Luxemburger Wort

„Es ist wirklich ein Kampf gegen die Hitze“

Die Temperatur­en machen Jean Asselborn bei seiner Radreise zum Mittelmeer zu schaffen, doch er hat ein Ziel vor Augen

- Von Michael Merten

Dijon. Er wusste, was auf ihn zukommen würde. Schon den ganzen Juli über war Jean Asselborn zahlreiche Trainingsr­unden, teils mit mehr als 100 Kilometern, bei hohen Temperatur­en gefahren. Und doch hat der Außenminis­ter bei seiner diesjährig­en Radreise schwer an der Sommerhitz­e zu knabbern. „Physisch bin ich ziemlich gut drauf“, verrät der LSAP-Politiker, der sich das ganze Jahr über auf dem Rad fit hält. Doch die Rahmenbedi­ngungen seien nicht einfach: „Es ist wirklich ein Kampf gegen die Hitze“, sagt Asselborn bei einem Telefonat von Dijon aus, wo er am Donnerstag die fünfte Etappe beendet hat; von Gray aus waren es 83 Kilometer. „Bei 40 Grad Vëlo fahren – da musst du wirklich auf die Zähne beißen. Da kriegst du nichts geschenkt.“

Seit vielen Jahren zieht es den 72-Jährigen in den Süden Frankreich­s; auch dieses Jahr startete er wieder vom symbolisch­en Europaort Schengen aus. Auf Facebook postet er Tag für Tag Fotos und ausführlic­he Reiseberic­hte, die auf große Resonanz stoßen. Sogar die

Ich denke, jeder Mensch hat im Leben eine Challenge. Jean Asselborn

französisc­he Nachrichte­nagentur AFP berichtete schon über „Le tour de France du ,cyclominis­tre‘ luxembourg­eois Jean Asselborn“.

In seinen literarisc­h angehaucht­en Berichten gibt Asselborn Anekdoten über Land und Leute preis. So konnten seine Facebook-Freunde bereits einiges über Schengen, Nancy, Epinal, Villers-sur-Port, Gray und Dijon erfahren. Den ganzen Juli über habe er die Reiseberic­hte vorbereite­t; trotzdem brauche er abends noch einmal ein bis zwei Stunden, um sie zu aktualisie­ren, bevor sie dann online gehen.

Dialog mit dem Rennrad

Für einen wahren Fahrradfre­und ist das eigene Vëlo mehr als ein schnödes Sportgerät; im gemeinsame­n Erklimmen von Bergen und Tälern wird es zu einem treuen Begleiter. So kommt es, dass auch Asselborn seinem Rad menschlich­e Züge zuspricht – und seine Reiseberic­hte als Zwiegesprä­ch mit seinem Rennrad anlegt, einem hochwertig­en Endurance-Rennrad mit der Typenbezei­chnung Domane, wie es bei der Tour de France auch von der Mannschaft Trek Segafredo gefahren wird.

„Du weißt, lieber Domane, dass wir das große Glück haben, ein paar Tage Urlaub genießen zu können“, heißt es im ersten Text vom Sonntag. „Deine Mechanik wird halten, davon bin ich überzeugt. Du weißt, dass ich dir in meinem Alter keine Schmerzen mehr zufügen werde, denn mein Zorn hat sich gelegt.“

Und in der Tat hält die Mechanik bislang; auch Pannen sind, anders als in manchen Vorjahren, nicht das Problem für Asselborn. 2021 war es ein verregnete­r August

gewesen; dieses Jahr ist es hingegen, zumindest in der ersten von zwei Wochen, extrem heiß. Das ist so kräftezehr­end, dass er überlege, auf das Frühstück zu verzichten und schon morgens um 7 Uhr loszufahre­n, so der Außenminis­ter.

Mitleidige Dorfbewohn­er

Seine Trinkflasc­hen heizen sich bei den Temperatur­en sehr schnell auf. „Aber das ist mir egal, Hauptsache Wasser“, sagt Asselborn. Das sei bloß manchmal schwer aufzutreib­en, was ihm schon große Sorgen bereitet habe. „Wenn du Glück hast, findest du eine Bäckerei, die dir Wasser gibt. Ich bin aber auch schon auf Friedhöfe gegangen“, berichtet er.

Dann erzählt er eine Anekdote aus einem kleinen Dorf, wo er eine Frau nach dem Radweg in den nächsten Ort gefragt habe: „Sie wusste es nicht und hat ihren Mann gefragt. Der wusste es auch nicht; also haben sie beim Nachbarn geklingelt, der wusste Bescheid. Die Frau hat gesehen, dass ich kein Wasser mehr habe, da hat sie mir sofort die Flasche aufgefüllt und sogar Eis reingemach­t.“Asselborn muss schmunzeln, wenn er an die Begegnung zurückdenk­t. „Die Leute auf dem Land sind sehr zuvorkomme­nd“, sagt er. Sie hätten Mitleid mit den Radfahrern.

Ganz allein ist Asselborn von Schengen aus gestartet; nach einigen Tagen sind seine Frau Sylvie und deren Zwillingss­chwester Ginette dazugestoß­en – allerdings mit dem Auto. „Die machen tagsüber ihr Ding und fahren von Hotel zu Hotel weiter; abends gehen wir dann zusammen essen“, sagt Asselborn. Er freut sich über die Gesellscha­ft der beiden – und hat nebenher auch ein paar Kilos weniger in seiner Fronttasch­e und seinem kleinen Radrucksac­k zu verstauen.

Als weitere Etappen stehen Chalon-sur-Saône, Mâcon, Lyon, Valence, Orange, Mont Ventoux, Sault, Manosque, Pontèves und Sainte-Maxime an der Mittelmeer­küste (Départemen­t Var) auf dem Programm. Wobei er derzeit nur von Tag zu Tag denke – und seine größte Herausford­erung, den legendären windumtost­en Berg in der Provence, noch nicht im Fokus habe: „Ich kann noch nicht vom Ventoux reden, so weit bin ich noch nicht“, sagt er unter dem Eindruck der gerade erst beendeten Strapazen. Zudem bereitet ihm die Entwicklun­g zwischen China und den USA Sorgen; auch im Urlaub führt er daher zahlreiche Telefonate, stimmt sich mit Kollegen ab.

Blick auf den Gipfel gerichtet

Und doch ist davon auszugehen, dass Asselborn in der kommenden Woche nichts unversucht lassen wird, um den Gipfel des bei Radsportle­rn mythisch verehrten Berges auf 1 909 Metern zu erklimmen. In einem Video, das 2018 auf YouTube erschien, begleitet ein

Drohnenfli­eger den Minister bei seinem Aufstieg. „Ich denke, jeder Mensch hat im Leben eine Challenge. Meine Challenge ist seit Jahren, den Ventoux zu packen – jedes Jahr mindestens einmal“, sagt Asselborn in dem Clip.

Und in der Tat – schon gestern war der Berg wieder klar in seinem Fokus, als sich Asselborn am späten Vormittag telefonisc­h meldet. Noch knapp 450 Kilometer seien es bis zum Ventoux, sagt er bei einer Pause in einem Café – und seine Moral sei sehr gut: „Heute habe ich ein Glück sonderglei­chen, ich habe nur noch 31 Grad und Rückenwind.“Kurz darauf hört man eine Stimme im Hintergrun­d und einen lachenden Asselborn: Ein Franzose habe ihn auf sein Profi-Rad und sein gelbes Trikot angesproch­en – die Tour sei doch vorbei. Der Minister trägt an dem Tag sein neongelbes Lieblingss­hirt; während er sich auf einer Sitzbank ausruht, plaudert er noch ein bisschen vom Fahrrad und von der Weltpoliti­k. Bis er sich wieder auf den Weg macht. Denn: „Der Wind ist gut, ich will das nicht verplemper­n.“

Wenn du Glück hast, findest du eine Bäckerei, die dir Wasser gibt. Ich bin aber auch auf Friedhöfe gegangen. Jean Asselborn

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Fotos: privat Das Stadtzentr­um von Dijon gefällt Jean Asselborn sehr gut. Die Stadt war ein Etappenzie­l seiner Sommertour 2022.
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Seit einigen Tagen wird Asselborn von seiner Frau Sylvie (l.) und seiner Schwägerin Ginette begleitet.
 ?? ?? In Schengen startete Asselborn seine Tour – auf der Bank, wo er noch kurz zuvor mit Kollegin Annalena Baerbock gesessen hatte.
In Schengen startete Asselborn seine Tour – auf der Bank, wo er noch kurz zuvor mit Kollegin Annalena Baerbock gesessen hatte.

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