Der Duft der Vergangenheit
Helga Griffiths und ihre Arbeit an der Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt
Beim Eintritt in den fast komplett dunklen Raum in der Modernen Galerie Saarbrücken springen einen die scheinbar schwebenden grellen, neongelben ReagenzRöhrchen, die von der Decke bis zum Boden hinab, eine Art Lichtvorhang bilden, förmlich an. Die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, das Gehirn begreift, was die Augen sehen: Die Anordnung der Röhrchen bilden die Form eines menschlichen DNA-Strangs, genauer gesagt, den der Künstlerin Helga Griffiths. Spiralförmig aufgehängt, kann man durch das Lichtermeer hindurch gehen, nach oben schauen und sich plötzlich fühlen, als sei man mitten im Universum gelandet.
Kunst trifft auf Wissenschaft
Ein Erlebnis, das charakteristisch für die multisensuellen Arbeiten der Künstlerin ist. Sie verbindet einen philosophisch-ganzheitlichen Blick auf das Leben, über Installationen, mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Mensch, Ökologie und Kultur. „Mich hat es schon immer fasziniert, wie Wissenschaft und Kunst hier zusammen kommen“, sagt Kuratorin Dr. Andrea Jahn, die bereits in der Stadtgalerie mit Griffiths zusammengearbeitet hat. Faszinierend sei vor allem Griffiths’s Anspruch, die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung auszuloten, diese in der Arbeit selbst darzustellen, sie aber auch gleichzeitig zu benutzen.
„Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass Duft bei der Erinnerung sehr wichtig ist – als auch beim Prozess, etwas wieder aus der Erinnerung hervorzurufen“, weiß Griffith, die selbst bereits am MaxPlanck-Institut gearbeitet hat. So befindet sich ein kleiner, rauchender Duftgenerator unter dem funkelnden, ersten synthetisch hergestellten Diamanten aus Steinkohle. Dieser gibt den Duft von, seit Millionen Jahren gepresstem Wald- und Moormaterial unter der Erde wieder. Ein bisschen Wald kann man im Duft noch erkennen, altes Gehölz, etwas undefinierbar, rauchiges, dennoch leicht süßes.
Offenbar der Geruch der Vergangenheit, der sich als gepresstes Leben in Form von Steinkohle als Energie manifestiert. Für die Duftkompositionen arbeitet sie schon seit den 90ern mit dem Parfümeur Karl-Heinz Bork zusammen.
„Wir beide lieben das Experimentieren, aber auch den Umgang mit Wissenschaft. So habe ich zum Beispiel nach Interviews mit den Wissenschaftlern des Instituts für Planetenforschung in Berlin, Planetendüfte entwickelt, die auf dem
Klima, der Geologie, der chemischen bzw. physikalischen Beschaffenheit basieren.“
Es sei eine Passion von beiden, sich etwas als Duft vorzustellen. „Mir geht es aber auch um eine Grundstimmung. Vertrauen in die Wahrnehmung wird immer wichtiger. Wo Informationen gesteuert, durch Digitalisierung verfälscht oder sogar von einem Roboter ausgeführt werden – all das hat unser Vertrauen zerstört.“So spricht sie indirekt das Ur-Vertrauen in die eigene Wahrnehmung an, das durch konditioniertes Denken, mehr und mehr verloren geht.
Griffiths arbeitet mit zahlreichen wissenschaftlichen Experten zusammen, aber auch mit Komponisten, wie Johannes S. Sistermanns, mit dem sie zu ihren Lichtund Videoinstallationen passende Klangcollagen erstellt. Grollende, rumorende Klänge, den Erdbeben, hervorgerufen, durch Kohleabbau nachempfunden, begleiten die Installation „Something in the Ground“und schaffen eine fast düstere Atmosphäre, die an die Zerstörung der Natur durch den Menschen erinnert.
Kohlenstoff als Lebensbasis
Mit glutroten Lichtstäben auf dem Boden, die flackernd auf Geräusche und Schritte reagieren, versinnbildlicht sie den seit dem 17. Jahrhundert brennenden Berg im Saarkohlewald. Fotos in Petrischalen, die brennende Kohleflöze aus der ganzen Welt zeigen, liegen kreisförmig unter einer runden Projektionsfläche an der Decke, die den Himmel über der Modernen Galerie live herunterprojiziert. „Eine echte Herausforderung für das Technikteam“, sagt Jahn, die mit Griffiths zusammen nur drei Monate Zeit hatte, die vielen kleinen und großen Installationen zu einer einzigartigen Erfahrung zu machen.
Das Grundmaterial von allem ist Kohlenstoff. Er ist in jedem Lebewesen enthalten, aber auch in allen Materialien der Erde und gilt als Voraussetzung für die Entstehung von Leben. Nur eine von vielen Erkenntnissen darüber, dass alles miteinander verbunden ist. Spätestens vor der riesigen Leinwand, die ein Zusammenspiel aus den Formen einer tomografischen Aufnahme von Griffiths Gehirn und dem Flug über einen Gletscher zeigt, wird deutlich, dass die Geschichte des Lebens in unseren eigenen Gehirn-Windungen, in unserer DNA, genauso wie in den Erdlandschaften zu finden ist.
„Sensing the Unseen“von Helga Griffiths, noch bis zum 14. August in der Modernen Galerie Saarrbücken. Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 7 Euro.