Integration geht anders
Darf eine Transsportlerin bei den Frauen startet? Ist das gerecht und fair? Haben diese Athletinnen einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrentinnen? Was dürfen sie und was dürfen sie auf gar keinen Fall? Die Fragen rund um die Inklusion von Transmenschen im Sport stehen seit Längerem im Mittelpunkt einer emotional geführten Debatte, die in den vergangenen Tagen erneut hochkochte.
Stein des Anstoßes sind Lia Thomas und eine Entscheidung des Weltschwimmverbandes FINA. Die US-Schwimmerin wurde als Junge geboren, durchlief die männliche Pubertät, outete sich mit 19 Jahren als transsexuell und begann eine Hormonbehandlung, um ihren Testosteronwert zu senken. Im März startete die Transfrau bei den CollegeMeisterschaften und gewann das 500-Yards-Rennen.
Die FINA hat reagiert: Transfrauen dürfen nur noch bei den Frauen antreten, wenn sie geschlechtsangleichende Maßnahmen bis zum Alter von zwölf Jahren abgeschlossen haben. Dass das den Druck auf Kinder zuweilen extrem erhöht, ist das eine Problem. Das andere ist das Schaffen einer „offenen Kategorie“für Transmenschen. Sie wird vom Weltschwimmverband als fortschrittliches Zeichen verkauft, ist jedoch eine Stigmatisierung. Integration funktioniert nie, wenn der Grundgedanke derjenige ist, neue Kategorien, Klassen oder Maßnahmen zu erfinden. Stattdessen muss es immer das Ziel sein, das Bestehende an die vermeintlich neuen Bedürfnisse anzupassen.
Das heikle Problem der Transmenschen im Sport ist vielschichtig. Die eine optimale und alle zufriedenstellende Lösung gibt es nicht. Es herrscht Orientierungslosigkeit. Streng genommen sind Ungerechtigkeiten im Sport ohnehin allgegenwärtig: Nicht jeder hat beispielsweise die gleichen Körpermaße oder verfügt über die selben finanziellen Ressourcen. Die Voraussetzungen sind von Natur aus für jeden andere. Die Unterschiede können bisweilen riesig sein. Wann und wo aber ist die nicht mehr tolerierbare Grenze zur Unfairness erreicht?
Der Sport wird bald gezwungen sein, eine tiefgreifende Revolution ins Auge zu fassen. Denn: Muss GeschlechterZugehörigkeit das entscheidende Kriterium der Klassifizierung sein? Natürlich gibt es biologische Männer und Frauen. Es gibt aber eben auch Ungenauigkeiten, Abweichungen und Geschlechtsumwandlungen. Die Kategorisierung kann eine andere sein, als die pauschale Einteilung nach biologischen Geschlechtern. Warum nicht nach Größe, Körpergewicht, Testosteronanteil, Fettanteil, Muskelmasse oder vielleicht gar nach sozialem Geschlecht?
Das Lösen von uralten Traditionen und Denkweisen wird nicht von heute auf morgen passieren. Aber die klassische Einstufung muss zumindest überdacht werden dürfen und können, ohne dass gleich diskriminiert und verbal attackiert wird.
Die westliche Gesellschaft öffnet sich immer mehr. Der Sport allerdings tut sich noch schwer damit, das Zwei-Geschlechter-Denken zu überwinden. Die „offene Kategorie“im Schwimmen hilft da auch nicht. Diversität sollte anders aussehen – inklusiv und nicht ausgrenzend.
Das heikle Problem der Transmenschen im Sport ist vielschichtig.