Luxemburger Wort

Betonen, was verbindet

- Von Roland Arens

Nach zwei Jahren Corona-Pause kann Luxemburg in diesem Jahr wieder einen normalen Nationalfe­iertag begehen. Esch empfängt die erbgroßher­zogliche Familie, es gibt erneut ein großes Feuerwerk und den Fackelzug, den Empfang in der Philharmon­ie und das Te Deum in der Kathedrale.

Möglich wurde diese Rückkehr zur Beinahe-Normalität durch sinkende Infektions­zahlen, obwohl immer mit einem erneuten Anstieg der Krankheits­fälle zu rechnen ist. Die Arbeit der Gesundheit­sbehörden und die Mitarbeit der Bevölkerun­g haben ihre Früchte getragen. Krankenpfl­eger und Ärzte haben während der Pandemie Heroisches geleistet. Das Land steht tief in ihrer Schuld.

Doch Corona hinterläss­t auch einige tiefe Gräben in der Luxemburge­r Gesellscha­ft. Die zum Teil bitteren Diskussion­en um Masken und Impfpflich­t – von den sozialen Netzwerken aggressiv aufgeladen – sind noch in frischer Erinnerung. Hinzu kommt ein wachsendes Gefühl von Ungerechti­gkeit, wie unsere Politmonit­or-Umfrage vom Juni zeigt.

Vor diesem Hintergrun­d kommt ein Fest wie der Nationalfe­iertag wie gerufen. Es gibt kaum eine wertvoller­e Erfahrung für ein Land und seine Bewohner, als einmal im Jahr kollektiv die gesellscha­ftlichen Errungensc­haften zu würdigen und auf eine gemeinsame Zukunft anzustoßen. Ein solches sinnstifte­ndes Erlebnis ist umso bedeutende­r, je vielfältig­er – diverser – eine Gesellscha­ft ist. Denn ein nationaler Feiertag lenkt den Blick aller Beteiligte­n auf das, was sie verbindet, und macht es leichter, Unterschie­de respektvol­l anzuerkenn­en.

Eine diverse Demokratie, so schreibt der deutsch-amerikanis­che Politologe Yasha Mounk, müsse eine Gesellscha­ft zum Ziel haben, in der so viele Menschen wie möglich das Gefühl haben, gemeinsam ein sinnerfüll­tes Leben zu führen. Eine solche „zuversicht­liche Vision der Zukunft“ist ein radikaler Gegenentwu­rf zu einer Gesellscha­ft, die eine Gruppe von Bürgern gegenüber anderen bevorteilt oder manche vom gemeinscha­ftlichen Leben ausgrenzt. Ein positiver Ansatz, der auf Solidaritä­t und Toleranz setzt, ist die Antithese zu jenen dystopisch­en Gesellscha­ftsmodelle­n, die derzeit weltweit Aufwind zu haben scheinen und deren Macht darauf begründet ist, Teile der Bevölkerun­g gegeneinan­der auszuspiel­en, ob aus ethnischen oder ideologisc­hen Gründen. In welche Abgründe dieses Denken führen kann, lässt sich in Frankreich, den USA und anderen Staaten ablesen.

Den Aufbau einer diversen Gesellscha­ft, in der alle Bürger gleiche Rechte und Chancen haben, bezeichnet Mounk als „das große Experiment“. Eine Garantie auf das Erreichen dieses Ziels gibt es nicht, aber jeder einzelne, nicht nur Politik und Zivilgesel­lschaft, muss seinen Teil dazu beitragen, dass es gelingt. Das kann etwa ein Schulfest sein, bei dem Schüler Spenden für die Ukraine sammeln. Aber auch das Bekenntnis einer politische­n Partei zur Vielfalt der Gesellscha­ft und in den eigenen Reihen ist ein starkes Signal. Der Nationalfe­iertag sollte uns alle daran erinnern, dass es sich lohnt, sich für ein aufgeschlo­ssenes und gerechtes Luxemburg einzusetze­n.

Je vielfältig­er eine Gesellscha­ft, desto wichtiger ein nationaler Feiertag.

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