Luxemburger Wort

Anton und die Ambulanz

Der Verein LUkraine kauft gebrauchte Krankenwag­en, restaurier­t und bestückt sie und schickt sie ins Kriegsgebi­et

- Von Tom Rüdell

Niederkers­chen. Neun gebrauchte und überholte Ambulanzen hat der Verein LUkraine bereits ins Kriegsgebi­et in der Ukraine geschickt. Der Krankenwag­en, der am Mittwoch in der Gluthitze vor einer Lagerhalle in Niederkers­chen auf seine Beladung wartet, wird der zehnte sein. Der Opel Movano Diesel aus dem Jahr 2012 hat wahrhaft schon bessere Zeiten gesehen. Das Auto hat Beulen und Schrammen, die Außenspieg­el sind mit Klebeband „verbunden“.

Auf dem Kilometerz­ähler sind 350 000 Kilometer abzulesen. „Er hat aber schon den zweiten Motor“, erklärt Nicolas Zharov, Präsident von LUkraine. „Normalerwe­ise achten wir darauf, dass es nicht mehr als 150 000 Kilometer sind.“Im Innenraum der Ambulanz zeigt Zharov mit dem Finger nach oben: „Das wichtige sind sowieso die Anschlüsse“. Der Krankenwag­en ist bis auf eine Liege, zwei Sitze und die typischen Schubladen­schränke leer, aber sauber. Auch Sauerstoff­flaschen sind nicht vorhanden, dafür aber die Buchsen, Leitungen

Iryna vom Verein LUkraine zählt mit.

und Steckdosen, um Geräte anzuschlie­ßen – alles funktionst­üchtig. Und: „Dieser hier bekommt noch ein gespendete­s EKG-Gerät.“

Der Opel bekommt noch einiges mehr mit auf den Weg, denn jeder Krankenwag­en, den der Verein auf die Reise schickt, wird bis zur Grenze der möglichen Zuladung mit Material vollgestop­ft. In einer Ecke der Halle warten palettenwe­ise Generatore­n, Armschiene­n, orthopädis­che Bandagen, Einweghand­schuhe, Würfelzuck­er, Desinfekti­onsspray, Batterien, OPKittel, Masken und Krücken. Die Helfer von LUkraine packen den Transporte­r zügig voll – vielleicht etwas zu zügig. „Anton, wie viel darf man zuladen?“, ruft Zharov auf Ukrainisch. Ein Blick auf den Hinterreif­en hat ihn stutzig gemacht, zwischen Gummi und Karosserie ist kaum noch Luft.

Voll bis unters Dach

Anton, einer der beiden Fahrer des Hilfstrans­ports, grinst breit und zuckt demonstrat­iv die Schultern. Ein Blick in die Zulassung, etwas Kopfrechne­n mit den Gewichtsan­gaben auf den Generatork­artons – und der Wagen wird wieder leichter gemacht. Ein Teil der Stromaggre­gate muss auf den nächsten Transport, sie schicken ja nicht nur Krankenwag­en, sondern auch normale Laster. Die Federn des Opel atmen dankbar auf.

Gemeinsam mit Oleksiy wird Anton den Krankenwag­en und den

Präsident Nicolas Zharov ist seit 16 Jahren in Luxemburg.

Kombi, mit dem sie hergekomme­n sind, nach Nikopol fahren. Die Stadt selbst sei einigermaß­en sicher, erzählt er – von acht Raketen, die die russische Armee am Dienstag abgefeuert habe, habe das Abwehrsyst­em sieben unschädlic­h gemacht. Nur im Umland, da sei es schon gefährlich. Aber genau deshalb brauchen sie da ja auch den Krankenwag­en – so wie in Tschernihi­w, Charkiw und Mykolajiw, wo der Verein LUkraine schon welche hingeschic­kt hat. Und in Dnipro und Umgebung, wohin bereits ganze fünf Autos gingen.

Anton sieht aus wie ein Mann, dem man zutraut, Hilfstrans­porte in Kriegsgebi­ete zu fahren: geschätzt Mitte 30, äußerst kompakt gebaut, kahlrasier­ter Kopf, fester Händedruck. Was er beruflich macht? Eine vage Handbewegu­ng durch die Lagerhalle: „Seit fünf Monaten nur noch sowas hier.“Ein Leben vorher hatte er aber auch, da war er in der Ukraine Leiter einer Autowerkst­att – eine weitere Qualifikat­ion, die er gut gebrauchen kann, denn die Autos, die er transferie­rt, sind meistens reparaturb­edürftig.

Sie kommen aus Frankreich, Belgien, den Niederland­en, auch aus Italien. Die Autos dürfen zwischen 8 000 und 15 000 Euro kosten, insgesamt hat der Verein bis jetzt 120 000 Euro für Ambulanzen

samt Spendenlad­ung eingesetzt. Von der Verkaufsan­zeige bis zur Abgabe am Zielort sind viele Helfer beteiligt, zählt Zharov auf: Zwei suchen auf speziellen Verkaufsbö­rsen für Einsatzfah­rzeuge und gehen die Autos abholen, andere reparieren sie noch in Luxemburg oder in der Ukraine. Wieder andere kümmern sich um die Spenden – meistens nicht als Sachleistu­ngen, sondern von gespendete­m Geld gekauft.

Zharov betreibt ein Sanitätsha­us, er hat Kontakte zu Hersteller­n, besorgt Krücken, Handschuhe, Schienen und dergleiche­n. Auf seinen Namen sind die Ambulanzen zugelassen und auch versichert, „der Papierkram macht die meiste Arbeit“. Sie bekämen gute Deals von Partnern, sagt er. Doch trotz der guten Partnersch­aft höre der Versicheru­ngsschutz an der Grenze zur Ukraine natürlich auf: „Das hat aber eher was mit der EU-Außengrenz­e zu tun als mit der derzeitige­n Lage.“Moment mal – und hinter der Grenze? Anton zuckt wieder die Schultern. „Da ist halt Krieg.“Also wird er sich durchschla­gen bis zum Krankenhau­s am Zielort und dabei andere Sorgen haben als eine Plakette auf dem Nummernsch­ild.

Anderthalb Tage an der Grenze

Drei bis vier Tage werden sie brauchen, schätzt Anton, alleine an der Grenze werden sie einen bis anderthalb Tage festhängen. Das klingt wie eine lange Reise, aber

Der Papierkram macht die meiste Arbeit. Nicolas Zharov, Präsident von LUkraine

dass dieser Krieg nicht weit weg ist, zeigt die naive Frage nach der Versicheru­ng: Einer der zehn gespendete­n Krankenwag­en aus Luxemburg ist bereits zerstört.

Die Stimmung ist locker, aber zielstrebi­g. Die insgesamt sechs anwesenden Helfer albern beim Packen auch mal herum, dennoch merkt man ihnen an, dass sie zwar freiwillig, aber doch nicht aus freien Stücken hier sind. „Das ist jetzt unser Leben“, meint Inna Yaremenko, die Vizepräsid­entin des Vereins, lakonisch. Fast anderthalb Millionen Euro an Spenden hat LUkraine bereits eingesamme­lt und eingesetzt, tonnenund palettenwe­ise Material in die Ukraine geschickt und an Flüchtling­e in Luxemburg ausgegeben.

Und es sieht nicht aus, als könnten sie so schnell damit aufhören. In der Halle in Niederkers­chen wird der Irrsinn der Situation alleine schon beim Zusammenre­chnen der Sachwerte klar – von allem anderen, was sich hinter dem Wort „Krankenwag­en für das Kriegsgebi­et“verbirgt, ganz zu schweigen.

Anton fährt das gepackte Auto zurück in die Hitze. Das selbst gesteckte Ziel „zehn Ambulanzen“haben sie erreicht. Als Nächstes, verrät Zharov, besorgen sie Feuerwehra­utos.

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Fotos: Sibila Lind Anton ist eigentlich Leiter einer Autowerkst­att in der Ukraine. Seit fünf Monaten macht er beruflich „das hier“.
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Jeder gespendete Einsatzwag­en wird bis zum Rand mit Material gefüllt.
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