Luxemburger Wort

Von der Tram auf den Bauernhof

Eléonore Thillens-Lommer feiert ihren 100. Geburtstag und blickt auf ein bewegtes Leben zurück

- Von Nadine Schartz

Winkringen. Für Eléonore ThillensLo­mmer waren die vergangene­n Tage alles andere als langweilig. Ganz im Gegenteil. Am 15. Juni feierte sie ihren 100. Geburtstag im Kreis ihrer Familie und Bekannten, darunter auch ihre beiden Schwestern Maria und Anna, ihre Söhne Alex und Raymond sowie ihre Enkel Linda und Christian. Am Wochenende folgte das nächste große Fest: die Hochzeit von Enkelin Linda. Ein Ereignis, das sich die noch rüstige Großmutter nicht entgehen ließ. „Es war eine sehr schöne Messe“, erinnert sie sich und strahlt vor Stolz.

Zwei Tage später steht Eléonore Thillens-Lommer dann wieder im Mittelpunk­t. Denn auch Familienmi­nisterin Corinne Cahen möchte der gut gelaunten Jubilarin die Glückwünsc­he der Regierung und des großherzog­lichen Hofes überbringe­n. Auf die Frage, wie man es schafft, in dem hohen Alter noch so fit zu sein, antwortet sie lachend: „Man muss immer brav sein.“

Ich habe aber immer gerne gearbeitet.

Später erzählt sie, dass sie ihr Leben lang auf dem Bauernhof – erst bei ihren Eltern, dann auf dem Hof ihres Ehemannes Albert Thillens – gearbeitet habe. Dadurch sei sie aktiv geblieben. „Man darf sich nicht hängen lassen, sonst ist alles vorbei“, fügt sie hinzu.

Eléonore Thillens-Lommer kann auf ein bewegtes Leben zurückblic­ken. Geboren wurde sie am 15. Juni 1922 als zweites von insgesamt fünf Kindern. Ihre Eltern, Josephine Schaack und Edouard Lommer betrieben einen Bauernhof in Alscheid. „Es gab immer viel auf dem Hof zu tun“, gibt sie zu verstehen. So wundert es auch nicht, dass sie nach der Primärschu­le in Alscheid und der zweijährig­en Ausbildung an der Haushaltss­chule in Rümelingen zu Hause blieb, um ihren Eltern auf dem Hof zu helfen.

Beschwerli­che Heimreise nach Umsiedlung

Doch dann kam der Zweite Weltkrieg. Eine schwere Zeit, an die sich Eléonore noch gut erinnert. Von November 1942 bis April 1943 kam sie in den Reichsarbe­itsdienst in die Uckermark nahe Berlin. Kaum zu Hause folgte der nächste Schock: „Plötzlich stand ein großes Auto vor der Tür und wir mussten einsteigen.“Sie und ihre Familie wurden nach Schlesien umgesiedel­t, nachdem der älteste Sohn, Jos, sich der Zwangsrekr­utierung entgegense­tzte. „Dies war keine einfache Zeit für die Familie“, erzählt Sohn Alex. Sein Onkel habe oft und gerne von der damaligen Zeit erzählt. So habe dieser sich teilweise in der Scheune, im Wald und später bei einem Landwirt in Belgien versteckt. Um die eigenen Kühe zu retten, habe er diese mitgenomme­n. Am Ende kamen die Tiere dennoch durch einen Bombenangr­iff ums Leben.

In der Zwischenze­it wurde die Familie Lommer nach der Umsiedlung getrennt und musste an unterschie­dlichen Orten arbeiten. Eléonore kam nach Leipzig, wo sie Tramschaff­nerin wurde. Nach der Befreiung durch die Russen im Jahre 1945, verstanden diese jedoch nicht, dass es sich bei den Lommers um eine Luxemburge­r Familie handelte, die zwangsumge­siedelt worden war. Da auch aus Luxemburg keine Unterstütz­ung kam, mussten sie die Heimreise selbst organisier­en.

Ohne Geld und ohne jegliches Gepäck machten sie sich zu Fuß und mit dem Zug auf die lange, beschwerli­che Heimreise. Nachdem sie sich in Luxemburg-Stadt auf dem Aldringen offiziell angemeldet hatten, konnten sie endlich zurück nach Alscheid. Schon in Kautenbach erreichte sie eine frohe

Botschaft: Jos befindet sich zu Hause. Zwar war das Haus der Familie Lommer schwer beschädigt, die Fenster waren notdürftig durch Blech ersetzt worden, doch das zählte zu diesem Moment nicht: „Als wir wussten, dass mein Bruder überlebt hatte, war wieder alles in Ordnung“, betont die Jubilarin. Nach den Jahren der Unruhe lernte Eléonore ihren künftigen Ehemann Albert Thillens aus Heisdorf (Hamiville), der dort einen Bauernhof führte, kennen. Auf die

Frage, wo sie ihn zum ersten Mal traf, lacht sie gut gelaunt: „Unser Nachbar stellte ihn mir vor, von diesem Moment war er da und ist geblieben.“

Singen beim Kühemelken

Im Dezember 1957 heiratete das Paar. Genau wie im elterliche­n Betrieb arbeitete Eléonore nun auf dem Hof ihres Ehemannes. „Ich kam von einer Schaufel zur nächsten“, erzählt sie und fügt hinzu: „Ich habe aber immer gerne gearbeitet.“Das Paar sollte auch nicht allein bleiben. 1958 wird Sohn Alex geboren, 1960 folgt Raymond, der den elterliche­n Betrieb übernommen hat. Albert Thillens verstarb am 6. März 2006 im Alter von 91 Jahren. Neben der Arbeit war Eléonore auch aktiv im Vereinsleb­en. So zählt sie etwa zu den

Gründungsm­itgliedern des lokalen Chors, bei dem sie während vielen Jahren aktives Mitglied war. Auch heute singe sie noch gerne zu Hause, verrät sie. „Früher habe ich auch gerne beim Kühemelken gesungen“, fügt sie hinzu.

Daneben kennt man sie als gute Köchin. „Meine Mutter konnte hervorrage­nd kochen. Wenn sie besser zu Fuß wäre, würde sie dies sicher auch heute noch machen“, unterstrei­cht Sohn Raymond. Durch mehrere Rückenoper­ationen und Stürzen mit Hüftbrüche­n falle ihr das Gehen schwerer. Aber: „Sie ist immer wieder auf die Beine gekommen“, heißt es weiter. „Natürlich, es muss ja weitergehe­n. Man kann ja nicht einfach sitzen bleiben“, fügt seine Mutter hinzu. Und: „Eine Portion Motivation und Mut dürfen auch nicht fehlen.“

Unser Nachbar stellte ihn mir vor, von diesem Moment war er da und ist geblieben.

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Foto: Nadine Schartz Eléonore Thillens-Lommer ist auch im hohen Alter noch fit.

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