„Das gute Zusammenspiel aller Akteure hat geholfen“
Der Finanzplatz meisterte die Pandemie, so Claude Marx, Leiter der Luxemburger Finanzaufsicht CSSF. Nun steht er vor neuen Herausforderungen
Erst musste der Finanzplatz Pandemie und Lockdowns überstehen, dann Lieferketten-Probleme und eine hohe Inflation infolge eines Krieges in Europa. Gleichzeitig will sich der Luxemburger Finanzstandort zum Vorreiter für nachhaltige Finanzen mausern. Viel zu tun für die Akteure in der Branche – und auch für die Finanzaufsicht CSSF („Commission de Surveillance du Secteur Financier“), sagt deren Chef Claude Marx.
Claude Marx, die Pandemie dauerte länger als gedacht. Wie wirkte sich diese ungewöhnliche Zeit auf den Finanzplatz aus?
Der Finanzplatz ist allgemein gut durch die Pandemie gekommen. Bei den Banken haben wir heute mit rund 970 Milliarden Euro höhere Bilanzen als vor der Krise mit 821 Milliarden, was auch daran liegt, dass die Bankkunden viel Liquidität bei den Instituten „parkten“. Kreditausfälle gab es praktisch keine. Wir sind hier mir 0,5 Prozent Kreditausfälle auf dem Niveau wie vor der Pandemie. Es gibt hier also tatsächlich nichts Besorgniserregendes. Die Banken kamen gut durch die Krise, wobei auch all die Instrumente der Regierung, der Europäischen Zentralbank und das Kredit-Rückzahlungsmoratorium halfen, die Krise gut zu bewältigen.
Bei den Investmentfonds war zuerst Nervosität, vereinzelt hatte es bei Fonds ganz am Anfang der Pandemie auch Liquiditätsengpässe gegeben. Diese konnten aber aufgrund der zahlreichen Maßnahmen unter anderem von Regierungen, Zentralbanken und Regulierern schnell überwunden werden. All das hatte sich schnell arrangiert. Ging das Gesamtvermögen der Fonds im ersten Quartal 2020 zuerst um zwölf Prozent zurück, lag es im Dezember 2021 24 Prozent über dem Vorkrisenniveau im Dezember 2019. Das gute Zusammenspiel aller Akteure hat dabei geholfen, dass der Finanzplatz unbeschadet durch die Krise kam.
Wie ist die Situation aktuell, jetzt, wo noch immer Lieferkettenprobleme bestehen und wir Krieg in Europa haben und eine Rekordinflation im Euroraum?
Das ist tatsächlich eine Stresssituation für die Wirtschaft. Die Energieversorgung und Preisentwicklung ist ein großes Thema für die Unternehmen und zeigt sich auch darin, dass das verwaltete Vermögen der Investmentfonds im ersten Quartal 2022 um fünf Prozent zurückging. Man sieht also einen Effekt, obwohl der sich im Moment noch in Grenzen hält. Jetzt hängt alles davon ab, wie sich das auf längere Sicht entwickelt.
Wird die Zinserhöhung die Inflation wieder drücken?
Das ist zweischneidig: Wir hatten jetzt Rekordniedrigzinsen für eine Rekordzeit, was auch zu Rekordniedrigzinserträgen bei den Banken führte. Steigen die Zinsen, werden Kredite teurer, aber auch Anlagevermögen der Bankkunden profitieren davon wie auch die Verzinsung der Staatspapiere, die Banken in ihrem Portfolio haben. Dass Kredite teurer werden kann aber durchaus auch dazu führen, dass dann weniger Kredite vergeben werden.
Hat der Niedrigzins zu einer besorgniserregenden Verschuldung geführt?
Das wird genau beobachtet, zum Beispiel vom Comité des Risques Systémiques in Luxemburg und auf europäischer Ebene vom European Systemic Risk Board.
Bei Hauskrediten wurde eine Maßnahme ergriffen, wie groß der Anteil von Eigenkapital und geliehenem Kapital sein muss, auch gibt es Maßnahmen, indem genau festgelegt wird, wie groß die Kreditsumme im Vergleich zum Jahreslohn sein darf. Zweimal im Jahr führen wir als CSSF zudem Prüfungen zu dem Thema bei den Hauptkreditgebern für Immobilienkrediten durch.
Der Bankenverband moniert hohe Kosten und Regulationen, die den Standort Luxemburg gefährden würden. Wie sehen Sie das?
Die Diskussion gibt es ja schon lange, dass die Regulierungskosten zu hoch wären. Nach der Finanzkrise 2007 wurden die Vorschriften schärfer, aber damit wurden die Banken zugleich auch solider, und das kommt jedem zugute und ist wichtig für einen stabilen Finanzplatz. Regularien kosten, sie tragen aber auch zum Vertrauen der Kunden bei. Und Vertrauen ist im Finanzgeschäft alles. Diese Kosten spielen übrigens keine Rolle dabei, ob eine Bank überlebensfähig ist oder nicht – das liegt allein am Geschäftsmodell und Effizienz der Bank. Der Unterschied ist also: Macht die Bank heute weniger Gewinn, weil sie viel investiert, oder verdient sie heute nur deswegen wenig, weil ihr Geschäftsmodell nicht gut ist? Alle Regularien einzuhalten kostet die Banken in Luxemburg nach Schätzungen rund 380 Millionen Euro – von Gesamtkosten im Bankenwesen von etwa 7,6 Milliarden Euro. Die ComplianceKosten sind also nur etwa fünf Prozent der Gesamtkosten. Das
Regelwerk nach der Finanzkrise hat dafür gesorgt, dass die Banken heute mehr Kapital haben und besser präpariert dastehen, um neue Krisen wie die völlig unvorbereitet über uns gekommene Pandemie zu bestehen.
Kleine Banken aber haben es schwer, diese Kosten zu tragen. Das heißt, Größe ist wichtig im Bankgeschäft?
Es stimmt, dass die Kosten der Regularien kleine Banken mehr zu schaffen machen als große Banken, weil ihre Rentabilität darunter leidet. Insgesamt liegt die Rentabilität der Luxemburger Banken bei sechs Prozent. Wichtig ist auch das Verhältnis von Einnahmen und Kosten, das in Luxemburg bei 60 Prozent liegt. Ein Euro Einnahmen stehen damit 60 Cent Ausgaben gegenüber. Bei Großbanken im Euroraum beträgt diese Zahl 64 Prozent; Luxemburg ist also hier ein bisschen besser, obwohl Luxemburg bekanntermaßen kein billiger Standort ist.
Vor einem Jahr hatten wir 126 Banken, jetzt sind es 122. Aber man muss dazu sagen, dass wir zu viele Banken in Europa hatten oder noch haben, und wir hatten auch zu viele in Luxemburg. Die Konsolidierung des Bankenplatzes geht weiter, und dabei spielen natürlich auch die Kosten eine Rolle. Weniger Banken heißt aber nicht, dass das Geschäft weniger geworden ist. Auch die Zahl der Mitarbeiter ist mit rund 26 000 stabil.
Regularien kosten, sie tragen aber auch zum Vertrauen der Kunden bei.
Momentan ist Größe wichtig. Aber durch die Digitalisierung könnte es sein, dass es bald wieder viele spezialisierte Onlinebanken gibt?
Die Kosten steigen schneller als die Einnahmen. Eine Maßnahme, dem entgegenzuwirken, ist, sich zu digitalisieren. Einige nutzen digitale Instrumente wie Roboadvice, andere modernisieren ihr Backoffice durch eine Blockchain, andere über ein digitales Interface zur Kommunikation mit den Kunden, andere investieren in die Digitalisierung ihres Reporting… und mache machen alles zusammen. Wir als Aufsichtsbehörde schreiben nicht vor, welche Maßnahmen ein Institut ergreifen muss, aber wer die Digitalisierung verpasst, der wird morgen nicht mehr da sein, und wer Green Finance verpasst, wird morgen ebenfalls nicht mehr da sein. Dabei wird sich auch das Anforderungsprofil der Mitarbeiter ändern, da künftig zum Beispiel Datenanalysten viel gebraucht werden, die es heute kaum gibt. Das sind einige der Herausforderungen, vor denen wir nun stehen.
Ist mit dem Brexit ein neuer Konkurrent entstanden, indem dort Vorschriften laxer gehandhabt werden?
Die EU ist abhängig vom Finanzplatz London, aber London
ist noch abhängiger vom europäischen Binnenmarkt. Meiner Meinung nach wird Großbritannien nie viel abweichen von den europäischen Standards, da ein Minimum an Äquivalenz bestehen muss, damit die Briten mit Europa und Europa mit den Briten Geschäfte machen können und enge Geschäftsbeziehungen haben. In allen Gesprächen mit meinen Amtskollegen in London und auch mit Wirtschaftsminister John
Glen und Unternehmensvertretern ist mir glaubhaft versichert worden, dass dort nicht die Absicht besteht, auf Dumping durch wenig Regulierung zu setzen. Das würde auch nicht funktionieren. Wir arbeiten ganz eng mit dem Finanzplatz London, und das soll auch so weitergehen.
Die Sanktionen gegen russische Unternehmen und Staatsbürger beschäftigt die CSSF?
Sehr. Damit die Sanktionen wirken, müssen sie umgesetzt werden, und unsere Aufgabe ist es, das zu kontrollieren. Das Außenministerium ist zuständig für die Koordination mit den anderen Mitgliedsstaaten der EU, das Finanzministerium bekommt Meldungen über eingefrorene Vermögen und beantwortet Fragen zu den Sanktionen, und wir sind zuständig für die Kontrolle der Finanzdienstleister, dass die Angelegenheit richtig gehandhabt wird. Wir klären die Finanzdienstleister zu den Sanktionen auf, sind in Kontakt mit all den Instituten, die Vermögen einfrieren und arbeiten gegebenenfalls auch mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen, wenn wir Zweifel darüber haben, dass die Sanktionen richtig umgesetzt werden.
Wir haben auch einige Kontrollen vor Ort durchgeführt bei Akteuren, wo unserer Einschätzung nach das Risiko am größten war, dass die Sanktionen nicht richtig umgesetzt werden, aber auch da haben wir bislang keine großen
Probleme festgestellt. Die Umsetzung der Sanktionen funktioniert. Die Exponiertheit der Banken in Luxemburg hinsichtlich Russland ist allerdings relativ gering mit einem Engagement von vier Milliarden auf der Aktivseite. In Luxemburg haben wir mit East West United Bank und Gazprombank International zwei Banken mit russischen Besitzern sowie einen russischen Vermögensverwalter. Würden diese in Schieflage geraten, wäre der Einlagensicherungsfonds in der Lage, das abzufangen. Wären sie alle drei nicht mehr funktionsfähig, wäre das trotzdem kein systemisches Risiko.
Sanktionen sind dabei nur ein Teil der Russland-Problematik. Was die Finanzstabilität angeht, bin ich vor allem beunruhigt über Cyberattacken. Während der zwölf Monate vor der russischen Invasion in der Ukraine erlebte das Land eine ganze Reihe schwerer Cyberattacken. Wir selbst haben in den letzten Monaten zwar keine große Attacke erlebt, aber viele kleine, und wir wissen, dass mit den kleinen Attacken oft nur getestet wird, wie robust die Angegriffenen sind und welche Abwehrmechanismen sie haben. Die Akteure im Finanzsektor haben wir deswegen aufgerufen, hier größte Sorgfalt walten zu lassen, weil unserer Meinung nach das in Bezug auf den Krieg die größte Gefahr für sie darstellt.
Wie entwickelt sich „Green Finance“? Damit wollte der Finanzplatz Luxemburg ja punkten. Die einen sagen, es gehe voran, andere kritisieren, das meiste sei nur „Greenwashing“.
Mit der Aussage, wir würden hier in Luxemburg Greenwashing betreiben, bin ich absolut nicht einverstanden.
Grüne Finanzen sind ein Ziel des EU-„Green Deal“der sehr wichtig und zugleich sehr ambitioniert ist. Man kann dieses Regelwerk nicht mit anderen vergleichen, denn dabei geht es um nicht weniger als darum, den Planeten zu retten. Das einzigartige Ziel besteht darin, die Klimaziele von Paris einzuhalten. All die Regelwerke und Maßnahmen, nachhaltig zu investieren, wurden dabei in einer Rekordzeit geschrieben – auch weil die Zieldaten 2030, 2035, 2050 ja praktisch schon morgen sind. Noch nie wurden Richtlinien in geltende Regeln so schnell umgesetzt. Natürlich fehlen noch viele Detailregeln, auch fehlen noch Daten, um alles korrekt umsetzen zu können. Ich rechne damit, dass dieses Jahr noch viele Detailregeln kommen, und dann haben die Finanzdienstleister nur wenig Zeit, sie umzusetzen und wir als CSSF werden die korrekte Umsetzung prüfen.
Es ist einfach zu kritisieren, dass bei ESG nicht alles perfekt ist, dabei muss man auch bedenken, dass es politisch nicht bei allen Punkten Einigkeit besteht, zum Beispiel, ob Atomkraft nachhaltig ist oder nicht. Wir als CSSF erwarten von den Akteuren, dass sie sich so gut es möglich ist, darauf vorbereiten. Das ist eine Herausforderung für die Branche und auch für uns als Aufsichtsbehörde; auch wir schulen unsere Mitarbeiter. Auch wir brauchen die nötigen Datenbanken. Für Banken bedeutet das, wer diesen Zug verpasst, der riskiert, morgen nicht mehr zu existieren.
Green Finance bedeutet dabei für Banken, aber auch für die CSSFMitarbeiter viel Lernbedarf?
Tatsächlich besteht hier noch für alle großer Lernbedarf. Es gibt einen großen Hype um grüne Finanzprodukte, aber nur wenige wissen, was das wirklich bedeutet, sowohl auf der Konsumentenseite wie auch bona fide auf der Branchenseite. Wir wollen dieses Jahr darum auch eine Kampagne starten, um dem breiten Publikum zu erläutern, was nachhaltige Finanzprodukte sind und auf was man dabei achten muss.
Ehe wir in Europa und in Luxemburg die Menschen dazu bekommen, nachhaltig zu investieren, müssen wir sie aber auch erst dazu bekommen, überhaupt zu investieren. Dafür ist Vertrauen in die Finanzmärkte und den Kontrollen des Finanzmarktes sehr wichtig. Das ist ja auch eines der Ziele der europäischen Kapitalmarktunion: dass sich kleinere Unternehmen Kapital nicht nur durch Kredite, sondern auf dem Kapitalmarkt besorgen.
Damit die Sanktionen wirken, müssen sie umgesetzt werden, und unsere Aufgabe ist es, das zu kontrollieren.