Luxemburger Wort

Weg frei für „grüne Wende“

Die USA stehen kurz davor, fast 370 Milliarden US-Dollar in den Klimaschut­z zu investiere­n

- Von Thomas Spang (Washington)

Am Ende eines politische­n Sommermärc­hens entdeckt der Senatsführ­er den inneren Poeten in sich. „Es war eine lange, schwierige und sich windende Straße“, sagt der von einem nächtliche­n Marathon sichtlich gezeichnet­e Chuck Schumer. „Es war ein langer Tag und eine lange Nacht, aber wir sind angekommen.“Die Ausdauer habe sich gelohnt. „Der Senat hat Geschichte geschriebe­n.“

Demonstrat­iv steckt er mit Joe Manchin die Köpfe aneinander, klatscht ihm anschließe­nd mit einem „High-Five“die Hand ab. Als schon niemand mehr damit rechnete, schockte Manchin vergangene­n Monat das politische Washington mit der Aufgabe seiner Blockade beim Klimaschut­z. Er half die andere Zauderin, Kyrsten Sinema aus Arizona, zu überzeugen, das als „Inflation Reduction Act“neu etikettier­te Reformpake­t zu unterstütz­en.

Zentrales Wahlkampfv­ersprechen Schumer machte Zugeständn­isse bei der Vergabe neuer Lizenzen zur Gas- und Ölforderun­g, einem Pipelinepr­ojekt und dem Erhalt eines Steuerschl­upflochs für Hedgefonds-Manager. Aus Sicht des Senatsführ­ers war das ein verhältnis­mäßig kleiner Preis für ein großes Ziel, an dem der Kongress über Jahrzehnte immer wieder gescheiter­t war, seit der NASA-Forscher James Hansen 1988 im Senat erstmals vor dem „Treibhause­ffekt“warnte.

Und auch diesmal sah alles nach einem Scheitern aus, als Manchin vergangene­n Dezember Bidens „Build-Back-Better“-Paket als zu ambitionie­rt eine Absage erteilte.

Schumers Hartnäckig­keit verbunden mit der stillen Verhandlun­gsdiplomat­ie des Weißen Hauses machten am Ende den Weg frei für den Sinneswand­el des Kohlesenat­ors aus West Virginia und die Einlösung des Klimaversp­rechens des Präsidente­n.

Mit einer von Experten veranschla­gten Verringeru­ng der Treibhausg­asemission­en um 40 Prozent unter dem Stand von 2005 bleibt der erwartete Effekt der gesetzgebe­rischen Maßnahmen knapp hinter den 50 Prozent zurück, die Joe Biden als Zielmarke ausgegeben hat. Der Rest lässt sich, so die Hoffnung, mit Exekutivbe­fehlen und Initiative­n der Bundesstaa­ten wettmachen.

„Das hat viele Kompromiss­e abverlangt“, lobte Biden den hauchdünne­n „51 zu 50“-Abstimmung­serfolg im Senat am späten Sonntagnac­hmittag. „Aber bei wichtigen Sachen ist das immer so“. Die Regierung werde nun endlich wieder Dinge tun, „die Familien helfen“. Die entscheide­nde Stimme gab Vizepräsid­entin Kamala Harris nach einem nächtliche­n „Voteo-Rama“ab, bei dem der Senat über unzählige Zusatzarti­kel (sogenannte „Amendments“) abstimmte, mit denen die Republikan­er das Paket aufzuhalte­n versuchten.

Die notwendige Zustimmung im Repräsenta­ntenhaus am kommenden Freitag gilt als sicher. Speakerin Nancy Pelosi versprach, das

Gesetz absegnen zu lassen, sobald der Senat den Entwurf zuleitet. „Wir werden das beschließe­n“, sagt Pelosi, deren Gespür für die Stimmung in ihrer Fraktion legendär ist. Die Progressiv­en hätten sich mehr gewünscht, wollen „dem Fortschrit­t“aber, wie deren Sprecherin Pramila Jayapal sagt, „nicht im Weg stehen“.

Anreize statt Strafen

Die Liste der beschlosse­nen Klimainiti­ativen ist lang und setzt auf Anreize statt Strafen. Herzstück sind Hilfen für Industrie, Landwirtsc­haft und Privathaus­halte bei Produktion, Anschaffun­g und Einsatz erneuerbar­er Energien. Es fließen Milliarden­beträge in die einheimisc­he Herstellun­g von Solarund Windanlage­n, steuerlich­e Anreize für die Amerikaner, ihre Häuser zu modernisie­ren und Rabatte für den Kauf von Elektrofah­rzeugen. Das Gesetz schafft eine „grüne Bank“für innovative Projekte, investiert in benachteil­igte Nachbarsch­aften, zahlt höhere Prämien für in die Erde geleitetes CO2 und erhöht die Kosten für den Ausstoß von Methan.

Senator Brian Schatz aus Hawaii ist nach der Abstimmung so gerührt, dass ihm die Tränen über die Wangen fließen. „Seit Jahrzehnte­n haben wir dafür gekämpft“, sagt der Demokrat. „Jetzt kann ich meinen Kindern in die Augen schauen und sagen, dass wir wirklich etwas fürs Klima getan haben.“

Der ehemalige Vizepräsid­ent Al Gore weiß, dass dies keine Übertreibu­ng ist und spricht von einem „historisch­en Wendepunkt“. Er war der Erste, der nach Hansens Warnung 1993 die Initiative ergriff, ein Klimaschut­zpaket durch den Kongress zu bekommen. Er scheiterte am Widerstand der Republikan­er; wie 2009 auch Barack Obama mit seinem „Cap-and-Trade“-Gesetz.

Auch diesmal hielt die Front der republikan­ischen Neinsager, die das Klimapaket als „rücksichts­lose Verschwend­ung“von Steuergeld­ern charakteri­sieren. Zusammen mit den ebenfalls beschlosse­nen Reformen bei der Gesundheit­spolitik und den Unternehme­nssteuern werde das Gesetz die Teuerung nur weiter anheizen. „Erst erledigten Sie das Haushaltsb­udget Ihrer Familie, jetzt wollen Sie auch Ihre Jobs killen“, kritisiert­e Minderheit­sführer Mitch McConnell den „Inflation Reduction Act“.

Sehr zum Missfallen der TrumpRepub­likaner konnte der MeisterTak­tierer im Kongress nicht verhindern, dass die Demokraten in den vergangene­n Wochen einen unerwartet guten Lauf hatten. Erstmals seit drei Jahrzehnte­n konnten sie kleinere gesetzlich­e Änderungen am Waffengese­tz beschließe­n, die Gesundheit­sversorgun­g der Veteranen verbessern und erhebliche Investitio­nen in die Herstellun­g von Computerch­ips und Forschung durchsetze­n.

All das hilft auch dem angeschlag­enen Image von Präsident Biden, der zuletzt auch mit der Tötung von Al-Kaida-Chef Aiman alSawahiri punkten konnte. Der frisch gebackene „Klimaschut­z“Präsident plant, seine Errungensc­haften vor den Zwischenwa­hlen im November offensiv den Wählern zu verkaufen. Erster Stopp war gestern der Bundesstaa­t Kentucky, der mit gewaltigen Überschwem­mungen in diesem Sommer unter den Folgen des Klimawande­ls ganz besonders leidet.

Der Senat hat Geschichte geschriebe­n. Senatsführ­er Chuck Schumer

 ?? Foto: AFP ?? Die Pläne von US-Präsident Joe Biden für Investitio­nen in den Klimaschut­z schienen schon gescheiter­t. Nun hat der Senat doch noch ein Gesetzespa­ket beschlosse­n – wenn auch in abgespeckt­er Version. Ein Erfolg für Biden ist es dennoch.
Foto: AFP Die Pläne von US-Präsident Joe Biden für Investitio­nen in den Klimaschut­z schienen schon gescheiter­t. Nun hat der Senat doch noch ein Gesetzespa­ket beschlosse­n – wenn auch in abgespeckt­er Version. Ein Erfolg für Biden ist es dennoch.

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