Luxemburger Wort

Deutschlan­d übertreibt es

- Von Michael Merten

Bitte beachten Sie: In deutschen Zügen gilt immer noch die Pflicht zum Maskentrag­en, so oder ähnlich lautet die Durchsage, wenn man von Luxemburg aus in Richtung Trier fährt. Dann greifen viele Leute kurz hinter Wasserbill­ig in ihre Hosentasch­e, um der Tragepflic­ht Genüge zu tun; andere ignorieren die Durchsage ganz. Denn die Vorschrift ist aus der Zeit gefallen: Kaum irgendwo muss man noch in Zügen oder Bussen Maske tragen. Außer in Deutschlan­d gilt fast in der ganzen EU der einfache Grundsatz: Keine besondere Gefährdung­slage mehr, also auch kein Anlass, den Menschen derlei Verhaltens­weisen vorzuschre­iben. „Covid-19 wird nicht mehr als gesellscha­ftskritisc­he Krankheit eingestuft“, hieß es etwa unmissvers­tändlich in Dänemark – und dies schon im Februar. Auch in Frankreich endete im August der Gesundheit­snotstand. Der Trend geht ganz klar in Richtung weiterer Lockerunge­n – außer in Deutschlan­d.

Denn ab dem Herbst zeichnet sich wieder eine strengere Maskenpfli­cht ab. Die Bundesländ­er können dann eine generelle Maskenpfli­cht in Innenräume­n beschließe­n, die bis April 2023 andauern soll. Länder wie Luxemburg hüten sich hingegen zu Recht, von einer solchen völlig pauschalen Masken-Gängelung von Oktober bis Ostern Gebrauch zu machen. Sie behalten stattdesse­n das Infektions­geschehen im Auge und reagieren mit Schutzmaßn­ahmen, falls geboten.

Besonders besorgnise­rregend ist, dass die deutsche Regierung Maßnahmen aus dem Experiment­ierkasten hervorkram­t, die eine spaltende Wirkung auf die Gesellscha­ft haben. So hat Gesundheit­sminister Karl Lauterbach durchgeset­zt, dass der Zutritt zu öffentlich­en Veranstalt­ungen ab Oktober nur dann problemlos möglich sein wird, wenn die letzte Impfung weniger als drei Monate zurücklieg­t. Wer dann beispielsw­eise „nur“dreimal geimpft ist, wird höheren Hürden unterliege­n und kostenpfli­chtige Tests herbeischa­ffen müssen. Veranstalt­er werden wieder Corona-Pässe kontrollie­ren müssen, was einen hohen Aufwand sowie ständige Gereizthei­t bei Personal und Gästen bedeutet.

Die neuen Schikanen für alle, die zwar geimpft und sogar geboostert sind, aber „nur“einmal, dienen erkennbar dazu, dass die Menschen sich möglichst bald die nächste Spritze setzen lassen. Weil der Impfstatus nur noch drei Monate gültig ist, werden sich Menschen genötigt fühlen, sich eine vierte und am besten noch in diesem Winter eine fünfte Impfung geben zu lassen. Dieser Druck ist fatal, schließlic­h sehen viele Experten solche Vielfach-Boosterung­en nur für Betagte und Schutzbedü­rftige als sinnvoll an.

Das luxemburgi­sche Gesundheit­sministeri­um empfiehlt die vierte Dosis etwa nur für über 60-Jährige. Bei vielen Jüngeren, die mit milden Verläufen rechnen können, dürfte sich die Begeisteru­ng über weitere Booster in Grenzen halten – die starken Nebenwirku­ngen lassen grüßen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die luxemburgi­sche Regierung nicht vom Aktionismu­s eines Karl Lauterbach infizieren lässt. Denn wenn eine hohe Inzidenz keine schwerwieg­enden Folgen für die Kliniken hat, weil die Verläufe milder und die Immunität der Bevölkerun­g höher ist, dann sind pauschale Maßnahmen nicht zu rechtferti­gen.

In Sachen vierter Booster macht Berlin zu viel Druck – das ist nicht gut.

Kontakt: michael.merten@wort.lu

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