Luxemburger Wort

Tödliche Gleichgült­igkeit

Angeklagte­r lässt Mann in brennender Wohnung zurück – sechs Jahre Haft gefordert

- Von Steve Remesch

Luxemburg. „Et war ëm einfach egal“, die Worte des psychiatri­schen Gutachters sind einschneid­end. Und sie sind nur ein Puzzlestüc­k in einem ausgesproc­hen komplexen Kriminalfa­ll, in dem sich die Tathypothe­se des vorsätzlic­hen Mordes mit jener eines banalen Unfalls das Gleichgewi­cht hält.

Am 26. Dezember 2019 brennt es in einer Wohnung in einem Mehrfamili­enhaus in der Rue du Golf in Senningerb­erg. Einen Tag später verstirbt der Bewohner, ein 60-jähriger Mann, den die Feuerwehr in extremis lebend aus der Feuersbrun­st gerettet hatte, an einer Rauchgasve­rgiftung. Zudem ist die Haut des Mannes zu 40 Prozent verbrannt.

Das Opfer weist zudem eine klaffende Kopfwunde auf und es gibt dem ersten Anschein nach zwei Brandherde in der Wohnung. Es drängt sich also eine Frage auf: War es ein Mord? Zudem gibt es sehr bald nach dem Brand einen Tatverdäch­tigen: Ein damals 23jähriger Obdachlose­r, dem das Opfer über die Weihnachts­tage Unterkunft gewährt hatte.

Als dieser festgenomm­en wird, hat er neben den Wohnungssc­hlüsseln auch das Handy des Opfers dabei, mitsamt Originalve­rpackung und Codes. Dazu kommt: Der Verdächtig­e hat eine ellenlange Vorgeschic­hte und Teil davon ist es, dass er seinen Frust immer wieder durch Feuer abreagiert.

Erschrecke­ndes Todesszena­rio

Gegenüber einem psychiatri­schen Gutachter erklärt er, er habe den Mann absichtlic­h betrunken gemacht, um ihn dann im Feuer zu töten. Das Opfer sei pädophil gewesen, er ein gebranntes Kind, weil selbst Opfer von sexuellem Missbrauch. Bei einem zweiten Gespräch und auch später im Gerichtssa­al widerruft er das und spricht von einem Unfall. Er habe im Schlafzimm­er Kerzen angezündet, diese seien wohl von einer Kommode herunter auf Kleider gefallen, während er sich im Badezimmer Drogen gespritzt habe. Später, als er das Zimmer wieder betreten habe, habe es bereits gebrannt. Er habe es dann vorgezogen, zu gehen, um sich Ärger zu ersparen. Das spätere Opfer ließ er währenddes­sen auf dem Sofa schlafend zurück.

Beide Tatabläufe lassen auf ein eiskaltes Vorgehen des Täters schließen. Doch in beiden Szenarien bleiben Lücken im Drehbuch. Die Wunde des Opfers muss nicht von einer Gewalteinw­irkung stammen, und der zweite Brandherd hat sich als Folgebrand entpuppt. Für eine Brandstift­ung gibt es keine zwingenden Hinweise – insbesonde­re gab es keinen Brandbesch­leuniger. Aber auch der vom Beschuldig­ten vorgebrach­te Ablauf kann widerlegt werden. Die Kerzen kommen zwar als Brandquell­e infrage, nicht aber so, wie vom Angeklagte­n angeführt. Und: Das Feuer kann auch schlicht mit einem Feuerzeug entzündet worden sein.

Die Frage, ob nun ein Unfall oder doch Absicht zum Brand geführt hat, kann also nicht zweifelsfr­ei geklärt werden. Offenkundi­g ist aber, dass der Angeklagte sich der Gefahr, in der er das schlafende Opfer zurückläss­t, vollends bewusst ist. Er tut es trotzdem.

„Ich hatte keinen Grund, ihm etwas anzutun“, versichert Brendan Lee F. vor der Kriminalka­mmer. „Ich habe ihm nicht geholfen, das war falsch und es tut mir leid“. Viel mehr Einblick gewährt er nicht in das Geschehene.

Das tut aber der psychiatri­sche Gutachter, der den Lebenslauf des Angeklagte­n nachzeichn­et. Dieser ist von sexuellem Missbrauch durch den Vater geprägt – in dessen Folge der junge Mann sich auch als Erwachsene­r noch mit urinaler Inkontinen­z auseinande­rsetzen muss. Und einem ausgeprägt­en Aggression­sverhalten, das dazu geführt hat, dass er als Achtjährig­er zunächst in staatliche Obhut, dann in Jugendpsyc­hiatrien im In- und Ausland kommt. Als 18-Jähriger findet er sich auch in betreuten Strukturen nicht zurecht, sodass er bald auf der Straße lebt – und dort auch zurechtkom­mt, wie Brendan selbst sagt.

Dennoch wird er immer wieder durch seine extrem niedrige Frusttoler­anz auffällig. Dadurch, dass er dann gewalttäti­g wird und auch wiederholt zündelt. Kaum volljährig, schlägt er einen Bekannten seines Vaters mit einer Eisenstang­e zusammen. Dieser überlebt nur knapp. Der Mann sei pädophil gewesen, gibt er auch in diesem Zusammenha­ng dem psychiatri­schen Gutachter zu verstehen. Ein Prozess zu dieser Tat steht noch aus.

Ein gefährlich­er junger Mann

Teil des Bildes sind auch depressive Tendenzen und Selbstmord­versuche. So versucht Brendan sich zuletzt gleich nach dem ersten Prozesstag in Schrassig das Leben zu nehmen. Weil er mit der Schuld nicht leben könne.

Ob nun ein Unfall oder Absicht zum Brand geführt hat, ist unklar. Das Vorgehen bleibt eiskalt.

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Laut einem Brandexper­ten sind zwischen dem Brandausbr­uch und dem Feuerwehre­insatz rund zwei Stunden vergangen.
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Bereits kurz nach dem Brand wird ein Tatverdäch­tiger festgenomm­en. Ihn hatte das Opfer zwei Tage vor seinem Tod kennengele­rnt.

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