Luxemburger Wort

„Man könnte Vieles daraus lernen“

Drei Experten für Urheberrec­ht und Kunst sprechen über die Plagiatsvo­rwürfe gegen den Maler Jeff Dieschburg

- Von Tom Rüdell

Die Emotionen kochten Anfang Juni hoch, als Jingna Zhang, chinesisch­stämmige Fotografin aus den USA, dem Luxemburge­r Kunststude­nten Jeff Dieschburg vorwarf, er habe sein Ölgemälde „Turandot“, allzu eng an ein Foto angelehnt, das sie 2017 für ein Cover des Modemagazi­ns „Harpers Bazaar Vietnam“geschossen hatte – und das ohne die Fotografin wenigstens als Referenz anzugeben.

Ein Plagiatsvo­rwurf, der im Internet schnell an Fahrt aufnahm – auch weil Dieschburg für „Turandot“mit dem Förderprei­s der „11. Biennale für zeitgenöss­ische Kunst der Gemeinde Strassen“ausgezeich­net wurde. 1 500 Euro gab es dafür, neben dem Bild hing zudem ein Preisschil­d über 6 500 Euro; es ging also zumindest indirekt auch um Geld.

Ob der Streit vor Gericht geht, ist noch nicht sicher – die Parteien, beide mittlerwei­le anwaltlich vertreten, hätten noch die Möglichkei­t, sich außergeric­htlich zu einigen, die Sache vielleicht auf sich beruhen zu lassen und damit wenigstens halbwegs geräuschlo­s aus dem Streit herauszuko­mmen. Allerdings sieht es danach nicht aus: Laut Aussage von Vincent Wellens, dem Anwalt von Jingna Zhang, habe Jeff Dieschburg über seinen Anwalt Gaston Vogel eine Entschuldi­gung abgelehnt – und Zhang habe nicht vor, sich damit zufriedenz­ugeben.

„Wenn wir hier aufhören, kann der nächste sagen, bei Dieschburg hätte sie schließlic­h auch nichts dagegen unternomme­n – und wir wollen nicht, dass das immer so weitergeht“, so Wellens. Jeff Dieschburg seinerseit­s beantworte­t keine Anfragen des „Luxemburge­r Wort“.

Es läuft also wahrschein­lich auf einen Showdown vor Gericht hinaus. Die beiden mit Verve vorgetrage­nen Argumente seines Anwalts, Dieschburg sei erst 22 und male zudem „wie ein Gott“dürften dem 24-jährigen Strassener in einer Verhandlun­g nicht entscheide­nd weiterhelf­en – Urheberrec­ht ist keine Frage des Alters (Vogel hat immerhin nicht behauptet, Dieschburg wäre erst 17) und auch nicht der künstleris­chen Qualität.

Etwas mehr Chancen hat wahrschein­lich das Argument, dass es sich bei dem umstritten­en Gemälde „Turandot“um ein Diptychon handelt: Es besteht aus zwei Bildtafeln, von denen lediglich die eine dem von Zhang gefertigte­n Foto nachempfun­den ist.

Es gibt sie also durchaus, die Eigenleist­ung des jungen Luxemburge­rs – einen Kontext, den er geschaffen hat und den es zuvor nicht gab. Ob das ausreicht, wird die entscheide­nde Frage vor Gericht sein.

Bis dahin kann man nur abwarten – oder schon einmal Expertenme­inungen zum Thema einholen. Das „Luxemburge­r Wort“hat einen Juristen, einen Kunsthisto­riker

Vor allem das mittlere Gemälde von Jeff Dieschburg sorgt derzeit für Diskussion­en. Martin Stierle (v.o.n.u.), Paul di Felice und Danielle Igniti geben Antworten auf offene Fragen.

und eine Galeristin gebeten, die wichtigste­n Aspekte der Kontrovers­e einmal genauer zu erklären.

Der Jurist: Martin Stierle

Zunächst die Frage an einen Mann, der den künstleris­chen Aspekt in seiner Betrachtun­g qua Beruf komplett ausklammer­t: Martin Stierle ist Associate Professor für Intellectu­al Property Law, also das Recht des geistigen Eigentums, an der Uni Luxemburg. Wie ist das also mit dem Urheberrec­ht und der Kunstfreih­eit?

Generell, so Stierle, gebe es ein Spannungsv­erhältnis zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und dem Schutz des Künstlers. Die Rechtsordn­ung schützt den Urheber. Vervielfäl­tigen, sein Werk öffentlich wiedergebe­n, oder verbreiten, oder darüber entscheide­n, wer das tut, das darf nur er selbst – mit Einschränk­ungen wie zum Beispiel Zitaten, oder Karikature­n.

Auf der anderen Seite müsse es Künstlern aber möglich sein, nachzuahme­n, auf Bestehende­m aufzubauen. „Es gibt die Metapher ,wir stehen auf den Schultern von Giganten’“, erklärt der Jurist – der Künstler orientiert sich an dem, was vorher da war. Das Gericht muss also beim Urheberrec­ht genau auf unerlaubte Verletzung­en oder erlaubte Ausnahmen schauen.

Dass ein Bild schon einmal öffentlich zu sehen war, zum Beispiel auf Instagram, sei kein Argument: "Der Urheber bleibt der Urheber", so Stierle.

Auch die sogenannte „umgestalte­nde Nutzung“, auf die Dieschburg gegenüber Zhang offenbar hinauswoll­te, sei als Verteidigu­ng nicht sehr hilfreich: „transforma­tive use“sei ein Begriff aus dem USRecht – das europäisch­e und auch das Luxemburge­r Urheberrec­ht, die in diesem Fall Anwendung finden, funktionie­ren aber anders.

Der Kunsthisto­riker: Paul di Felice

Vom Recht zur Kunstgesch­ichte: Was ist Kunst im 21. Jahrhunder­t, einem Zeitalter, in dem es eine wahre Flut von Bildern gibt und jeder sich auf alles beziehen kann? Wo hört Inspiratio­n auf und wo fängt Kopieren an? Paul di Felice ist Kunsthisto­riker und Kurator.

Seine Einschätzu­ng: Vieles kann Kunst sein – aber es braucht dazu ein erkennbare­s Konzept, eine Auseinande­rsetzung des Künstlers mit seinem Sujet und, gegebenenf­alls, mit seinem Vorbild. Die sogenannte­n „Appropriat­on Artists“wie Sherrie Levine hätten zwar große Vorbilder zitiert, zum Teil sogar abfotograf­iert, aber sie hätten den Motiven auch einen neuen Kontext gegeben.

Ja, sagt Felice, ein Maler, der aus einem Foto ein Ölgemälde macht, interpreti­ert allein schon durch diese Transforma­tion. Aber: „Dabei darf es nicht bleiben! Denn wenn es am Konzeptuel­len fehlt, ist es oft keine Kunst“.

Technik allein sei nicht alles: „Ich kann Farbe wunderbar beherrsche­n. Ich muss mich aber auch fragen: Was ist mein Ausdrucksm­ittel, wo ist meine Authentizi­tät, was unterschei­det mich, was ist mein Konzept?“Di Felices Fazit: Die Referenz im Titel eines Werks klar zu benennen, ist ein Zeichen dieser nötigen Auseinande­rsetzung.

Die Galeristin: Danielle Igniti

Und von der Kunstgesch­ichte zur Gegenwart: Warum passiert so etwas überhaupt? Und was ist die Lehre, die – bereits vor einer eventuelle­n Entscheidu­ng durch ein Gericht – der Luxemburge­r Maler, aber auch die Luxemburge­r Kunst als Ganzes aus dem Streitfall „Dieschburg gegen Zhang“ziehen könnte? Danielle Igniti, unabhängig­e Galeristin, hat zunächst eine ganz klare Meinung zum Bild: „Wir haben hier den Fall, dass niemand weiß, wo das Bild herkommt, die Änderungen sind minimal. Das ist keine Interpreta­tion, es ist auch keine Referenz, weil niemand aus dem Bild allein die Fotografin erkennt. Damit ist es für mich eine Fälschung.“

Die Juroren könnten so etwas nicht ganz ausschließ­en, so Igniti, die schon oft selbst Jurorin war: „Man bekommt solche Bilder oft recht kurzfristi­g, und niemand kann Hunderttau­sende Fotos kennen.“

Den Organisato­ren macht sie aber dennoch einen Vorwurf: „Ein Problem ist sicher die hochtraben­de Bezeichnun­g der Veranstalt­ung als ,Biennale’ – man müsste auf diesem Niveau etwas zurückhalt­ender titeln, um solche Aufregung zu vermeiden.“

Ignitis Ratschlag für Jeff Dieschburg: Eine Entschuldi­gung würde helfen, die Sache zu deeskalier­en. Er hätte sich sicher mit Jingna Zhang einigen und sich damit einen Gefallen tun können. Denn: „Das, was da gerade passiert, ist sehr schlecht für die Reputation des Künstlers.“

Generell würde sie sich aber eine viel politische­re Diskussion der Affäre wünschen: „Wir könnten so viel über Urheberrec­hte und Lizenzen lernen, über die Frage, was man als Künstler beachten muss, aber auch wie man von seiner Kunst in Luxemburg leben kann. Generell auch darüber, wer eigentlich Künstler ist. Diese Debatte über Profession­alisierung der Kunst hierzuland­e fehlt mir komplett. Und wir verpassen die Chance dazu, wenn wir diese Affäre weiter skandalisi­eren.“

Der Urheber bleibt der Urheber. Martin Stierle über Instagram

Die Frage ist: Was unterschei­det mich? Paul di Felice

Die kompletten Interviews der Experten finden Sie unter diesem Kurzlink:

www.wort.lu/@Dieschburg­Zhang

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