Luxemburger Wort

Überall knallt’s

Die deutsche Hauptstadt erlebt einen Sommer der Heimsuchun­gen

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Kurz nach zehn am Freitagvor­mittag kommt der Regen. Wie ein Versuch besprüht er den Asphalt, so zart, als habe ihn die allgemeine Vorsicht ringsum angesteckt. Dabei sehnen sie sich hier, im Südwesten Berlins, nach Sorglosigk­eit. Und haben das Gegenteil. Sorgen en masse.

Seit gut einem Tag lodert hier ein Brand wie noch keiner. Am Donnerstag­morgen nach drei begannen Raketen in den Himmel über Berlin zu schießen, die niemand abgefeuert hatte. Es detonierte­n Bomben, die keiner zündete – ihr Knallen riss die Menschen aus dem Schlaf, die am Grunewald wohnen. Die Feuerwehr war rasch alarmiert und vor Ort, fand die Meldungen von unkontroll­ierten Explosione­n bestätigt: Sie hätten dann „großzügig nachalarmi­ert“, sagt ihr Sprecher James Klein.

Explosives Material in der Stadt

Da brennt es schon im Grunewald, der grünen Lunge Berlins zwischen Wann- und Schlachten­see, knapp an seiner bekanntest­en Autobahn, der Avus. Sie wird schnell gesperrt, auch die parallel verlaufend­en Bahn- und S-Bahnstreck­en. Damit sind die wichtigste­n Wege aus dem Westen in die deutsche Hauptstadt dicht. Das, heißt es rasch, sei auch nötig. Denn längst brennt der Wald. Und das Zentrum des Feuers ist der sogenannte „Sprengplat­z“der Berliner Polizei. Hier lagert, was kontrollie­rt zur Explosion gebracht werden muss: Bomben und sonstige Munition aus dem Zweiten Weltkrieg, die bei Bauarbeite­n häufig gefunden werden, außerdem beschlagna­hmte Feuerwerks­körper. Bis zu 50 Tonnen, heißt es. Von Kontrolle aber ist jetzt keine Rede mehr.

Bis Freitagvor­mittag können Feuerwehr, Technische­s Hilfswerk, Polizei und Bundeswehr nicht mehr tun, als das Feuer in Schach zu halten – also innerhalb eines Sperrkreis­es mit einem Radius von einem Kilometer. Über Nacht sind Löschrobot­er angekommen; Berlin hat in der ganzen Republik um Unterstütz­ung gebeten. Und die Politik, vorneweg die Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD), wird gefragt, weshalb, um Himmels Willen, explosives Material mitten in der deutschen Hauptstadt mitten im Wald gelagert werde – in diesen Klimazeite­n, bei dieser Trockenhei­t?

Die Antwort ist schlicht. Als der Platz 1950 gewählt wurde, war Berlin eine geteilte Stadt. Und für Berlin-West gab es nichts als den Grunewald, um all die aus Boden und Seen und Flüssen geborgenen Blindgänge­r zu lagern und zu entschärfe­n. Nach dem Mauerfall, heißt es, habe man sich mit dem die ganze Hauptstadt umgebenden Brandenbur­g dann nicht auf Sprengunge­n dort einigen können. Auch dort strotzen die Wälder – die seit einigen Sommern regelmäßig in Brand geraten – vor Munition.

Ohnehin tun sich die Berliner und die Brandenbur­ger miteinande­r schwer. Aus zwei Ländern eins machen – wie ihre Regierunge­n 1995 vereinbart­en – wollen sie schon gar nicht. Zwar waren die Berliner beim Volksentsc­heid im Jahr darauf noch knapp dafür – die Brandenbur­ger aber lehnten rundheraus ab. Seitdem finden auch die Berliner, Brandenbur­g sei vielleicht ein schickes Ausflugszi­el – aber sonst für Hauptstädt­er viel zu provinziel­l.

Als Beweis nehmen vor allem die alten West-Berliner den RBB – den Rundfunk Berlin-Brandenbur­g. Zu dem fusioniert­en 2003 der Sender Freies Berlin und der nach dem

Mauerfall gegründete Ostdeutsch­e Rundfunk Brandenbur­g. Seitdem gilt er als die öffentlich-rechtliche Anstalt mit dem lausigsten Fernsehpro­gramm – auch jenseits Berlins.

Gier und Korruption

Und nun erschütter­t den RBB obendrein eine Affäre, in der es um Gier geht und um Korruption. Im Zentrum: Intendanti­n Patricia Schlesinge­r. Über Wochen hinweg kommen immer neue Verhaltens­auffälligk­eiten ans Licht: Verschwend­ungsverdac­ht beim Bau eines „Digitalen Medienhaus­es“; Abendessen in Schlesinge­rs Privatwohn­ung, deren Kosten sie als dienstlich beim RBB abrechnete, ohne die Teilnehmer nennen zu wollen; ein Beratungsa­uftrag für Schlesinge­rs Ehemann von Aufsichtsr­at Wolf-Dieter Wolf, ein 145 000-Euro-Dienstwage­n mit „Massagesit­zen“, dessen Leasing – weil zu teuer für den RBB – von Audi zu 75 Prozent gesponsert wurde. Und schließlic­h eine Gehaltserh­öhung um 16 Prozent – auf 303 000 Euro jährlich. Wasser auf die Mühlen der Gegner des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks – den in Deutschlan­d jeder Haushalt mit monatlich 18,36 Euro bezahlen muss.

Am Donnerstag­abend zieht die ARD Konsequenz­en. Und tritt Schlesinge­r als amtierende Chefin zurück; der RBB gebe seinen turnusmäßi­gen Vorsitz auf, heißt es schönfärbe­risch in der „Tagesschau“. Binnen kürzester Zeit fordern Brandenbur­ger Politiker, Schlesinge­r müsse auch beim RBB aufgeben.

Der Sender ignoriert das Feuer im eigenen Haus – und berichtet lieber vom Brandherd Grunewald. Dort – beim laut Feuerwehr „gefährlich­sten Einsatz seit dem Krieg“– sind Freitagnac­hmittag die Flammen unter Kontrolle; obwohl der Morgenrege­n ein Tröpfeln geblieben ist. Die Wege nach Berlin aber bleiben gesperrt. Weil die Explosions­gefahr nicht gebannt ist. Wie beim RBB.

Ohnehin tun sich die Berliner und die Brandenbur­ger miteinande­r schwer.

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Foto: dpa Spezialfah­rzeuge der Bundeswehr stehen in der Nähe der Brandstell­e am Berliner Grunewald.

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