Das ist der Gipfel
Wie am Fuß des Wettersteins und anderswo nichts mehr normal ist, wenn die Weltpolitik einfällt
Nein, Garmisch hat keinen Hafen. Auch Partenkirchen nicht – und erst recht nicht Elmau. Für Olaf Scholz – der, obwohl geboren in Osnabrück, Hamburg seine Heimat nennt – ein Traum. Die Garmischer und die Partenkirchener aber und viele in den Dörfern rundum – das berühmte Oberammergau gehört dazu – zweifeln gerade wieder, ob ihr malerisches Alpenpanorama wirklich in jedem Fall von Vorteil ist.
Die Welt kennt es, seit sich dort vor sieben Jahren Barack Obama auf eine drastisch überdimensionierte Holzbank fläzte – mit Blick auf bilderbuchgrüne Almwiese vor nebelumwölktem Gebirgszug. Einzig Angela Merkel stand etwas im Weg – auch weil die deutsche Kanzlerin ihre knallrot beblazerten Arme exakt so weit ausbreitete wie der US-Präsident die seinen. „Unfassbares Glück für den Fotografen“befand später der, dem der Schnappschuss gelang.
Auch für Merkel war ihr zweiter G7-Gipfel erfreulich; wobei: Eigentlich war es ihr erster. Denn 2007, in Heiligendamm, tagte die „Gruppe der Sieben“zu acht. An der Ostsee lächelte auch Wladimir Putin die Kanzlerin an; Russland war 1998 in den exklusiven Kreis aufgenommen worden, 2014 wurde es wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim wieder hinausgeworfen. Für Merkel zahlte sich der Wechsel von der See in die Berge auch deshalb aus, weil es rund ums Schloss Elmau viel weniger Randale gab als acht Jahre zuvor beim Luxushotel in der Weißen Stadt am Meer.
Auch jetzt, weitere sieben Jahre später, behauptet die bayerische Staatsregierung gern, der Gipfel von 2015 sei der friedlichste aller Zeiten gewesen. Man kann das schlecht überprüfen. Aber sicher ist: Der Superlativ ist – mindestens auch – als Spitze gegen Hamburg gedacht, wo zwei Jahre später das G20-Treffen in Randale und Krawallen eskalierte. Auch weil 30 000 Polizisten zwar den Bürgermeister namens Olaf Scholz und seine Gäste samt Entourage perfekt schützten – nicht aber die Stadt und ihre Menschen.
Das ist das Prinzip solcher Treffen: Den Preis für die Sicherheit der Gipfler – zahlen die Einheimischen. Und nicht bloß den finanziellen. Für diesmal hat das bayerische Innenministerium vergangenen Dezember 166 Millionen Euro veranschlagt – davon allein 147 für die Polizei. Dabei ist der eigentliche Tagungsort – das 1916 als Fluchtort für zugleich Natur-, Philosophie-, Religions- und Kultursehnsüchtige, inzwischen zum „Luxury Spa Retreat&Cultural Hideaway“avancierte Schloss Elmau – das Ideal jedes Sicherheitsexperten: zugänglich allein über eine schmale Mautstraße und ein paar Wanderwege. Richtung Tirol erhebt sich die Wettersteinwand fast 2 500 Meter hoch und hält alle Unerwünschten fern – den Rest besorgen die 16 Kilometer Zaun, die die Polizei zum zweiten Mal durch den Bergwald gezogen hat, in vier Kilometern Abstand zum Schloss und selbstverständlich übermannshoch. Bis hinunter an Italiens Grenze herrscht Flugverbot – und auf dem Weg vom Münchner Airport zum Schloss, „Protokollstrecke“genannt, 140 Kilometer lang, ist „eine mittlere fünfstellige Zahl“Kanaldeckel versiegelt worden. Wie viele genau – ist geheim.
Bekannt dagegen, dass Joe Biden und Emmanuel Macron, Mario Draghi und Boris Johnson, Justin Trudeau und Fumio Kishida, so es nicht drascht und stürmt und blitzt, keinen Meter Asphalt überhaupt nur sehen werden – weil sie in Hubschraubern direkt zum
Schloss einschweben. Samt Gattinnen – soweit dabei. Bislang heißt es, dass Jill Biden und Draghis Ehefrau Maria Serenella Cappello fern bleiben.
So verpassen die beiden Nordic Walking mit Christian Neureuther, Ex-Skirennläufer und Ehemann von Doppel-Olympiasiegerin Rosi Mittermaier, außerdem einen Ausflug auf den höchsten deutschen Berg, die Zugspitze, und ein paar andere Zeitvertreibe. Dabei sein wird indes Britta Ernst – und so werden die Deutschen zum ersten Mal, seit Olaf Scholz Kanzler ist, ihre Kanzlergattin in Aktion sehen. Normalerweise hat Ernst als Kultusministerin von Brandenburg eigene Termine genug.
Raubal, du Drecksau
Daheim bleiben dafür, zwangsweise, 7 750 Schülerinnen und Schüler – weil alle 37 Schulen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen gipfelgeschlossen sind. Hat das Ministerium in München verfügt. Ausnahme nur für ein paar hundert Jugendliche, die Abschlussprüfungen schreiben.
Und nicht sehr viel mehr Demonstranten dürfen ins einst wegen der Olympischen Winterspiele 1936 zwangsvereinigte Garmisch-Partenkirchen. Einen Protestzug mit 1 000 Teilnehmern hat das zuständige Landratsamt genehmigt, einen Sternmarsch Richtung abgeriegeltes Schloss – und ein Protestcamp auf der Wiese von Bernhard Raubal an der Loisach. Dem haben 2015, als er sein Land auch schon Gipfel-Gegnern verpachtete, Gipfel-Fans an die Scheune geschmiert: Raubal, du Drecksau.
Womit man wieder beim Preis der Gipfelei ist. Der Frieden im Tal ist nicht nur an den drei Tagen gestört. Und der in der Welt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch am Dienstagabend nicht gerettet. Weiß noch irgendwer, was in Hamburg beschlossen wurde – oder in Elmau Nummer 1? In Erinnerung bleiben die Bilder; weshalb diesmal auf dem offiziellen Presseprogramm 14 Termine für Fotografen stehen – und exakt einer für Journalistinnen und Journalisten, die schreiben und senden. Unter anderem, dass Olaf Scholz vor G20 fand, so ein Polittreffen sei ja auch nichts anderes als der jährliche Hafengeburtstag.
Das war der Gipfel.