Luxemburger Wort

Die Kunst des Möglichen

- Von Patrick Fautsch *

Am 11. Juni erschien in diesen Spalten ein „Kommentar“des Botschafte­rs der Vereinigte­n Staaten „zu Luxemburgs NATOAusgab­en“. Offensicht­lich bezieht sich Botschafte­r Barrett dabei auf die am 28. März erfolgte Pressekonf­erenz zum nationalen Verteidigu­ngsbeitrag.

Um den luxemburgi­schen Verteidigu­ngsbeitrag auf sinnvolle Weise signifikan­t über das heutige Maß anzuheben – ungeachtet der Zwei–Prozent-Vorgabe der NATO nennt Botschafte­r Barrett ein Ziel von 1,28 Prozent des BIP was einer Verdoppelu­ng des aktuellen Werts entspricht – wären erhebliche Herausford­erungen anzugehen. Es ist unbestreit­bar, dass die luxemburgi­sche Verteidigu­ng und insbesonde­re die Armee in ihrer heutigen Verfassung, bei unveränder­ten Vorzeichen, einer solchen Zielvorgab­e nicht gewachsen wären. Beließe man es dabei, kann man nur zum Schluss kommen, ein solches Unterfange­n sei „unrealisti­sch und undurchfüh­rbar“. Man akzeptiert­e also die Einschränk­ungen des aktuell Machbaren als Begrenzung politische­n Handelns. Dies ist jedoch offensicht­lich nicht das Politikver­ständnis von Botschafte­r Barrett.

Sollte Politik nicht eher dazu dienen, demokratis­ch legitimier­te Ziele innerhalb eines definierte­n Zeitrahmen­s zu erreichen, indem sie sukzessive die Voraussetz­ungen zur Erfüllung der gesteckten Ziele schafft? Liegt es nicht an der Politik, sich die demokratis­che Legitimati­on solcher Ziele zu erarbeiten, hier als Teil einer verantwort­ungsvollen, weitsichti­gen und nachhaltig­en Sicherheit­spolitik, geprägt von der besonderen Verantwort­ung als Gründungsm­itglied von EU und NATO? So bedeutet Politik als Kunst des Möglichen, dass das, was heute (noch) nicht machbar scheint, morgen schon möglich sein kann, sofern der politische Gestaltung­swille dazu besteht.

Die Frage, ob Luxemburg in der Lage ist, seinen Verteidigu­ngsbeitrag auf nutzbringe­nde Weise über die aktuell angestrebt­en 0,72 Prozent des BIP zu erhöhen, ist eigentlich müßig. Wir sind ein Land, dessen Politik gerne und mit Stolz darauf verweist, dass es internatio­nale Bewertungs­standards, insbesonde­re finanziell­er Art, systematis­ch erfüllt oder gar übererfüll­t. Warum sollte solch ein Land ein Problem mit der Erfüllung finanziell­er

Verteidigu­ngsausgabe­n sind Teil des Wirtschaft­skreislauf­s und haben das Potenzial, zukunftstr­ächtige Entwicklun­gen im Hochtechno­logieberei­ch zu fördern.

Kriterien in der Sicherheit­spolitik haben?

Darüber, dass Luxemburg „make it happen“kann, drückt auch Botschafte­r Barrett seine Bewunderun­g aus, indem er einige Errungensc­haften des „Luxemburge­r Modells“aufzählt, von denen sich die USA eine Scheibe abschneide­n könnten. Wir sollten jedoch nicht vergessen, auf welchen Grundlagen unser Erfolg fußt: Der Nachkriegs­sicherheit­sarchitekt­ur mit der NATO als Rückgrat, sowie der Entwicklun­g eines europäisch­en Wirtschaft­sraums, dem es heute obliegt, größere Verantwort­ung für seine eigene Sicherheit zu übernehmen.

Es bleiben also die Fragen zu Sinn und Zweck solcher Ausgaben und deren gesellscha­ftspolitis­chem Nutzen. Dass angemessen­e nationale Beiträge zur Erhaltung eines stabilen Sicherheit­sumfelds sinnvoll sind, möchte ich hier einfach als gegeben betrachten. Welche konkreten Beiträge einen Sinn ergeben, dazu stellen sowohl die NATO wie auch die EU den Ländern Prozesse zur Verfügung, innerhalb derer sie sich abstimmen können, damit am Ende des Tages alle Fähigkeite­n zur Verfügung stehen, die es etwa der NATO erlauben, ihren Aufgaben, so wie sie im „Strategisc­hen Konzept“definiert sind, gerecht zu werden. Die Sinnfrage ist also eine des nationalen Bedarfs und des kollektive­n Nutzens. Zweck der nationalen Beiträge soll die Bereitstel­lung militärisc­h nutzbarer Fähigkeite­n sein.

Die „Was haben wir davon“Frage zum gesellscha­ftspolitis­chen Nutzen unterstell­t, dass Verteidigu­ngsausgabe­n per se vergeudete Mittel seien, da sie nationalen Kreisläufe­n entzogen würden. Dem ist nicht so. In diesem Sinne ist es auch unglücklic­h, von „NATO-Ausgaben“zu sprechen, handelt es sich doch überwiegen­d nicht um direkte Überweisun­gen, sondern um tatsächlic­h getätigte Ausgaben verschiede­nster Art, die innerhalb eines Bewertungs­verfahrens von der NATO als Verteidigu­ngsausgabe­n anerkannt werden. Stark vereinfach­end entspreche­n diese Beträge zuerst einmal den Budgets der Armee und der „Direction de la Défense“im Außenminis­terium. Diese beinhalten Betriebsko­sten und Personalko­sten aber auch getätigte Zahlungen aus den Mitteln des „Fonds d’équipement militaire“zur Finanzieru­ng von Beschaffun­gsprojekte­n. Hinzu kommen Ausgaben anderer Regierungs­bereiche, wie etwa die Rentenbezü­ge ehemaliger Armeeangeh­öriger oder Kosten für den für Auslandsei­nsätze zur Verfügung stehenden Teil der Polizei. Weiterhin werden Infrastruk­turkosten angerechne­t, sofern ein verteidigu­ngspolitis­cher Mehrwert besteht, wie etwa für Gebäude der Armee, der NSPA oder des hiesigen Lagers der US-Luftwaffe, sowie für unseren „NATO-Flughafen“.

Die Mittel für Personal-, Betriebsun­d Infrastruk­turkosten kommen nationalen Wirtschaft­skreisläuf­en zugute.

In einer weiterhin wachsenden Wirtschaft müssen steigende Verteidigu­ngsausgabe­n auch nicht zwangsläuf­ig zu Einschnitt­en in anderen Bereichen führen. Die Frage ist dann eher eine der Zuteilung der Früchte des Wachstums. Verteidigu­ngsausgabe­n sind Teil des Wirtschaft­skreislauf­s und haben das Potenzial, zukunftstr­ächtige Entwicklun­gen

im Hochtechno­logieberei­ch zu fördern. Insofern ist der Einwand, was man sonst mit dem vielen Geld tun würde, diskutabel, da man über Geld spricht, das man noch nicht hat, losgelöst von jeglicher politische­n Zielsetzun­g.

Die echte Herausford­erung besteht also darin, zukünftige­n Investitio­nen einen nationalen Fußabdruck zu verleihen, damit

Die echte Herausford­erung besteht also darin, zukünftige­n Investitio­nen einen nationalen Fußabdruck zu verleihen.

der nationalen Wirtschaft ein größtmögli­cher Teil der Investitio­nsund Betriebsko­sten zugutekomm­t, inklusive der Schaffung von hoch qualifizie­rten Arbeitsplä­tzen. Da es sich um den Aufbau militärisc­h nutzbarer Fähigkeite­n handelt, werden unsere Streitkräf­te weiterhin in neue Aufgaben hereinwach­sen müssen. Angesichts des erforderli­chen Strukturwa­ndels kann ich mich hier nur dem Optimismus von Botschafte­r Barrett anschließe­n, der hierzu positive Signale seitens unserer politische­n Führung zu vernehmen glaubt.

Die langfristi­gen Auswirkung­en der sicherheit­spolitisch­en Zeitenwend­e, die nicht erst seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts am 24. Februar eingeleite­t wurde, sind nicht zu unterschät­zen. Dass unser stärkster Verbündete­r uns gerade jetzt seine

Sicht der Dinge freundlich in Erinnerung ruft, sollten wir nicht leichtfert­ig in den Wind schlagen. Am 29. Juni wird die Allianz in Madrid ein neues „Strategisc­hes Konzept“vorlegen, als Antwort auf die aktuelle und die zukünftig erwartete Bedrohungs­lage. Es wird von allen Alliierten erwartet, dass sie ihren angemessen­en Beitrag bestätigen werden, damit die NATO bleibt, was sie ist: Die starke Verteidigu­ngsallianz, die seit fast acht Jahrzehnte­n unsere Sicherheit gewährleis­tet. Luxemburg verfolgt den Ansatz, im Rahmen einer ganzheitli­chen Außen-, Entwicklun­gs- und Sicherheit­spolitik die verfügbare­n Mittel gemeinsam mit ausgewählt­en Partnern besser und effiziente­r einzusetze­n. Die Bestätigun­g steigender Mittel vorausgese­tzt, könnte Madrid zur Förderung dieses Ansatzes genutzt werden – Botschafte­r Barrett scheint Luxemburg durchaus zuzutrauen, hier einen Einfluss europäisch­er Prägung ausüben zu können. Also: „Let’s make it happen“.

Der Autor ist Colonel honoraire der Armee. Siehe auch: U.S. Ambassador Barrett’s OpEd on NATO spending; 13. 06. 2022; https://lu.usembassy.gov/u-s-ambassador­barretts-op-ed-on-nato-spending/

François Bausch présente une analyse de l'effort de défense luxembourg­eois; 28. 03. 2022; https://defense.gouverneme­nt.lu/fr/actualites.gouverneme­nt%2Bfr%2Bactualit­es%2Btoutes_actualites%2Bcommuniq­ues%2B2022%2B03mars%2B28-effort-defense.html

Anmerkung der Redaktion: Die US-Botschaft hatte in der „Wort“-Ausgabe des 14. Juni aufgrund eines ihr unterlaufe­nen Übersetzun­gsfehlers um eine Richtigste­llung gebeten: „Es gibt noch Raum für mehr Maßnahmen, zumindest im Umfang von 1,28 Prozent mehr“muss die Aussage des US-Botschafte­rs demnach richtig lauten.

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Foto: Guy Jallay Luxemburg verfolge den Ansatz, im Rahmen einer ganzheitli­chen Außen-, Entwicklun­gs- und Sicherheit­spolitik die verfügbare­n Mittel gemeinsam mit ausgewählt­en Partnern besser und effiziente­r einzusetze­n, betont der Autor.

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