„Es ist wirklich ein Kampf gegen die Hitze“
Die Temperaturen machen Jean Asselborn bei seiner Radreise zum Mittelmeer zu schaffen, doch er hat ein Ziel vor Augen
Dijon. Er wusste, was auf ihn zukommen würde. Schon den ganzen Juli über war Jean Asselborn zahlreiche Trainingsrunden, teils mit mehr als 100 Kilometern, bei hohen Temperaturen gefahren. Und doch hat der Außenminister bei seiner diesjährigen Radreise schwer an der Sommerhitze zu knabbern. „Physisch bin ich ziemlich gut drauf“, verrät der LSAP-Politiker, der sich das ganze Jahr über auf dem Rad fit hält. Doch die Rahmenbedingungen seien nicht einfach: „Es ist wirklich ein Kampf gegen die Hitze“, sagt Asselborn bei einem Telefonat von Dijon aus, wo er am Donnerstag die fünfte Etappe beendet hat; von Gray aus waren es 83 Kilometer. „Bei 40 Grad Vëlo fahren – da musst du wirklich auf die Zähne beißen. Da kriegst du nichts geschenkt.“
Seit vielen Jahren zieht es den 72-Jährigen in den Süden Frankreichs; auch dieses Jahr startete er wieder vom symbolischen Europaort Schengen aus. Auf Facebook postet er Tag für Tag Fotos und ausführliche Reiseberichte, die auf große Resonanz stoßen. Sogar die
Ich denke, jeder Mensch hat im Leben eine Challenge. Jean Asselborn
französische Nachrichtenagentur AFP berichtete schon über „Le tour de France du ,cycloministre‘ luxembourgeois Jean Asselborn“.
In seinen literarisch angehauchten Berichten gibt Asselborn Anekdoten über Land und Leute preis. So konnten seine Facebook-Freunde bereits einiges über Schengen, Nancy, Epinal, Villers-sur-Port, Gray und Dijon erfahren. Den ganzen Juli über habe er die Reiseberichte vorbereitet; trotzdem brauche er abends noch einmal ein bis zwei Stunden, um sie zu aktualisieren, bevor sie dann online gehen.
Dialog mit dem Rennrad
Für einen wahren Fahrradfreund ist das eigene Vëlo mehr als ein schnödes Sportgerät; im gemeinsamen Erklimmen von Bergen und Tälern wird es zu einem treuen Begleiter. So kommt es, dass auch Asselborn seinem Rad menschliche Züge zuspricht – und seine Reiseberichte als Zwiegespräch mit seinem Rennrad anlegt, einem hochwertigen Endurance-Rennrad mit der Typenbezeichnung Domane, wie es bei der Tour de France auch von der Mannschaft Trek Segafredo gefahren wird.
„Du weißt, lieber Domane, dass wir das große Glück haben, ein paar Tage Urlaub genießen zu können“, heißt es im ersten Text vom Sonntag. „Deine Mechanik wird halten, davon bin ich überzeugt. Du weißt, dass ich dir in meinem Alter keine Schmerzen mehr zufügen werde, denn mein Zorn hat sich gelegt.“
Und in der Tat hält die Mechanik bislang; auch Pannen sind, anders als in manchen Vorjahren, nicht das Problem für Asselborn. 2021 war es ein verregneter August
gewesen; dieses Jahr ist es hingegen, zumindest in der ersten von zwei Wochen, extrem heiß. Das ist so kräftezehrend, dass er überlege, auf das Frühstück zu verzichten und schon morgens um 7 Uhr loszufahren, so der Außenminister.
Mitleidige Dorfbewohner
Seine Trinkflaschen heizen sich bei den Temperaturen sehr schnell auf. „Aber das ist mir egal, Hauptsache Wasser“, sagt Asselborn. Das sei bloß manchmal schwer aufzutreiben, was ihm schon große Sorgen bereitet habe. „Wenn du Glück hast, findest du eine Bäckerei, die dir Wasser gibt. Ich bin aber auch schon auf Friedhöfe gegangen“, berichtet er.
Dann erzählt er eine Anekdote aus einem kleinen Dorf, wo er eine Frau nach dem Radweg in den nächsten Ort gefragt habe: „Sie wusste es nicht und hat ihren Mann gefragt. Der wusste es auch nicht; also haben sie beim Nachbarn geklingelt, der wusste Bescheid. Die Frau hat gesehen, dass ich kein Wasser mehr habe, da hat sie mir sofort die Flasche aufgefüllt und sogar Eis reingemacht.“Asselborn muss schmunzeln, wenn er an die Begegnung zurückdenkt. „Die Leute auf dem Land sind sehr zuvorkommend“, sagt er. Sie hätten Mitleid mit den Radfahrern.
Ganz allein ist Asselborn von Schengen aus gestartet; nach einigen Tagen sind seine Frau Sylvie und deren Zwillingsschwester Ginette dazugestoßen – allerdings mit dem Auto. „Die machen tagsüber ihr Ding und fahren von Hotel zu Hotel weiter; abends gehen wir dann zusammen essen“, sagt Asselborn. Er freut sich über die Gesellschaft der beiden – und hat nebenher auch ein paar Kilos weniger in seiner Fronttasche und seinem kleinen Radrucksack zu verstauen.
Als weitere Etappen stehen Chalon-sur-Saône, Mâcon, Lyon, Valence, Orange, Mont Ventoux, Sault, Manosque, Pontèves und Sainte-Maxime an der Mittelmeerküste (Département Var) auf dem Programm. Wobei er derzeit nur von Tag zu Tag denke – und seine größte Herausforderung, den legendären windumtosten Berg in der Provence, noch nicht im Fokus habe: „Ich kann noch nicht vom Ventoux reden, so weit bin ich noch nicht“, sagt er unter dem Eindruck der gerade erst beendeten Strapazen. Zudem bereitet ihm die Entwicklung zwischen China und den USA Sorgen; auch im Urlaub führt er daher zahlreiche Telefonate, stimmt sich mit Kollegen ab.
Blick auf den Gipfel gerichtet
Und doch ist davon auszugehen, dass Asselborn in der kommenden Woche nichts unversucht lassen wird, um den Gipfel des bei Radsportlern mythisch verehrten Berges auf 1 909 Metern zu erklimmen. In einem Video, das 2018 auf YouTube erschien, begleitet ein
Drohnenflieger den Minister bei seinem Aufstieg. „Ich denke, jeder Mensch hat im Leben eine Challenge. Meine Challenge ist seit Jahren, den Ventoux zu packen – jedes Jahr mindestens einmal“, sagt Asselborn in dem Clip.
Und in der Tat – schon gestern war der Berg wieder klar in seinem Fokus, als sich Asselborn am späten Vormittag telefonisch meldet. Noch knapp 450 Kilometer seien es bis zum Ventoux, sagt er bei einer Pause in einem Café – und seine Moral sei sehr gut: „Heute habe ich ein Glück sondergleichen, ich habe nur noch 31 Grad und Rückenwind.“Kurz darauf hört man eine Stimme im Hintergrund und einen lachenden Asselborn: Ein Franzose habe ihn auf sein Profi-Rad und sein gelbes Trikot angesprochen – die Tour sei doch vorbei. Der Minister trägt an dem Tag sein neongelbes Lieblingsshirt; während er sich auf einer Sitzbank ausruht, plaudert er noch ein bisschen vom Fahrrad und von der Weltpolitik. Bis er sich wieder auf den Weg macht. Denn: „Der Wind ist gut, ich will das nicht verplempern.“
Wenn du Glück hast, findest du eine Bäckerei, die dir Wasser gibt. Ich bin aber auch auf Friedhöfe gegangen. Jean Asselborn