Deutschland übertreibt es
Bitte beachten Sie: In deutschen Zügen gilt immer noch die Pflicht zum Maskentragen, so oder ähnlich lautet die Durchsage, wenn man von Luxemburg aus in Richtung Trier fährt. Dann greifen viele Leute kurz hinter Wasserbillig in ihre Hosentasche, um der Tragepflicht Genüge zu tun; andere ignorieren die Durchsage ganz. Denn die Vorschrift ist aus der Zeit gefallen: Kaum irgendwo muss man noch in Zügen oder Bussen Maske tragen. Außer in Deutschland gilt fast in der ganzen EU der einfache Grundsatz: Keine besondere Gefährdungslage mehr, also auch kein Anlass, den Menschen derlei Verhaltensweisen vorzuschreiben. „Covid-19 wird nicht mehr als gesellschaftskritische Krankheit eingestuft“, hieß es etwa unmissverständlich in Dänemark – und dies schon im Februar. Auch in Frankreich endete im August der Gesundheitsnotstand. Der Trend geht ganz klar in Richtung weiterer Lockerungen – außer in Deutschland.
Denn ab dem Herbst zeichnet sich wieder eine strengere Maskenpflicht ab. Die Bundesländer können dann eine generelle Maskenpflicht in Innenräumen beschließen, die bis April 2023 andauern soll. Länder wie Luxemburg hüten sich hingegen zu Recht, von einer solchen völlig pauschalen Masken-Gängelung von Oktober bis Ostern Gebrauch zu machen. Sie behalten stattdessen das Infektionsgeschehen im Auge und reagieren mit Schutzmaßnahmen, falls geboten.
Besonders besorgniserregend ist, dass die deutsche Regierung Maßnahmen aus dem Experimentierkasten hervorkramt, die eine spaltende Wirkung auf die Gesellschaft haben. So hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach durchgesetzt, dass der Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen ab Oktober nur dann problemlos möglich sein wird, wenn die letzte Impfung weniger als drei Monate zurückliegt. Wer dann beispielsweise „nur“dreimal geimpft ist, wird höheren Hürden unterliegen und kostenpflichtige Tests herbeischaffen müssen. Veranstalter werden wieder Corona-Pässe kontrollieren müssen, was einen hohen Aufwand sowie ständige Gereiztheit bei Personal und Gästen bedeutet.
Die neuen Schikanen für alle, die zwar geimpft und sogar geboostert sind, aber „nur“einmal, dienen erkennbar dazu, dass die Menschen sich möglichst bald die nächste Spritze setzen lassen. Weil der Impfstatus nur noch drei Monate gültig ist, werden sich Menschen genötigt fühlen, sich eine vierte und am besten noch in diesem Winter eine fünfte Impfung geben zu lassen. Dieser Druck ist fatal, schließlich sehen viele Experten solche Vielfach-Boosterungen nur für Betagte und Schutzbedürftige als sinnvoll an.
Das luxemburgische Gesundheitsministerium empfiehlt die vierte Dosis etwa nur für über 60-Jährige. Bei vielen Jüngeren, die mit milden Verläufen rechnen können, dürfte sich die Begeisterung über weitere Booster in Grenzen halten – die starken Nebenwirkungen lassen grüßen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die luxemburgische Regierung nicht vom Aktionismus eines Karl Lauterbach infizieren lässt. Denn wenn eine hohe Inzidenz keine schwerwiegenden Folgen für die Kliniken hat, weil die Verläufe milder und die Immunität der Bevölkerung höher ist, dann sind pauschale Maßnahmen nicht zu rechtfertigen.
In Sachen vierter Booster macht Berlin zu viel Druck – das ist nicht gut.
Kontakt: michael.merten@wort.lu