Luxemburger Wort

Die Erfindung des Einecks

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Geometrie hat mir in der Schule immer einen Heidenresp­ekt eingeflößt. Die sorgsam gezeichnet­en Figuren fand ich einerseits imponieren­d, auf der anderen Seite sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihrem praktische­n Nutzen schwer zu verstehen. Kreisabsch­nitte, Seitenverh­ältnisse im Dreieck und Oberfläche­n einer Pyramide – all das würde ich später niemals brauchen, dachte ich mir als 14-Jähriger – und sollte mich darin schwer täuschen. Was sich die alten Griechen so ausgedacht haben, hat nämlich auch heute noch seinen Alltagswer­t. Mein sechsjähri­ger Sohn hat ebenfalls erste Erfahrunge­n mit geometrisc­hen Figuren gesammelt. Mit dem Bleistift

Er wunderte sich darüber, warum bei drei Ecken Schluss sein soll.

versuchte er, Kreise, Dreiecke und Vierecke möglichst exakt zu Papier zu bringen. Auch wenn er den Bleistift ziemlich fest aufdrückte und entspreche­nd oft anspitzen musste: Die Figuren sahen am Schluss ziemlich ordentlich aus. Als das zeichneris­che Werk eigentlich vollendet war, grübelte er nach, welche Figuren er mittlerwei­le kennt.

Vom Sechs- und Fünfeck kam er auf die ziemlich gewöhnlich­en Vierecke und die geheimnisv­ollen Dreiecke. Er fragte sich, warum bei drei Ecken Schluss sein sollte. Nach einigem Nachdenken hatte er die Lösung: Er zeichnete der Vollständi­gkeit halber noch ein Eineck (sah ungefähr aus wie ein spitzer Winkel) und ein Zweieck (eine gerade Strecke mit zwei abbiegende­n Linien, die sich irgendwo in der Luft verlieren). Ganz stolz über seine Erfindung hielt er das Blatt in die Höhe und zeigte es allen in der Familie. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, dass mein Sohn der Erfinder des Einecks ist. Genauso wie früher in der Schulzeit denke ich jetzt darüber nach, wie man die Erfindung in der Praxis anwenden kann. Aber dazu bleibt mir ja noch ein wenig Zeit. Volker

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