Hoffnungsvolles Trio
Kevin Geniets, Bob Jungels und Alex Kirsch können es zur 109. Tour de France schaffen
Der Countdown läuft. Vorfreude und Nervosität steigen langsam. In zehn Tagen beginnt in Kopenhagen die 109. Tour de France. Bevor sich der Tross der FrankreichRundfahrt auf die dreiwöchigenm Strapazen macht, interessiert die einheimischen Fans vor allem eines: Welcher der Luxemburger Profis wird es ins 176 Fahrer große Peloton schaffen? Eines ist (fast) sicher: Eine ähnlich trauriges Szenario wie 2019 und 2021 wird es nicht geben. Damals ging die Tour de France komplett ohne Luxemburger Beteiligung über die Bühne – etwas das in der Form lange Zeit unmöglich schien.
Insbesondere die Erinnerungen an vergangenes Jahr sind noch frisch: Bob Jungels (Ag2r) war eigentlich nominiert, musste dann jedoch förmlich in letzter Sekunde verletzt passen, während Jempy Drucker (Cofidis) und Alex Kirsch (Trek) aus unverständlichen Gründen auf der Zielgerade der Nominierung von ihren Verantwortlichen ignoriert wurden.
Das wird in diesem Jahr in der Art und Weise nicht passieren. Drucker hat seine Karriere bekanntlich beendet. Aber Jungels und Kirsch sollten den Sprung auf den Tour-de-France-Zug ihrer Mannschaften geschafft haben. Gewissheit werden erst die nächsten Tage bringen. Doch die beiden Luxemburger haben überzeugt und gewichtige Argumente für eine Berücksichtigung geliefert.
Ich bin erleichtert, wieder zu den Stärksten zu zählen und hoffe, dies in den nächsten Wochen zu bestätigen. Bob Jungels
Bei Jungels ist der Knoten bei der Tour de Suisse geplatzt. Dass der 29-Jährige diesen letzten Formtest vor der Frankreich-Rundfahrt als Sechster beenden würde, damit war im Vorfeld nicht zu rechnen. Vergangene Woche übertraf er auch die eigenen Erwartungen. „Es war eine fantastische Woche. Ich bin sehr glücklich, zurück zu sein. Ich bin erleichtert, wieder zu den Stärksten zu zählen und hoffe, dies in den nächsten Wochen zu bestätigen“, erzählt Jungels.
Als Unterstützung für O'Connor
Der ehemalige Sechste des Giro d'Italia fuhr in der Schweiz so stark, wie seit Jahren nicht mehr. 2015 beendete er die Tour de Suisse schon einmal als Sechster. Sein letztes Topergebnis datierte aus dem März 2020, als er auf einer Etappe von Paris-Nice Vierter wurde.
Anschließend folgten Monate der Enttäuschungen und Rückschläge. Bis schließlich die Diagnose Endofibrose eine Erklärung für die Stagnation in Jungels' Leistungsentwicklung lieferte. Vor fast genau einem Jahr musste er unters Messer und wurde an beiden Beinen operiert. Es folgte eine mehrmonatige Pause. 2022 wollte er mit neuer Motivation angreifen. Doch der Anschluss an die Weltspitze war kein Selbstläufer. Bei den Klassikern im Frühjahr war eine Steigerung zu erkennen, der ersehnte Ausreißer nach oben blieb jedoch aus.
Das dreiwöchige Trainingslage in der Sierra Nevada im Mai scheint schließlich den erhofften Effekt gehabt zu haben. Denn bei der Tour de Suisse war Jungels vom ersten Tag an hellwach und konkurrenzfähig: „Die Streckenführung war schwierig und es war sehr heiß. Dennoch lief es vom ersten Tag an gut. Ich bereue nur, am zweiten und vierten Tag ein wenig Zeit eingebüßt zu haben. Ich konnte mich zum Ende hin steigern“, so seine Bilanz.
Jungels' Comeback auf Topniveau kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Auch wenn sein sechster Platz von einigen coronabedingten Ausfällen der Konkurrenz begünstigt wurde, ist nur schwer vorstellbar, dass die Team-Verantwortlichen um Vincent Lavenu seine Leistungsexplosion ignorieren. Als Kapitän des Teams Ag2rCitroën wird der Vorjahresvierte Ben O'Connor (AUS) agieren. Ihm zur Seite sollten Greg van Avermaet (B), Oliver Naesen (B), Benoît Cosnefroy (F) und Aurélien Paret-Peintre (F) stehen. Die weiteren Plätze könnten an Geoffrey Bouchard (F), Clément Champoussin (F) und eben Jungels gehen. Der würde sich riesig freuen. Für den
Luxemburger wäre es die vierte Teilnahme am größten und wichtigsten Radrennen: 2015 belegte er Rang 27, 2018 wurde er Elfter und 2020 klassierte er sich an Position 43.
Einige Plätze schon belegt
Tour-de-France-Erfahrung besitzt Kirsch noch keine. Das möchte der 30-Jährige am 1. Juli ändern. Die Form passt. Kirsch war zwar nicht bei den beiden klassischen Vorbereitungsrennen Critérium du Dauphiné
und Tour de Suisse am Start, er hat sich jedoch auch nicht geschont. Zusammen mit Mads Pedersen (DK), auf den Trek-Segafredo in Frankreich setzt, brillierte er bei der Belgien-Rundfahrt und zuvor in Norwegen. Dazwischen feilte er in Andorra, wo er seit knapp einem Jahr lebt, an der körperlichen Verfassung.
Kirsch ist bereit. Er braucht sich nichts vorzuwerfen. Er fährt eine gute Saison und hat die in ihn gesetzten Erwartungen als tadelloser
Bei Bob Jungels ist der Knoten geplatzt. Helfer und Anfahrer – unter anderem bei den Klassikern – erfüllt. Die Nicht-Berücksichtigung für die Tour de France wäre eine Enttäuschung. Ex-Weltmeister Pedersen würde sich über die Nominierung seines Kumpels freuen. Das trifft wohl ebenfalls auf die bereits nominierten Giulio Ciccone (I), Bauke Mollema (NL) und Jasper Stuyven (B) zu.
2015 standen mit Laurent Didier, Ben Gastauer und Jungels letztmals drei Luxemburger am Start der Tour de France: Dieses Szenario könnte sich 2022 wiederholen. Kevin Geniets (Groupama) steht ganz dicht vor seiner persönlichen Premiere. Schon im Winter hatte der 25-Jährige die Tour-Teilnahme als eines seiner Saisonziele ausgegeben. In der ersten Saisonhälfte hat er richtig abgeliefert. Der aktuelle Landesmeister war der Stärkste aller Luxemburger Radprofis. Sein Name steht auf der erweiterten Tour-deFrance-Liste. Fünf Namen sind beim Team Groupama-FDJ schon bekannt: David Gaudu (F), Stefan Küng (CH), Valentin Madouas (F), Thibaut Pinot (F) und Michael Storer (AUS). Geniets würde nur zu gerne sein Debüt geben. Letzte Zweifel sollte er mit einer tadellosen Vorstellung beim Critérium du Dauphiné beiseite geräumt haben. Hat das auch Teamchef Marc Madiot überzeugt?
Luxemburgs Radsportfans müssen sich noch ein wenig in Geduld üben. Die Zuversicht überwiegt. Mindestens ein Landsmann sollte aber beim Grand Départ in Kopenhagen dabei sein.