Die Geister, die er rief
Eigentümer Jean-Michel Aulas verkauft den französischen Fußballclub Olympique Lyon an einen US-Amerikaner
Jean-Michel Aulas sieht sich gern als Fels in der Brandung, als letzte Bastion eines „ehrlichen“Fußballs, den er gegen die Kommerzialisierung dieses Sports zu verteidigen sucht. Seine Gegner: Oligarchen und sonstige Milliardäre sowie all diejenigen – vorwiegend arabischen – Länder, die über ihre Staatsfonds Milliardensummen in ihre Clubs pumpen und so die Preise in astronomische Höhen treiben.
Besonders schlecht zu sprechen ist der 73-Jährige auf die katarischen Eigentümer von Paris SG, deren Scheckheft-Management er für bedrohlich hält: „Wenn Sie alles mit übernatürlichem Geld in einer einzigen Mannschaft konzentrieren, dann gibt es keinen Wettbewerb mehr! Das ist eine für den französischen Fußball gefährliche Entwicklung.“Gefährlich vor allem für „sein“Olympique Lyonnais, das er nun mit einem neuen Schutzwall umgab: dem 800 Millionen Euro schweren Einstieg des US-amerikanischen Investors John Textor.
Investor bei vielen Vereinen
„Mit diesem Projekt beginnt für Olympique Lyonnais ein neues Kapitel seiner wundervollen Geschichte. Seit 35 Jahren hegte und hege ich immer den Wunsch, aus Olympique Lyonnais ein einzigartiges Modell im Fußball zu machen, das sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg vereint.“Mit diesen Worten lässt sich JMA, wie Aulas von den Fans genannt wird, in der offiziellen Mitteilung zitieren, in der OL vor einigen Tagen den Beginn der Verkaufsverhandlungen mit Eagle Football Holdings LLC bekannt gab, in der Textor seine Sportinvestitionen bündelt.
Denn der 56-jährige US-Amerikaner ist in der Welt des Fußballs kein Unbekannter: Seit August 2021 besitzt er 40 Prozent des Londoner Premier-League-Clubs Crystal Palace, zudem ist er Mehrheitseigentümer des brasilianischen Erstligavereins Botafogo aus Rio de Janeiro und des belgischen Zweitligisten Molenbeek. Der aus Missouri stammende Multimillionär besitzt unter anderem einen erfolgreichen
Hersteller für digitale Bildtechnik sowie einen Streaming-Sportkanal.
Nun also kauft Textor eine Zweidrittelmehrheit an der OL Groupe, die zu 40 Prozent Pathé und IDG Capital gehört. Die übrigen Aktien übernimmt er schrittweise von Aulas' Familienholding Holnest, verbunden mit einer Kapitalerhöhung um 86 Millionen Euro, die direkt in den Kader fließen sollen.
Dass Aulas, der seit 1987 Präsident von OL ist, sein „Baby“gerade jetzt verkauft, ist kein Zufall. Die abgelaufene Saison schloss der erfolgsverwöhnte Verein auf einem enttäuschenden achten Platz ab, auch im Vorjahr wurde als Vierter die Champions League verpasst. Finanziell kann man mit dem Pariser Rivalen einfach nicht mehr mithalten – dabei war es noch zu Beginn des Jahrtausends Lyon, das den französischen Fußball dominierte und sieben Meistertitel in Serie erringen konnte.
Verein als Vorreiter
Denn der Geschäftsmann Aulas, der mit Verwaltungs- und Personalsoftware reich wurde, machte den Verein zu einem Vorreiter in Sachen Professionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs: Ein dem Club gehörendes, 60 000 Zuschauer fassendes Stadion ließ er ebenso bauen wie ein neues Nachwuchszentrum, zudem wurden alle Geschäftsaktivitäten in der börsennotierten OL Groupe gebündelt, die auch die äußerst erfolgreiche Frauenmannschaft sowie den E-Sport-Bereich verwaltet. Lyon war lange der umsatzstärkste Club Frankreichs, ehe die Scheichs aus Katar Paris mit ihren Petrodollars überschwemmten.
Wenn Aulas heute also deren Gebaren kritisiert, dann versucht er, die Geister zu verscheuchen, die er selbst einst rief. Das in Frankreich lange dominante Prinzip der Sportmäzene, die sich einen Profi-Fußballclub als persönliches Spielzeug leisten, stürzt gerade ich sich zusammen: Paris, Marseille, Nice, Lille, Monaco und jüngst Angers: Die Liste der Vertreter der Ligue 1, in der ausländische Investoren das Sagen haben, wird immer länger. Doch diese Vereine sind nur deshalb für Investoren interessant, weil sie bereits professionelle Strukturen haben. Nun geht mit Aulas einer der letzten großen „Patriarchen“, auch wenn er zunächst als Präsident im Amt bleibt.
Auf der sportlichen Seite trägt der frische Geldregen bereits erste Früchte: Stürmer Alexandre Lacazette kehrt von Arsenal an die Rhone zurück, dessen Millionengehalt sich Lyon ohne die Übernahme wohl nicht hätte leisten können. Im Gespräch sind auch weitere Rückkehrer, etwa Mittelfeldspieler Corentin Tolisso aus München oder Verteidiger Samuel Umtiti aus Barcelona. Wer weiß, vielleicht gibt es in der neuen Saison ja tatsächlich wieder so etwas wie einen sportlichen Wettbewerb in der Ligue 1.