Luxemburger Wort

Kein Aufruhr, keine Beleidigun­g

Nach dem Freispruch für Peter Freitag liegt dem „Luxemburge­r Wort“die Urteilsbeg­ründung vor

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Seit Beginn der Pandemie war Peter Freitag als radikaler Gegner der Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Coronapand­emie öffentlich in Erscheinun­g getreten. Ein Videobeitr­ag, den der 47-Jährige im Kontext der gewaltsame­n Ausschreit­ungen bei Corona-Demos im Dezember 2021 auf Facebook veröffentl­icht hatte, hatte dann die Staatsanwa­ltschaft auf den Plan gerufen.

Sie beschuldig­te Peter Freitag, der auch Mitorganis­ator von Coronademo­s ist, des Aufruhrs, sprich der Volksverhe­tzung, der Anschlagsd­rohung und der Beleidigun­g gegenüber Premiermin­ister Xavier Bettel und der Polizei. In einem aus den Ermittlung­en hervorgehe­nden Gerichtsve­rfahren wurde Freitag nun aber am Donnerstag freigespro­chen.

Die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung, die dem „Luxemburge­r Wort“am Freitag vorliegt, zeigt, warum die Richter der 18. Strafkamme­r in erster Instanz zu ihrer Entscheidu­ng gelangten.

Die Staatsanwa­ltschaft habe Freitag vorgeworfe­n, zu einer Mobilisier­ung bis zur Kapitulati­on der Regierung aufgerufen zu haben, zu einer aleatorisc­hen, nächtliche­n und tagaktiven Mobilmachu­ng, mit dem Ziel, die Stadt Luxemburg und die Weihnachts­märkte zu zerstören, halten die Richter fest. Für den Aufruf zu einem konzertier­ten und vorbereite­ten Aufstand gegen die etablierte Autorität sieht das Gesetz eine Haftstrafe von bis zu sechs Monaten und eine Geldbuße von bis zu 12 500 Euro vor.

Kein Aufruf zur Gewalt

Bei genauer Betrachtun­g des Wortlauts von Freitag gelangt das Gericht aber zur Schlussfol­gerung, dass der Beschuldig­te sich darauf beschränkt habe, vorangegan­gene Ereignisse zu kommentier­en und angekündig­te, verstärkte Sicherheit­smaßnahmen zu kritisiere­n. Er habe aber weder implizit noch explizit dazu aufgerufen, die Stadt Luxemburg und die Weihnachts­märkte zu zerstören.

Die Worte von Freitag seien sicherlich geeignet, Menschen, die mit der Regierungs­politik nicht einverstan­den sind, zu ermutigen, sich stärker zu mobilisier­en, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffe­n. Der Beschuldig­te beschränke sich jedoch auf den Aufruf zu Demonstrat­ionen durch Aktionen, die die Polizeiarb­eit erschweren. Dazu gehören etwa nächtliche Versammlun­gen oder sogenannte Schneckena­ktionen, bei denen

Staus auf öffentlich­en Straßen verursacht werden.

Freitag habe aber entgegen der Darstellun­g der Staatsanwa­ltschaft nicht zu gewalttäti­gen Demonstrat­ionen aufgerufen. Die vorgeworfe­ne Straftat könne somit nicht nachgewies­en werden. Mit der gleichen Argumentat­ion erübrige sich dann auch der Tatvorwurf der Anschlagsd­rohung.

Eine Frage der Würde

Und auch im dritten Anklagepun­kt hatte die Strafkamme­r Peter Freitag freigespro­chen. Ihm war von der Staatsanwa­ltschaft vorgeworfe­n worden, den Premiermin­ister als „Bëtschel“und das Polizeikor­ps als „Bande d'abrutis“(Bande von Idioten) bezeichnet zu haben. Die Polizei gebe zudem „einen Scheiß auf Demokratie“. Die Demokratie sei „in den Augen des Premiermin­isters nichts wert“. Dazu: „Uns ist scheißegal, was ihr wollt. Haut ab! Haut ab!“

Aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft erfüllt dies den Tatbestand des Outrage, der mit einer Haftstrafe von bis zu sechs Monaten und einer Geldstrafe von bis zu 3 000 Euro belangt wird. Es handelt sich dabei um eine Beleidigun­g oder Verleumdun­g, mit dem Ziel, die Würde einer Person herabzuset­zen. Der Outrage bezieht sich explizit auf Abgeordnet­e, Regierungs­mitglieder

sowie Verwaltung­sund Justizbeam­te. In ihrem Urteil erinnern die Richter daran, dass die Facebook-Veröffentl­ichung von Peter Freitag als eine Stellungna­hme zu damals kursierend­en Informatio­nen über die Verstärkun­g des Polizeiauf­gebots bei Coronademo­s handele – demnach eine Meinungsäu­ßerung.

Keine unerträgli­che Beleidigun­g

Xavier Bettel müsse als Premiermin­ister und somit eine der wichtigste­n politische­n Persönlich­keiten des Landes Kritik tolerieren, auch wenn sie heftig sei, befindet die Strafkamme­r. In einer demokratis­chen Gesellscha­ft sei eine Rücktritts­forderung gegen ein Regierungs­mitglied, selbst wenn sie mit beleidigen­den Worten wie „Hau ab!“einhergeht, nicht als Outrage anzusehen. Das Gleiche gelte für den Vorwurf, dass konkrete politische Entscheidu­ngen und konkrete verwaltung­spolizeili­che Maßnahmen die demokratis­chen Werte nicht honorieren würden.

Der Spitzname „Bëtschel“, der dem Premier von der Satirezeit­ung „Feierkrop“verliehen worden war und inzwischen weite Verbreitun­g in der Bevölkerun­g gefunden habe, sei nicht notwendige­rweise herabsetze­nd. Die „Bande d'abrutis“spreche hingegen klar für eine geringe Wertschätz­ung. Allerdings dürfe auch hierbei der Kontext einer besonders lebhaften Diskussion über die Regierungs­politik in Zusammenha­ng mit der Coronakris­e nicht aus dem Blick verloren werden.

Deshalb seien die verwendete­n Begriffe in ihrer Gesamtheit nicht als unerträgli­che Verletzung der Ehre und des Rufs der betreffend­en Personen einzustufe­n. Diese würden demnach nicht die Schwere aufweisen, die erforderli­ch ist, um strafrecht­lich verfolgbar­e Beleidigun­gen darzustell­en, so das Gericht. Eine Straftat sei demnach auch in diesem Sachverhal­t nicht gegeben.

 ?? Foto: Alain Piron/LW-Archiv ?? Peter Freitag (l.) und Jean-Marie Jacoby (r.) waren die Organisato­ren der Samstagsde­monstratio­nen gegen die Maßnahmen der Regierung gegen die Corona-Pandemie.
Foto: Alain Piron/LW-Archiv Peter Freitag (l.) und Jean-Marie Jacoby (r.) waren die Organisato­ren der Samstagsde­monstratio­nen gegen die Maßnahmen der Regierung gegen die Corona-Pandemie.

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