Wladimir Putin verspätet sich oft, zum Plenum des 25. Sankt Peterburger Wirtschaftsforum waren es satte hundert Minuten. Aber diesmal laut Kreml aus Fremdverschulden: Hacker hätten zwischenzeitlich das System zur Akkreditierung der Gäste lahmgelegt. Am Rednerpult ging Putin sofort zur Attacke über. Die alleinige Schuld an der kritischen Weltlage trage der Westen. „Die USA halten sich für Abgesandte Gottes auf der Erde und die eigenen Interessen für heilig.“Die „goldene Milliarde“in Nordamerika und Europa betrachte die Bürger aller anderen Länder als Menschen zweiter Klasse. Und weil Russland da nicht mitspiele, habe der Westen beispiellose Sanktionen vom Stapel gelassen.
Aber der „wirtschaftliche Blitzkrieg“gegen die russische Wirtschaft sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. „Die
Sanktionen gegen Russland waren hirn- und gedankenlos.“Russlands Jahreshaushalt sehe ein Plus von umgerechnet 50 Milliarden Euro vor, auch die Inflation von derzeit 16,7 Prozent wolle man auf vier Prozent zu senken. Dagegen habe sie in einigen europäischen Regionen schon 20 Prozent erreicht, der „Sanktionswahn“der EU könne in diesem Jahr 400 Milliarden Dollar kosten.
Grimmiger Optimismus
Schon klage man im Westen über eine „Putinsche Inflation“. „Es ist ja angenehm zu hören, dass wir so allmächtig sind.“Aber Schuld an der Krise im Westen sei nicht die „Kriegsspezialoperation“Russlands in der Ukraine, sondern die fatale eigene Wirtschaftspolitik, etwa das Einschalten der Gelddruckmaschinen.
In der Ukraine kämpften die russischen Truppen für das Recht ihres Landes auf „eine freie und sichere Entwicklung, gegen Pseudowerte, Entmenschlichung und Degradierung.“Und alle Ziele des Feldzuges würden erreicht. Laut Putin wird Russland sich niemals selbst isolieren, es sei auch nicht zu isolieren.
Rede gegen den Westen
Wie üblich versprach Putin den vaterländischen Unternehmern mehr Rechtssicherheit und weniger bürokratische Kontrollen, forderte sie ihm Gegenzug auf, ihr Geld in die heimische Wirtschaft zu investieren. Aber vor allem war Putins Auftritt eine Rede gegen den Westen. Der Auftritt eines Mannes, der zum Gegenangriff bläst; der in seiner eigenen Wirklichkeit lebt. „Wir werden unbedingt die kolossalen Möglichkeiten nutzen, die uns die Zeit eröffnet, wir werden noch stärker werden.“
Aber seine Rede war auch ein Auftritt zu den Nachrichten aus Europa über versiegende Gasströme
aus Russland. Frankreich meldete gestern, Gazprom habe die Gaslieferungen komplett eingestellt, auch in Italien kam nur die Hälfte der vertraglich zugesicherten Transporte aus Russland an.
Russland hat im kalten Krieg mit dem Westen offenbar die Gasfront eröffnet. Auch das Petersburger Wirtschaftsforum war dieses Jahr eine sehr russische Veranstaltung. Und auf dem Podium leistete der Kasache Kassym Schomart Tokajew als einziger ausländischer Staatschef Putin Gesellschaft. Das Forum teilte Putins grimmigen Optimismus indes nur begrenzt. Kremlnahe Experten wie Sberbankchef German Gref klagten über einen absurd starken Rubel und einen krankhaften Außenhandelsüberschuss. „Der Export ist Gift geworden“, so Gref. Man müsse etwas gegen die Sanktionen unternehmen, sonst erreiche man das Niveau von 2021 erst in zehn Jahren wieder.