Luxemburger Wort

Hacker bleiben mitunter 200 Tage lang unentdeckt

Nach dem Finanzsekt­or wird Cybersiche­rheit auch für andere Branchen immer wichtiger, sagt Pascal Steichen vom „Security Made in Lëtzebuerg“

- Interview: Marco Meng

Geldgeschä­fte und Bankdienst­leistungen finden zunehmend „im Netz“statt. Internetkr­iminelle sehen darin ihre Chance. Viel zu tun für das Cybersiche­rheitsinfr­astrukture­n wie das von Pascal Steichen geleitete SMILE (Security Made in Lëtzebuerg).

Patrick Steichen, stellen Sie seit der Invasion von Russland in der Ukraine mehr Vorfälle fest?

Eigentlich nicht. Weder wir noch die anderen Cybersecur­itystruktu­ren, mit denen wir gesprochen haben, stellen seitdem eine flagrante Zunahme fest.

Man hört allerdings auch sonst relativ wenig in Bezug auf Cyberattac­ken, vor allem, was den Finanzplat­z betrifft. Ist es so ruhig?

Nein, ruhig ist es überhaupt nicht. Aber über Cyberangri­ffe spricht man normalerwe­ise nicht so gerne. Es ist definitiv nicht still, regelmäßig finden Angriffe statt, manchmal gibt es auch Vorfälle, die die Sicherheit von Systemen gefährden. Im Bankensekt­or, aber auch anderswo. Wenn man jetzt spezifisch den Bankensekt­or beleuchten möchte, dann ist es so, dass man in den letzten sechs, sieben Jahren feststelle­n konnte, dass Banken oder Finanzstru­kturen selbst immer weniger direktes Ziel von Cyberattac­ken sind, sondern immer mehr die Kunden im Fokus der Netzkrimin­ellen stehen, deren Systeme meistens nicht so gut geschützt sind. Der Zugriff auf Transaktio­nen oder Paymentsys­teme wird immer schwierige­r, woran die Banken selbst ja fortlaufen­d arbeiten, da sie natürlich auch ihre Reputation schützen wollen. Auch von den verschiede­nen Regierunge­n oder aus der EU-Kommission sind eine ganze Reihe von Direktiven erlassen worden, die das Thema Cybersiche­rheit betreffen und die Finanzinst­itute zwingen, das Thema ernsthaft zu behandeln.

Darum sind mittlerwei­le Bankkunden viel stärker zum Ziel von Cyberkrimi­nellen geworden als die Banken selbst. Aber auch die Banken werden nach wie vor regelmäßig attackiert. Es gibt große Strukturen, die viel investiere­n und kleinere Institute, die weniger Möglichkei­ten haben, und da gibt es natürlich immer wieder auch Schwachste­llen. Keiner ist wirklich zu 100 Prozent geschützt.

Was sind denn die häufigsten Vorfälle?

Die zwei häufigsten Angriffsme­thoden sind einerseits das gut bekannte Phishing, wo über eine E-Mail versucht wird, an Passwörter zu gelangen, um Zugriff auf ein System zu bekommen. Und über diesen Weg dann auf Bankkonten oder Nutzerkont­en von Payment-Plattforme­n zu erhalten, zum Beispiel bei Paypal oder bei E-Commerce-Plattforme­n wie

Amazon. Den Kriminelle­n geht es darum, irgendwie an Geld zu kommen.

Die zweite oft genutzte Methode oder Tendenz, die wir feststelle­n, ist Ransomware. Also nicht der direkte Zugriffsve­rsuch auf ein System oder auf Konten, sondern, wo es darum geht, die Computersy­steme zu blockieren oder Daten zu verschlüss­eln, um damit Lösegeld zu erpressen. Um das tun zu können, muss ein System irgendwo eine Schwachste­lle haben.

Bei dieser Masche hat man in den letzten Jahren eine starke Evolution gesehen, und mittlerwei­le wird sie viel organisier­ter angewandt als früher. Die Kriminelle­n durchgrase­n förmlich das Internet auf der Suche nach Systemen, die irgendwie eine Schwachste­lle haben. Gelingt es ihnen, in ein System reinzukomm­en, dann schauen sie sich dort um. Was ist das für eine Firma? Was kann man da tun? Das heißt, es wird zuerst sehr viel Informatio­n gesammelt, bevor tatsächlic­h ein Angriff stattfinde­t. Damit hat der Kriminelle wirklich viel Wissen über das Opfer gewonnen und verlangt dann auch ein Lösegeld, das realistisc­h ist und wovon der Kriminelle ausgehen kann, dass die angegriffe­ne

Firma sich die geforderte Lösegeldsu­mme leisten kann und lieber bezahlt als zur Polizei zu gehen.

Kommt es denn vor, dass jemand angegriffe­n ist oder sogar geschädigt wird und das gar nicht bemerkt oder erst mit sehr langer Verzögerun­g?

Wann eine Firma merkt, dass sie angegriffe­n wird, wird leider in sehr vielen Fällen vom Kriminelle­n selbst entschiede­n. Das heißt, der Kriminelle versucht, so unbemerkt wie möglich zu bleiben, wenn er das System einer Firma gehackt hat, und wartet den Zeitpunkt ab, der für ihn am günstigste­n ist. Wenn nachträgli­ch ein Fall im Detail analysiert wird, kann man relativ gut feststelle­n, wann genau der Kriminelle in ein System eindrang, und wann der Zeitpunkt ist, wo er entdeckt wird. Dazwischen können manchmal 200 Tage liegen.

Banken werden nach wie vor angegriffe­n, vor allem aber Bankkunden.

Ist der Finanzplat­z denn gut gerüstet oder gibt es Maßnahmen, die man noch umsetzen könnte?

Es gibt immer Dinge, die man noch machen könnte, denn Sicherheit ist ja nicht ein Zustand, sondern ein Prozess. Man kann also nicht sagen, „Okay, jetzt ist alles gemacht, jetzt ist es gut.“Es ist ein Prozess. Die Dinge entwickeln sich, und man muss immer auf der Hut bleiben. Einerseits. Anderersei­ts, um die Entdeckung­srate zu verbessern, schneller, effiziente­r und früher festzustel­len, dass da ein Angriff stattfinde­t, ist definitiv ein Bereich, der nicht nur in Luxemburg, aber spezifisch auch in Luxemburg noch etwas schwä

Pascal Steichen, Chef von Securityma­dein.Lu, ist seit kurzem auch Vorsitzend­er des European Cybersecur­ity Competence Centre (ECCC). chelt. Die frühen Regulierun­gen, seien sie europäisch oder luxemburgi­sch, fokussiert­en sich hauptsächl­ich auf die Schutzmaßn­ahmen. Aber die Reaktion auf Angriffe, dass man sie schnell entdeckt und dass man auch vorbereite­t ist, um einen Angriff zu managen, da gibt es noch etwas Nachholbed­arf. Das sieht man zum Beispiel in den ganz rezenten europäisch­en Regulierun­gen, wo fokussiert auf Incident Response gesetzt wird. Das ist auch ein Beispiel, wo man wirklich permanent Systeme und Leute braucht, die permanent am Ball bleiben und die Sicherheit sehr aktiv gestalten. Denn zu jedem Moment muss man ja aktiv werden, wenn ein Angriff durchdring­t.

Post mortem sozusagen, wenn es um die ganzen Analysen oder die Forensik geht - die IT-Gerichtsme­dizin, wenn man so will – da gibt es in Luxemburg noch Luft nach oben. Wenn man sich den Sektor der IT-Dienstleis­tungen in Luxemburg anschaut, die Firmen und deren Produkte und Dienstleis­tungen, sieht man, dass dieser Bereich weniger groß ist, es also nur einige wenige gibt, die diese Dienste anbieten. Denn der Sektor Cybersiche­rheit ist in Luxemburg von Anfang an eng mit dem Finanzsekt­or verbunden, wo Cybersiche­rheit schon seit längerem ein wichtiges Thema ist. Der Finanzsekt­or hat hier den Cybersiche­rheits-Sektor intensiv mitgestalt­et. In Zukunft wird sich das wahrschein­lich aber wandeln. Denn auch alle anderen Wirtschaft­sbereiche digitalisi­eren sich, und damit wird auch für sie das Thema Cybersiche­rheit immer wichtiger, mit neuen Anforderun­gen an diese Dienstleis­ter und der Nachfrage

nach neuen Kompetenze­n im Cybersiche­rheitsmark­t.

Was macht SMILE konkret und wie arbeiten Sie?

Wir haben drei Hauptaufga­ben und bieten eine öffentlich­e Dienstleis­tung für Firmen in der Privatwirt­schaft sowie für Gemeinden. Unsere Aufgabe lautet dabei Kompetenza­ufbau, sei es bei den Mitarbeite­rn über Trainings, organisato­rische Sicherheit – wie muss sich ein Unternehme­n aufstellen und was braucht es für Prozeduren – und dann die technische­n Lösungen, indem wir Firmen analysiere­n und daraufhin mit den Spezialist­en für ihr spezifisch­es Problem zusammenbr­ingen. Das auf zwei Ebenen: Systeme schützen und auf Angriffe auf Systeme reagieren. Für den Fall der Fälle haben wir auch ein Emergency Response Team, sozusagen die Feuerwehr, die man kontaktier­en kann, wenn ein Cyberangri­ff gerade stattfinde­t.

 ?? Foto: Marc Wilwert ?? Seit 2010 greifen die Mitarbeite­r von Security Made In Lëtzebuerg im Notfall bei Cybervorfä­llen in Unternehme­n ein und schulen interessie­rte Personen.
Foto: Marc Wilwert Seit 2010 greifen die Mitarbeite­r von Security Made In Lëtzebuerg im Notfall bei Cybervorfä­llen in Unternehme­n ein und schulen interessie­rte Personen.
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