Die Kunst des Möglichen
Am 11. Juni erschien in diesen Spalten ein „Kommentar“des Botschafters der Vereinigten Staaten „zu Luxemburgs NATOAusgaben“. Offensichtlich bezieht sich Botschafter Barrett dabei auf die am 28. März erfolgte Pressekonferenz zum nationalen Verteidigungsbeitrag.
Um den luxemburgischen Verteidigungsbeitrag auf sinnvolle Weise signifikant über das heutige Maß anzuheben – ungeachtet der Zwei–Prozent-Vorgabe der NATO nennt Botschafter Barrett ein Ziel von 1,28 Prozent des BIP was einer Verdoppelung des aktuellen Werts entspricht – wären erhebliche Herausforderungen anzugehen. Es ist unbestreitbar, dass die luxemburgische Verteidigung und insbesondere die Armee in ihrer heutigen Verfassung, bei unveränderten Vorzeichen, einer solchen Zielvorgabe nicht gewachsen wären. Beließe man es dabei, kann man nur zum Schluss kommen, ein solches Unterfangen sei „unrealistisch und undurchführbar“. Man akzeptierte also die Einschränkungen des aktuell Machbaren als Begrenzung politischen Handelns. Dies ist jedoch offensichtlich nicht das Politikverständnis von Botschafter Barrett.
Sollte Politik nicht eher dazu dienen, demokratisch legitimierte Ziele innerhalb eines definierten Zeitrahmens zu erreichen, indem sie sukzessive die Voraussetzungen zur Erfüllung der gesteckten Ziele schafft? Liegt es nicht an der Politik, sich die demokratische Legitimation solcher Ziele zu erarbeiten, hier als Teil einer verantwortungsvollen, weitsichtigen und nachhaltigen Sicherheitspolitik, geprägt von der besonderen Verantwortung als Gründungsmitglied von EU und NATO? So bedeutet Politik als Kunst des Möglichen, dass das, was heute (noch) nicht machbar scheint, morgen schon möglich sein kann, sofern der politische Gestaltungswille dazu besteht.
Die Frage, ob Luxemburg in der Lage ist, seinen Verteidigungsbeitrag auf nutzbringende Weise über die aktuell angestrebten 0,72 Prozent des BIP zu erhöhen, ist eigentlich müßig. Wir sind ein Land, dessen Politik gerne und mit Stolz darauf verweist, dass es internationale Bewertungsstandards, insbesondere finanzieller Art, systematisch erfüllt oder gar übererfüllt. Warum sollte solch ein Land ein Problem mit der Erfüllung finanzieller
Verteidigungsausgaben sind Teil des Wirtschaftskreislaufs und haben das Potenzial, zukunftsträchtige Entwicklungen im Hochtechnologiebereich zu fördern.
Kriterien in der Sicherheitspolitik haben?
Darüber, dass Luxemburg „make it happen“kann, drückt auch Botschafter Barrett seine Bewunderung aus, indem er einige Errungenschaften des „Luxemburger Modells“aufzählt, von denen sich die USA eine Scheibe abschneiden könnten. Wir sollten jedoch nicht vergessen, auf welchen Grundlagen unser Erfolg fußt: Der Nachkriegssicherheitsarchitektur mit der NATO als Rückgrat, sowie der Entwicklung eines europäischen Wirtschaftsraums, dem es heute obliegt, größere Verantwortung für seine eigene Sicherheit zu übernehmen.
Es bleiben also die Fragen zu Sinn und Zweck solcher Ausgaben und deren gesellschaftspolitischem Nutzen. Dass angemessene nationale Beiträge zur Erhaltung eines stabilen Sicherheitsumfelds sinnvoll sind, möchte ich hier einfach als gegeben betrachten. Welche konkreten Beiträge einen Sinn ergeben, dazu stellen sowohl die NATO wie auch die EU den Ländern Prozesse zur Verfügung, innerhalb derer sie sich abstimmen können, damit am Ende des Tages alle Fähigkeiten zur Verfügung stehen, die es etwa der NATO erlauben, ihren Aufgaben, so wie sie im „Strategischen Konzept“definiert sind, gerecht zu werden. Die Sinnfrage ist also eine des nationalen Bedarfs und des kollektiven Nutzens. Zweck der nationalen Beiträge soll die Bereitstellung militärisch nutzbarer Fähigkeiten sein.
Die „Was haben wir davon“Frage zum gesellschaftspolitischen Nutzen unterstellt, dass Verteidigungsausgaben per se vergeudete Mittel seien, da sie nationalen Kreisläufen entzogen würden. Dem ist nicht so. In diesem Sinne ist es auch unglücklich, von „NATO-Ausgaben“zu sprechen, handelt es sich doch überwiegend nicht um direkte Überweisungen, sondern um tatsächlich getätigte Ausgaben verschiedenster Art, die innerhalb eines Bewertungsverfahrens von der NATO als Verteidigungsausgaben anerkannt werden. Stark vereinfachend entsprechen diese Beträge zuerst einmal den Budgets der Armee und der „Direction de la Défense“im Außenministerium. Diese beinhalten Betriebskosten und Personalkosten aber auch getätigte Zahlungen aus den Mitteln des „Fonds d’équipement militaire“zur Finanzierung von Beschaffungsprojekten. Hinzu kommen Ausgaben anderer Regierungsbereiche, wie etwa die Rentenbezüge ehemaliger Armeeangehöriger oder Kosten für den für Auslandseinsätze zur Verfügung stehenden Teil der Polizei. Weiterhin werden Infrastrukturkosten angerechnet, sofern ein verteidigungspolitischer Mehrwert besteht, wie etwa für Gebäude der Armee, der NSPA oder des hiesigen Lagers der US-Luftwaffe, sowie für unseren „NATO-Flughafen“.
Die Mittel für Personal-, Betriebsund Infrastrukturkosten kommen nationalen Wirtschaftskreisläufen zugute.
In einer weiterhin wachsenden Wirtschaft müssen steigende Verteidigungsausgaben auch nicht zwangsläufig zu Einschnitten in anderen Bereichen führen. Die Frage ist dann eher eine der Zuteilung der Früchte des Wachstums. Verteidigungsausgaben sind Teil des Wirtschaftskreislaufs und haben das Potenzial, zukunftsträchtige Entwicklungen
im Hochtechnologiebereich zu fördern. Insofern ist der Einwand, was man sonst mit dem vielen Geld tun würde, diskutabel, da man über Geld spricht, das man noch nicht hat, losgelöst von jeglicher politischen Zielsetzung.
Die echte Herausforderung besteht also darin, zukünftigen Investitionen einen nationalen Fußabdruck zu verleihen, damit
Die echte Herausforderung besteht also darin, zukünftigen Investitionen einen nationalen Fußabdruck zu verleihen.
der nationalen Wirtschaft ein größtmöglicher Teil der Investitionsund Betriebskosten zugutekommt, inklusive der Schaffung von hoch qualifizierten Arbeitsplätzen. Da es sich um den Aufbau militärisch nutzbarer Fähigkeiten handelt, werden unsere Streitkräfte weiterhin in neue Aufgaben hereinwachsen müssen. Angesichts des erforderlichen Strukturwandels kann ich mich hier nur dem Optimismus von Botschafter Barrett anschließen, der hierzu positive Signale seitens unserer politischen Führung zu vernehmen glaubt.
Die langfristigen Auswirkungen der sicherheitspolitischen Zeitenwende, die nicht erst seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts am 24. Februar eingeleitet wurde, sind nicht zu unterschätzen. Dass unser stärkster Verbündeter uns gerade jetzt seine
Sicht der Dinge freundlich in Erinnerung ruft, sollten wir nicht leichtfertig in den Wind schlagen. Am 29. Juni wird die Allianz in Madrid ein neues „Strategisches Konzept“vorlegen, als Antwort auf die aktuelle und die zukünftig erwartete Bedrohungslage. Es wird von allen Alliierten erwartet, dass sie ihren angemessenen Beitrag bestätigen werden, damit die NATO bleibt, was sie ist: Die starke Verteidigungsallianz, die seit fast acht Jahrzehnten unsere Sicherheit gewährleistet. Luxemburg verfolgt den Ansatz, im Rahmen einer ganzheitlichen Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik die verfügbaren Mittel gemeinsam mit ausgewählten Partnern besser und effizienter einzusetzen. Die Bestätigung steigender Mittel vorausgesetzt, könnte Madrid zur Förderung dieses Ansatzes genutzt werden – Botschafter Barrett scheint Luxemburg durchaus zuzutrauen, hier einen Einfluss europäischer Prägung ausüben zu können. Also: „Let’s make it happen“.
Der Autor ist Colonel honoraire der Armee. Siehe auch: U.S. Ambassador Barrett’s OpEd on NATO spending; 13. 06. 2022; https://lu.usembassy.gov/u-s-ambassadorbarretts-op-ed-on-nato-spending/
François Bausch présente une analyse de l'effort de défense luxembourgeois; 28. 03. 2022; https://defense.gouvernement.lu/fr/actualites.gouvernement%2Bfr%2Bactualites%2Btoutes_actualites%2Bcommuniques%2B2022%2B03mars%2B28-effort-defense.html
Anmerkung der Redaktion: Die US-Botschaft hatte in der „Wort“-Ausgabe des 14. Juni aufgrund eines ihr unterlaufenen Übersetzungsfehlers um eine Richtigstellung gebeten: „Es gibt noch Raum für mehr Maßnahmen, zumindest im Umfang von 1,28 Prozent mehr“muss die Aussage des US-Botschafters demnach richtig lauten.