Energiestrategie zwischen Symbolpolitik und dem Prinzip Hoffnung?
In einem Artikel vom 25. Mai 2022 im „Luxemburger Wort“offenbart Energieminister Claude Turmes seine Visionen, um Luxemburgs Energieversorgung abzusichern und die Energiewende zu schaffen.
Zitat: „Am besten gegen etwaige Abhängigkeiten wappnen könne sich die Europäische Union, indem sie resolut auf die Karte von mehr erneuerbaren Energien, mehr Energieeffizienz und Energiesparmaßnahmen setze, ist sich der Grünen-Minister sicher“.
Und weiter: „Auch müsse sich jeder in der EU mittlerweile im Klaren sein, dass es politisch und moralisch ein No-Go ist, dass wir mit unseren Energiezahlungen die Kriegsmaschinerie von Putin finanzieren. Zudem bleibe Europa durch die sich daraus ergebende Preisgestaltung abhängig und erpressbar.“
Es ist natürlich gewusst, dass fossile Brennstoffe auf den Weltmärkten gehandelt werden. Positive Einflüsse auf den Konflikt in der Ukraine sind somit relativ ungewiss. Wir schaffen uns aber immerhin ein gutes politisches Gewissen, jedoch mit potenziell negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen in Europa.
Energieminister Turmes illustriert seine Ausführungen mit „Best-Practice“-Beispielen, so zum Beispiel die jüngste Vereinbarung zwischen Belgien, Deutschland, Dänemark und den Niederlanden, die „die Nordsee in einen riesigen grünen Strompark verwandeln soll“. Die hier langfristig vorgesehene installierte Windanlagenleistung von 150 Gigawatt entspricht laut dem Grünen-Minister der Produktionskapazität von 100 Atomkraftwerken. Luxemburg beteiligt sich auch am dänischen „Energy-Island“-Projekt, das laut Energieminister Turmes „Strom für zehn Millionen Haushalte erzeugen soll“.
Ein Vergleich, der hinkt
Angesichts der vermuteten Äquivalenz zwischen 150 GW Windanlagenleistung und 100 konventionellen Kraftwerken ist es doch sehr erstaunlich, dass zum Beispiel Deutschland trotz seiner weltweit höchsten installierten Windenergiedichte über die ganze Dauer der Energiewende hinweg die ursprüngliche Kraftwerksleistung von rund 100 Gigawatt im Netz beibehält. Tatsächlich macht es wenig Sinn, installierte Leistungen von regelbaren Kraftwerken mit nicht regelbaren Stromquellen zu vergleichen, da ein Stromnetz nur mit regelbaren Leistungen betrieben werden kann. Der per Gesetz verfügte Ausstieg aus der deutschen Kohle- und Nuklearkraft sollte dementsprechend nahtlos durch neue Gaskraftwerke ersetzt werden, hätte Putin dieser Strategie jetzt nicht einen politischen Strich durch die Rechnung gemacht.
Zu dem beschriebenen qualitativen Problem volatiler Stromquellen kommt auch noch zusätzlich ein quantitatives Problem, das semantisch aber geschickt verpackt wird. So entspricht die Stromproduktion der dänischen Windinsel, die laut Grünen-Minister „zehn Millionen Haushalte“versorgt, rein objektiv gesehen einem Anteil von etwa zwei Promille des europäischen Primärenergiebedarfs. Dafür müssten immerhin in Anbetracht aller Prozessverluste einige tausend Megawindanlagen errichtet werden.
Die gesamte deutsche Windenergie mit der weltweit höchsten Ausbaudichte lieferte laut aktuellen Angaben des Fraunhofer Instituts letztes Jahr 111,7 TWh, also ganze 3,3 Prozent der 3 387 TWh des letztjährigen deutschen Primärenergieverbrauchs (UBA). Zusammen mit den 49 TWh aus Photovoltaik waren es 4,7 Prozent.
Die Gefahr der Energieverknappung Zum Gelingen der Energiewende und Erreichen des 95–Prozent-Klimaziels bis zum Horizont 2050 bräuchte Deutschland laut der dena-Leitstudie „Integrierte Energiewende“jährlich bis zu 27 Millionen Tonnen wasserstoffbasierte Energieträger. Eine Herstellung mittels Wasserelektrolyse benötigt in Anbetracht der Prozessverluste (Power-to-Gas, Power-to-Fuel, Power-to-Ammonia ...) einer CO2-freien Stromproduktion in der Größenordnung von etwa 1 800 TWh und einer Elektrolyseleistung von einigen hundert Gigawatt. Die vom früheren deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) initiierte Wasserstoffstrategie sieht für 2040 eine Elektrolyseleistung von zehn Gigawatt vor. Die vermeintlich „größere Vielfalt der technisch verfügbaren Lösungen“(Zitat Turmes) scheitert hier offensichtlich an Größenordnungen.
Somit geht die dena-Studie verständlicherweise von einem langfristig notwendigen Importanteil für Wasserstoff von über 80 Prozent aus. Die gesamte europäische Windenergie lieferte indes letztes Jahr 368 TWh, die Photovoltaik 130 TWh, insgesamt also drei Prozent des europäischen Primärenergieverbrauchs von etwa 16 000 TWh. Die für 2030 vorgesehene Elektrolyseleistung der europäischen Wasserstoffstrategie beträgt 40 Gigawatt. Ein Hochskalieren der Zahlen auf die europäische Ebene zeigt auf, in welche Richtung diese Energiepolitik unweigerlich führt: zu Energieverknappung oder bestenfalls nahtlos in die nächste Importabhängigkeit.
Angesichts der marginalen europäischen Produktionsmengen läuft diese Energiepolitik zwangsläufig auf die vom Grünen-Minister angekündigten Energiesparmaßnahmen hinaus. So liegt der europäische Zielwert
des langfristigen Verbrauchs in etwa ein Drittel unter dem aktuellen Primärenergieverbrauch.
Der „Klima-Lockdown“
Zur Einhaltung des deutschen Zielwertes von 7 190 Petajoule müsste der letztjährige Verbrauch von 12 193 Petajoule sogar um 41 Prozent reduziert werden. Dies ist offensichtlich nicht nur mit Energieeffizienz zu erreichen, sondern darüber hinaus nur mit Energiesuffizienz, sprich einer grundlegenden Transformation und grundlegenden Änderungen in unserem Konsumverhalten. In dieser Energiewelt ist kein Platz mehr für ausladend positive Wachstumsprognosen, da radikal weniger Energie gleichbedeutend ist mit Einschnitten in Produktion und Logistik: ein „Klima-Lockdown“.
Wie steht es um die Umweltauswirkungen dieser Strategie? Laut Energiewende-Neusprech des Energieministers wird die Nordsee ja „in einen riesigen grünen Strompark verwandelt“. Tatsächlich führt diese Strategie zu einer zusätzlichen technischen Überformung bisher intakter Ökosysteme, sowohl zu Wasser wie zu Land.
Die Windbranche in Deutschland zum Beispiel drängt schon einige Zeit auf die Aushebelung des Artenschutzes mit dem Argument der Energieversorgung als Element der „nationalen Sicherheit“. Obwohl der exzessive Ausbau nichtregelbarer Stromquellen sowie der progressive Wegfall der Nuklearkraft Deutschland in eine hohe Abhängigkeit von russischem Gas geführt haben, macht ausgerechnet Putins Kriegspolitik dieses Argument jetzt wieder hoffähig. Ein neues Totschlagargument tat auch bitter Not, da sich jetzt in der Praxis herausstellt, dass ein hoher Zubau der Windenergie nicht zwangsläufig zu mehr Klimaschutz führt: Der deutsche Stromsektor liegt mit einer CO2Intensität von circa 400 g CO2/KWh im oberen europäischen Feld und somit eine ganze Größenordnung über den Klassenbesten wie Norwegen, Schweden oder Frankreich.
Weiteres Zitat des Energieministers: „Die Unabhängigkeit beginnt nicht erst bei der Energieerzeugung.“Und weiter: „Wenn wir in Europa mehr Sonnenenergie nutzen wollen, können wir dafür nicht von der Technologie aus Asien abhängig bleiben, sondern müssen diese Zukunftsindustrien wieder in Europa stärken.“
Wie wirkt sich dies in der Praxis aus? Lernkurven mit sich stetig reduzierenden Produktionskosten der letzten zwei Jahrzehnte basieren auf der enormen Produktivität eines quasi exklusiv fossilen Energiesystems, das zukünftig in Europa aber nicht mehr zur Verfügung stehen soll beziehungsweise wird. Zudem basieren die aktuellen Preise für Photovoltaik − aber auch in einem hohen Maße für Windanlagen − auf einer marktführenden asiatischen Produktion, vornehmlich aus China: Die vergangenen Preissenkungen resultieren also aus niedrigen Lohnkosten, niedrigen Energiekosten (hauptsächlich billiger Kohlestrom), überschaubaren Umweltkosten, sowie Kosten für Rohstoffe, die in China (noch) im Überfluss vorhanden sind.
Drohende Ressourcenverknappung Wie werden sich wohl die Produktionskosten künftig entwickeln bei sinkender Produktivität eines auslaufenden fossilen Modells, mit europäischen Lohnkosten, europäischen Energiekosten, europäischen Umweltkosten, sowie Kosten für importierte Rohstoffe aus China? Zudem liegt der Bedarf an Metallen und Mineralien für Solar- und Windanlagen
Langfristig stellt sich aber die Frage, welcher Industriezweig als letzter in Europa das Licht ausknipst beziehungsweise die Kerze ausbläst.
eine bis zwei Größenordnungen über dem Bedarf für konventionelle Kraftwerke. Wie wird sich eine zukünftige Ressourcenverknappung wohl auf die Produktionskosten regenerativer Energien auswirken?
Die Unabhängigkeit könnte entgegen der Meinung des luxemburgischen Energieministers sehr wohl bei der Energieerzeugung beginnen, vorausgesetzt man setzt nicht auf das falsche Pferd (unter anderem Frankreich hat dies verstanden). Auf jeden Fall endet sie bei der regenerativen Energieerzeugung, da wir durch den enormen Importbedarf von Rohstoffen zur Herstellung der dezentralen Energieanlagen sowie der damit einhergehenden Umstrukturierung des gesamten Systems nunmehr sehr erpressbar werden.
Kurzfristig wird es sicherlich in einzelnen Industriezweigen einige Nutznießer dieser Politik geben. Langfristig stellt sich aber die Frage, welcher Industriezweig als letzter in Europa das Licht ausknipst beziehungsweise die Kerze ausbläst.
Geht es hier wirklich um energetische Unabhängigkeit, sowie Klimaschutz, oder lediglich um reine industriepolitische Ziele, die wegen mangelnder Voraussicht Europa potenziell in eine nachhaltige Deindustrialisierung und Energiearmut führen?