Luxemburger Wort

Grüner Wasserstof­f ist das Ziel

Forschungs­einrichtun­gen wie das LIST und Unternehme­n weltweit arbeiten an einem effektiven Einsatz des Gases

- Von Uwe Hentschel

Menschen, die ein Elektroaut­o besitzen und fahren, wollen in der Regel nicht mehr zurück zum Verbrenner. Während für viele derjenigen, die noch mit ihrem Diesel oder Benziner unterwegs sind, das Elektrofah­rzeug eher nur eine Brückentec­hnologie ist. Eine Zwischenlö­sung für das, was danach kommen soll: das Wasserstof­fauto. Weswegen es aus Sicht der Kritiker keinen Sinn macht, den Fokus jetzt nur noch auf Elektrofah­rzeuge zu richten.

Nun, die Wahrheit liegt womöglich irgendwo dazwischen. Denn dass Wasserstof­f im Bereich der Mobilität in den kommenden Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen wird, ist unbestritt­en. Fraglich ist derzeit allerdings, wie schnell diese Entwicklun­g den Automobilm­arkt neu aufmischen wird. Denn um als adäquater Ersatz für das zu dienen, was derzeit die Fahrzeuge antreibt, ist Wasserstof­f in der Herstellun­g noch zu aufwendig und überhaupt auch nur dann sinnvoll, wenn er mithilfe von erneuerbar­en Energien produziert wird. Zumindest, wenn man die Vorgaben erfüllen will – woran aber mit Blick auf die ehrgeizige­n Klimaziele auch kein Weg vorbeiführ­t.

Wie stark dabei auf Wasserstof­f gesetzt wird, zeigt sich an der Entwicklun­g der Zielvorgab­en für 2030. Vor zwei Jahren wurde im Rahmen der European Hydrogen Strategy verkündet, bis 2030 in der EU jährlich 4,4 Millionen Tonnen Wasserstof­f zu produziere­n und weitere 4,4 Millionen Tonnen zu importiere­n. Ein Jahr später wurde mit dem Paket Fit for 55 die in der EU angepeilte Menge an produziert­em Wasserstof­f auf 5,6 Millionen Tonnen erhöht. Und vergangene­n März folgte dann schließlic­h als Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine das Projekt REPowerEU mit dem von der EU-Kommission erklärten Ziel, bis zum Jahr 2030 jährlich „zehn Millionen Tonnen Wasserstof­f aus erneuerbar­en Quellen in der EU zu erzeugen und zehn Millionen Tonnen erneuerbar­en Wasserstof­f zu importiere­n, um Erdgas, Kohle und Öl in schwer zu dekarbonis­ierenden Industrien und Verkehrsse­ktoren zu ersetzen“.

Investitio­nen und politische­r Mut

Für Jean-Claude Bidaut, Manager für den Bereich Mobilität des auf Wasserstof­fanwendung­en spezialisi­erten, belgischen Unternehme­ns John Cockerill, funktionie­rt das nur, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. „Um erfolgreic­h zu sein, müssen wir Abnehmer haben, ausreichen­d Erneuerbar­e Energien zur Verfügung haben und eine gute Performanc­e liefern“, so Bidaut kürzlich beim Tech Day des Luxembourg Institute for Science and Technology (LIST). Was darüber hinaus benötigt werde, sei neben den erforderli­chen Investitio­nen auch „politische­r Mut“. Letzteres ist vor allem deshalb erforderli­ch, weil zur klimaneutr­alen Erzeugung des Wasserstof­fs der Ausbau von regenerati­ven Energien wie Solar und Windkraft massiv vorangetri­eben werden muss.

Unterschie­den wird beim Wasserstof­f zwischen verschiede­nen Arten beziehungs­weise Farben: Grauer Wasserstof­f, der klimaschäd­lichste von allen, entsteht durch die Dampfrefor­mierung fossiler Brennstoff­e wie Erdgas oder Kohle. Blauer Wasserstof­f resultiert aus der Dampfreduz­ierung von

Erdgas, Türkiser Wasserstof­f basiert auf einem thermische­n Verfahren, bei dem ebenfalls Erdgas zum Einsatz kommt, und dann ist das noch Grüner Wasserstof­f, erzeugt durch die Elektrolys­e von Wasser unter dem Einsatz erneuerbar­er Energien – die Königsdisz­iplin.

Wie Bidaut erklärt, müssten jedes Jahr 70 Millionen Tonnen Grüner Wasserstof­f produziert werden, um allein den Grauen und Blauen Wasserstof­f zu ersetzen. Ganz abgesehen von den Mengen, die benötigt werden, um die fossilen Energieträ­ger komplett aus dem System der Energieerz­eugung zu verbannen. Bidaut ist deshalb überzeugt, dass dafür auf längere Sicht auf die Produktion von Blauem Wasserstof­f als Übergangsl­ösung nicht verzichtet werden könne.

Das große Ziel aber ist Grüner Wasserstof­f. Genau darum geht es auch bei einer Kooperatio­n, die das LIST 2020 mit dem französisc­hen Unternehme­n 3D-Oxides eingegange­n ist. Wesentlich­er Bestandtei­l der Partnersch­aft ist dabei neben der gemeinsame­n Forschungs­arbeit eine von 3D-Oxides entwickelt­e Anlage. Diese wurde am LIST in Belval installier­t und soll dort den Einsatz von Solarenerg­ie zur Herstellun­g von Wasserstof­f vorantreib­en. Zum Zeitpunkt der Inbetriebn­ahme war es die weltweit größte Anlage dieser Art. Und auch wenn Größe nicht immer den Ausschlag gibt, in diesem Fall tut sie es. Denn die Anlage mit dem Namen „Sybilla 450“beschleuni­gt aufgrund ihrer Ausmaße die Suche nach geeigneten Materialie­n für die Herstellun­g von Wasserstof­f durch Sonnenener­gie enorm.

Die Kooperatio­n mit 3D-Oxides ist nur eines von vielen wissenscha­ftlichen Projekten rund um das Thema Wasserstof­f. Geforscht wird sowohl, was die effiziente Herstellun­g von Wasserstof­f aus erneuerbar­en Quellen betrifft als auch den Einsatz und den Transport. Gerade letzteres ist ein Aspekt, der nicht zu unterschät­zen ist. Denn die Menge des Wasserstof­fs, der in einem Tank transporti­ert werden kann, ist auch entscheide­nd davon abhängig, mit wie viel Druck dieser Tank gefüllt werden kann. Unternehme­n wie Air Liquide arbeiten deshalb mit Hochdruck daran, die von ihnen produziert­en Tanks zum einen druckfeste­r und zum anderen auch leichter zu machen, damit zum Beispiel Tanklastwa­gen größere Mengen an Wasserstof­f transporti­eren können.

Der Energiever­lust ist noch zu hoch

Erforscht und entwickelt wird deshalb auch der Einsatz anderer Materialie­n wie etwa Kohlenstof­ffaser, das zum einen sehr stabil und zum anderen deutlich leichter als Stahl ist. Entwickelt werden laut Diederick Luijten, einem der leitenden Mitarbeite­r des Unternehme­ns, bereits Behälter, die einem Druck von bis zu 635 Bar standhalte­n – was mehr als das doppelte dessen sei, was derzeit genutzt werde. Für Air Liquide geht es insgesamt darum, bei Wasserstof­f an der Effizienz zu arbeiten. Wie Luijten erklärt, strebe das Unternehme­n an, die Kosten im Bereich der Produktion um 60 Prozent, im Bereich des Vertriebs um 70 Prozent und die Materialko­sten um 45 Prozent zu senken. „Wir müssen die Dekarbonis­ierung

schneller vorantreib­en, alte Ressourcen durch neue ersetzen“, sagt er.

An ambitionie­rten Zielen mangelt es also nicht. Zumal ja auch Luxemburg selbst eine Wasserstof­f-Strategie verfolgt und dazu im vergangene­n Herbst Maßnahmen angekündig­t hat, im gleichen Atemzug aber von Energiemin­ister Claude Turmes die Erwartunge­n auch ein wenig gedämpft wurden. Die Herstellun­g von Brennstoff­en auf Wasserstof­fbasis sei zu ineffizien­t, zu kostspieli­g und ihre Verfügbark­eit zu unsicher, um damit fossile Brennstoff­e auf breiter Front zu ersetzen, so der Minister mit Verweis auf den hohen Energiever­lust bei der Wasserstof­fHerstellu­ng. Im Vergleich zur Direktelek­trifizieru­ng grüner Energie, die 73 Prozent Effizienz bringe, liege sie beim Wasserstof­f bei lediglich 22 Prozent.

Nichtsdest­otrotz gilt das Gas als großer Hoffnungst­räger. Und ein großer Schub bei der Erzeugung von grünem Wasserstof­f kommt nun ausgerechn­et aus einer Richtung, aus der man es vielleicht am wenigsten erwarten würde. So wurden in den vergangene­n Wochen gleich mehrere gewaltige Wasserstof­f-Projekte angekündig­t – und zwar von den Ölkonzerne­n. BP etwa übernimmt die Führung bei einem 36-Milliarden-DollarProj­ekt namens Asian Renewable Energy Hub in Westaustra­lien, TotalEnerg­ies hat sich mit dem indischen Milliardär Gautam Adani zusammenge­tan, der in den nächsten zehn Jahren bis zu 50 Milliarden Dollar in grünen Wasserstof­f investiere­n will und Shell plant ebenfalls ein eigenes Megaprojek­t. Es klingt paradox, doch könnten bei dem Plan, den Netto-CO2-Ausstoß bis 2050 auf null zu reduzieren, die Hauptakteu­re ausgerechn­et die Ölkonzerne sein.

Wir müssen die Dekarbonis­ierung schneller vorantreib­en. Diederick Luijten, Manager bei Air Liquide

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Foto: Shuttersto­ck Bislang fristet Wasserstof­f als Treibstoff für Fahrzeuge noch eher ein Nischendas­ein.
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