Dogmatische Nabelschau
Linke Ideale sind eindeutig und aufrichtig. Zu diesen gehören die Empathie mit all jenen, die strukturell unterdrückt werden, die Stärkung der Selbstbestimmung von Bevölkerungsgruppen, denen das Mitspracherecht oft verweigert wird, und der
Mut, für all dies zu kämpfen – auch wenn es manchmal aussichtslos erscheint.
Nimmt man diese Werte ernst, ist die Haltung der fast gesamten westeuropäischen Linken im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein einziger Fall von Hochverrat.
Weil die Linken in Frankreich, Deutschland, Belgien oder Luxemburg sich noch immer an dem Bild der USA als Quelle allen Übels festkrallen, fehlt jegliche kritische Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus.
Also ist die NATO-Osterweiterung Schuld am Beginn des Krieges und nicht die kolonialen Fantasien aus Moskau.
„Wir verurteilen die Aggression“, lautet es zwar, aber eine vermeintliche Provokation des Westens wird diskursiv als Grund legitimiert, um einen Vernichtungskrieg zu starten.
Dass souveräne Demokratien eigenwillig einem Bündnis beitreten wollen, um angesichts eines aggressiven und hoch militarisierten Nachbarn fortbestehen zu können, will man schlicht nicht akzeptieren. Aus dem (wohlgemerkt seit Ewigkeiten NATO-geschützten) Wohnzimmer wird der Ukraine, Georgien – aber auch Rumänien oder den baltischen Staaten – indes die Neutralität empfohlen. Dass man dadurch in kolonialistische Denkmuster verfällt, die man anderswo um jeden Preis zu bekämpfen versucht, fällt vielen nicht einmal auf. Dafür ist die Ignoranz und Verachtung den Osteuropäern gegenüber einfach zu groß.
Die Aufrechterhaltung des eigenen Weltbildes ist auch die Hauptsorge vieler Linken, wenn sie die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisieren, weil dies den Krieg angeblich nur unnötig verlängern würde. Vielen Linken sind die pazifistischen Gewissheiten demnach wichtiger, als den Ukrainern die Mittel zu geben, die sie nun einmal brauchen, um sich gegen Mord, Vergewaltigung und kulturellen Genozid zu verteidigen. Man muss kein Fan der Waffenindustrie sein – Putins brutaler Aufmarsch Richtung Kiew wird man aber leider nicht mit Wasserpistolen aufhalten können.
Ebenso naiv und selbstbezogen sind die Appelle nach Diplomatie als Alternative zur Selbstverteidigung der Ukraine. „Diplomatie anstatt Krieg“ist ein lobenswerter Slogan, ignoriert aber wissentlich die unzähligen Wortbrüche Russlands im Umgang mit Kiew und den in Moskau mehrmals klar ausgedrückten Wunsch, die Ukraine als eigenständigen Staat zu vernichten. Eine nachhaltige diplomatische Lösung wird es demnach nur geben, wenn die russische Armee auf dem Schlachtfeld gestoppt wird.
Dabei hätte ausgerechnet Luxemburg mehr Gerechtigkeit, wie sie von „Déi Lénk“innenpolitisch gefordert wird, nötig. Doch eine Partei, die derart an überkommenen Denkmustern festhält und so verbissen darauf verzichtet, die Wirklichkeit nüchtern zu betrachten, kann nicht den Anspruch erheben, als politische Alternative ernst genommen zu werden. Dafür sind bereits zu viele unschuldige Ukrainer gestorben.
Kontakt: diego.velazquez@wort.lu