Tödliche Gleichgültigkeit
Angeklagter lässt Mann in brennender Wohnung zurück – sechs Jahre Haft gefordert
Luxemburg. „Et war ëm einfach egal“, die Worte des psychiatrischen Gutachters sind einschneidend. Und sie sind nur ein Puzzlestück in einem ausgesprochen komplexen Kriminalfall, in dem sich die Tathypothese des vorsätzlichen Mordes mit jener eines banalen Unfalls das Gleichgewicht hält.
Am 26. Dezember 2019 brennt es in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Rue du Golf in Senningerberg. Einen Tag später verstirbt der Bewohner, ein 60-jähriger Mann, den die Feuerwehr in extremis lebend aus der Feuersbrunst gerettet hatte, an einer Rauchgasvergiftung. Zudem ist die Haut des Mannes zu 40 Prozent verbrannt.
Das Opfer weist zudem eine klaffende Kopfwunde auf und es gibt dem ersten Anschein nach zwei Brandherde in der Wohnung. Es drängt sich also eine Frage auf: War es ein Mord? Zudem gibt es sehr bald nach dem Brand einen Tatverdächtigen: Ein damals 23jähriger Obdachloser, dem das Opfer über die Weihnachtstage Unterkunft gewährt hatte.
Als dieser festgenommen wird, hat er neben den Wohnungsschlüsseln auch das Handy des Opfers dabei, mitsamt Originalverpackung und Codes. Dazu kommt: Der Verdächtige hat eine ellenlange Vorgeschichte und Teil davon ist es, dass er seinen Frust immer wieder durch Feuer abreagiert.
Erschreckendes Todesszenario
Gegenüber einem psychiatrischen Gutachter erklärt er, er habe den Mann absichtlich betrunken gemacht, um ihn dann im Feuer zu töten. Das Opfer sei pädophil gewesen, er ein gebranntes Kind, weil selbst Opfer von sexuellem Missbrauch. Bei einem zweiten Gespräch und auch später im Gerichtssaal widerruft er das und spricht von einem Unfall. Er habe im Schlafzimmer Kerzen angezündet, diese seien wohl von einer Kommode herunter auf Kleider gefallen, während er sich im Badezimmer Drogen gespritzt habe. Später, als er das Zimmer wieder betreten habe, habe es bereits gebrannt. Er habe es dann vorgezogen, zu gehen, um sich Ärger zu ersparen. Das spätere Opfer ließ er währenddessen auf dem Sofa schlafend zurück.
Beide Tatabläufe lassen auf ein eiskaltes Vorgehen des Täters schließen. Doch in beiden Szenarien bleiben Lücken im Drehbuch. Die Wunde des Opfers muss nicht von einer Gewalteinwirkung stammen, und der zweite Brandherd hat sich als Folgebrand entpuppt. Für eine Brandstiftung gibt es keine zwingenden Hinweise – insbesondere gab es keinen Brandbeschleuniger. Aber auch der vom Beschuldigten vorgebrachte Ablauf kann widerlegt werden. Die Kerzen kommen zwar als Brandquelle infrage, nicht aber so, wie vom Angeklagten angeführt. Und: Das Feuer kann auch schlicht mit einem Feuerzeug entzündet worden sein.
Die Frage, ob nun ein Unfall oder doch Absicht zum Brand geführt hat, kann also nicht zweifelsfrei geklärt werden. Offenkundig ist aber, dass der Angeklagte sich der Gefahr, in der er das schlafende Opfer zurücklässt, vollends bewusst ist. Er tut es trotzdem.
„Ich hatte keinen Grund, ihm etwas anzutun“, versichert Brendan Lee F. vor der Kriminalkammer. „Ich habe ihm nicht geholfen, das war falsch und es tut mir leid“. Viel mehr Einblick gewährt er nicht in das Geschehene.
Das tut aber der psychiatrische Gutachter, der den Lebenslauf des Angeklagten nachzeichnet. Dieser ist von sexuellem Missbrauch durch den Vater geprägt – in dessen Folge der junge Mann sich auch als Erwachsener noch mit urinaler Inkontinenz auseinandersetzen muss. Und einem ausgeprägten Aggressionsverhalten, das dazu geführt hat, dass er als Achtjähriger zunächst in staatliche Obhut, dann in Jugendpsychiatrien im In- und Ausland kommt. Als 18-Jähriger findet er sich auch in betreuten Strukturen nicht zurecht, sodass er bald auf der Straße lebt – und dort auch zurechtkommt, wie Brendan selbst sagt.
Dennoch wird er immer wieder durch seine extrem niedrige Frusttoleranz auffällig. Dadurch, dass er dann gewalttätig wird und auch wiederholt zündelt. Kaum volljährig, schlägt er einen Bekannten seines Vaters mit einer Eisenstange zusammen. Dieser überlebt nur knapp. Der Mann sei pädophil gewesen, gibt er auch in diesem Zusammenhang dem psychiatrischen Gutachter zu verstehen. Ein Prozess zu dieser Tat steht noch aus.
Ein gefährlicher junger Mann
Teil des Bildes sind auch depressive Tendenzen und Selbstmordversuche. So versucht Brendan sich zuletzt gleich nach dem ersten Prozesstag in Schrassig das Leben zu nehmen. Weil er mit der Schuld nicht leben könne.
Ob nun ein Unfall oder Absicht zum Brand geführt hat, ist unklar. Das Vorgehen bleibt eiskalt.