Luxemburger Wort

Bittere Schlappe für Johnson

Die Tories verlieren gleich zwei Nachwahlen deutlich

- Von Peter Stäuber (London)

Die Tories hatten sich auf etwas gefasst gemacht, aber es kam noch schlimmer als befürchtet. Die Regierungs­partei erlitt am Donnerstag in zwei Nachwahlen in England desaströse Niederlage­n. Sie verlor beide Sitze, einen an Labour, den anderen an die Liberaldem­okraten. Die britische Presse schreibt von einem „historisch­en“und „erniedrige­nden“Wahlresult­at, das einem „Erdbeben“gleichkomm­e. Der Vorsitzend­e der Tory-Partei, Oliver Dowden (nicht zu verwechsel­n mit dem Parteichef) schmiss kurz nach Bekanntgab­e des Resultats das Handtuch: „Jemand muss dafür geradesteh­en“, schreibt er in seinem Rücktritts­brief.

Nicht nur das Ausmaß der Niederlage­n löst bei den Tories tiefe Sorgen aus, sondern auch die Tatsache, dass sie in zwei sehr verschiede­nen Wahlkreise­n auf die Nase gefallen sind. Wakefield liegt im nordenglis­chen Yorkshire und war fast ein Jahrhunder­t lang fest in der Hand der Labour-Partei. In den Wahlen von 2019 war es Teil jenes Blocks von ehemals sicheren Labour-Sitzen, die an die Tories gingen – ein Stein in der sogenannte­n „roten Mauer“, die damals zerbröckel­te. Der Sitz wurde vakant, nachdem der dortige Tory-MP infolge einer Verurteilu­ng wegen sexueller Nötigung im Mai zurücktret­en musste. Am Donnerstag gewann Labour den Sitz wieder zurück, und zwar mit einer satten Mehrheit von fast 5 000 Stimmen.

Verlust in Tory-Territoriu­m

Ganz anders ist der politische Hintergrun­d in Tiverton und Honiton, einem ländlichen Sitz in Devon, weit im Südwesten Englands. Dies ist seit Jahrzehnte­n tiefblaues Tory-Territoriu­m – 2019 gewannen die Konservati­ven den Sitz mit einer überwältig­enden Mehrheit von 24 000 Stimmen. Aber diese Dominanz verpuffte am Donnerstag mit einem Knall: Die Liberaldem­okraten triumphier­ten haushoch, sie gewannen den Sitz mit über 6 000 Stimmen Vorsprung. Auch dieser Sitz war aus wenig rühmlichen Gründen frei geworden: Der bisherige Tory-MP musste zurücktret­en, weil er erwischt worden war, als er sich im Unterhaus Pornos anschaute.

In Tiverton und Honiton fügten die Liberaldem­okraten den Tories die dritte Wahlnieder­lage in zwölf Monaten zu. Entspreche­nd wachsen die Bedenken in Westminste­r, dass dies einen Trend darstellt. In seinem Rücktritts­schreiben verweist der bisherige Tory-Vorsitzend­e

Oliver Dowden – bislang ein treuer Anhänger des Premiermin­isters – auf diese Tatsache: „Die gestrigen Nachwahlen waren die letzte in einer ganzen Reihe von sehr schlechten Resultaten für unsere Partei. Unsere Anhänger sind erschütter­t und enttäuscht über die jüngsten Ereignisse.“

Letzteres ist wohl eine Anspielung auf die Party-Affäre rund um Boris Johnson, die dem Premiermin­ister und seiner Partei in den vergangene­n Monaten zunehmend zu schaffen gemacht hat. Umfragen legen tatsächlic­h nahe, dass die Wahlverlus­te zu einem guten Teil auf die Kappe des Premiermin­isters gehen.

In einer Erhebung zu den Gründen, weshalb Wechselwäh­ler in Wakefield für Labour gestimmt haben, sagten die meisten: „Weil Boris Johnson versucht hat, die Party-Affäre zu vertuschen, und weil er die Öffentlich­keit angelogen hat.“Auch in Tiverton und Honiton kommen Meinungsum­fragen zu einem ähnlichen Ergebnis. Das wird die Ängste vieler Tory-MPs schüren: Sie befürchten, dass der Premiermin­ister Wähler abschreckt und seiner Partei in den nächsten Parlaments­wahlen den Sieg kosten könnte.

Wie gewohnt unbekümmer­t

So steht Johnson nach den Wahlen am Donnerstag auf noch wackligere­n Beinen. Der ehemalige Parteichef Michael Howard sagte am Freitag, Johnson solle jetzt zurücktret­en – er ist einer von vielen Tory-Granden, die die Demission des Regierungs­chefs fordern.

Aber der Premiermin­ister gibt sich wie gewohnt unbekümmer­t. In Nachwahlen verlieren Regierungs­parteien nun mal Sitze, sagte er am Freitag. Auch sei die Krise der Lebenshalt­ungskosten wohl verantwort­lich für die Wahlschlap­pe. „Wir werden weitermach­en und die Sorgen der Leute angehen, bis wir diese Periode hinter uns haben“, sagte Johnson.

Er ist wohl auch deswegen eher entspannt, weil er derzeit nicht in London ist, sondern in der ruandische­n Hauptstadt Kigali. Dort wohnt er dem Gipfel der Commonweal­th-Länder bei, der noch bis Sonntag dauert. 6 000 Kilometer entfernt kann sich der Premiermin­ister weitgehend der kritischen Befragung durch Parteikoll­egen entziehen. Auch nach dem Besuch in Kigali wird er nicht in die Heimat zurückkehr­en, sondern direkt zu den G7- und NatoGipfel­n reisen. Eine so lange Absenz ist ungewöhnli­ch für einen Premiermin­ister – fast könnte man das Gefühl haben, Johnson verstecke sich vor etwas.

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