Wo Dante zu George-Michael-Hits tanzt
Mit der italienischen Produktion „Bang Bang Baby“machen Mafiaserien wieder Spaß
Erst ein frustrierter, krebskranker Chemielehrer, dann drei, sich abplackende Familienmütter, jetzt eine freche, italienische Schülerin: Fernsehserien schicken sympathisch-verzweifelte Normalos mit weißer Weste gerne auf den Weg der Untugend, anfänglich meist angetrieben durch tragische Verstrickung und lebensbedrohende Geldnot.
Das Erfolgsrezept besteht darin, Zuschauende an der umsichgreifenden, mit doppelbödigen Gags gespickten Kriminalisierung der und Dialekt, und wird als bunter 80er-Jahre-Cocktail mit morbidem Konfettiregen serviert – zum Glück.
Alte Fiat 500 auf der Straße, Dantes Göttliche in Alices Unterricht und ein Mafioso, der so hoffnungslos in die Musik von George Michael verliebt ist. Schön, dass „Careless Whisper“hier nicht nur einmal ertönt.
Als aber ein millionenschwerer Deal mangels abhandenkommenden Bestechungsgeldes schiefgeht, kippt die vermeintliche Idylle: Alices Killer-Omi greift selbst durch, legt nach 14 Jahren Trauerzeit sogar die schwarze Kittelschürze ab, und schüchtert spielerisch einen kinderschänderischen Priester im Beichtstuhl ein. Gelernt ist eben gelernt. Dabei ist das erst der Anfang.
Der nicht unflotten, aber doch auch vorhersehbaren Handlung kann man komplett folgen. Muss man aber nicht. Nebenbei lässt sich auch mal die George-MichaelPlaylist aufräumen. Hauptsache man ist vollständig dabei, wenn die 80er-Pop-Kultur-Traumbilder kommen.
Die changieren satt zwischen knallbunt und düster, und kolorieren mal Alices Teenagerfrust, mal ihre genommenen Entwicklungsstufen: Alice allein im bunten Konfettiregen in der Einsamkeit ihres engen Jugendzimmers, Alice im Wagen der bitterbösen Mafiosi im Angesicht an die rosa Riesen-Blase aus ihrer LieblingskaugummiWerbung. Solche Bilder sind es, die der Serie einen Charakter verleihen.
Auf den Spuren der „Mafia Princess“
Idee und Drehbuch stammen von Andrea Di Stefano. Der Römer spielte 1997 die Hauptrolle in „Der Prinz von Homburg“, in Marco Bellocchios gleichnamiger Literaturverfilmung, und setzte 2014 mit „Escobar: Paradise Lost“sein Regiedebüt mit Oscarpreisträger Benicio del Toro vor der Kamera um. In „Bang Bang Baby“stemmt die heute 18-jährige Arianna Becheroni als Alice die Hauptrolle und trägt die Verantwortung scheinbar mit Leichtigkeit. Zur Vorbereitung auf ihre Rolle hat sie Marisa Merico getroffen, die Tochter eines früheren Clanbosses, auf deren Autobiografie „Mafia Princess“die Serie lose beruht.
Zur visuellen und akustischen Freude der Zuseherinnen und Zuseher schafft das Zusammenspiel von Mafiageschichte und 80er-Jahre-Jugend aber auch richtig schön skurrile Bilder: Es ist schon ein Spaß, wenn die Knastprügelei in der Männerdusche mit Alices erstem Faustkampf gegen den Oberschulmobber gegengeschnitten wird und dazu kaltschnäuzig „Felicità“läuft, die Al-Bano-und-Romina-Power-Frohsinnsrakete schlechthin.
Mehr Ironie und mehr Realität gingen sicherlich, braucht es aber nicht zwangsläufig: Die leicht verdauliche Subversivität in den buntdüsteren Retrobildern, unterlegt mit Klassikern der 80er-Hitparade und Alices altklugen, durch ihre jüngsten Mafiaaktivitäten gewonnenen Lebensweisheiten, ist eines der schönsten seriellen Mafia-Vergnügen der vergangenen Fernsehjahre. Von ein paar zu unrealistischen, weil zu gewieften Tricks von Alice sowohl gegen Unterwelt wie auch gegen Polizei einmal abgesehen.
Ansonsten hat Alice das Zeug zur modernen Pop-Heldin, die in der Idee von Dantes Göttlicher in Unterwelten absteigt, und die sich, bei ihrem Mausern zur starken jungen Heranwachsenden in eben jener Unterwelt, wohl auch gut mit Eleven aus „Stranger Things“verstehen würde.
Alle zehn Folgen à rund 52 Minuten sind auf Amazon Prime Video abrufbar.