Weg frei für „grüne Wende“
Die USA stehen kurz davor, fast 370 Milliarden US-Dollar in den Klimaschutz zu investieren
Am Ende eines politischen Sommermärchens entdeckt der Senatsführer den inneren Poeten in sich. „Es war eine lange, schwierige und sich windende Straße“, sagt der von einem nächtlichen Marathon sichtlich gezeichnete Chuck Schumer. „Es war ein langer Tag und eine lange Nacht, aber wir sind angekommen.“Die Ausdauer habe sich gelohnt. „Der Senat hat Geschichte geschrieben.“
Demonstrativ steckt er mit Joe Manchin die Köpfe aneinander, klatscht ihm anschließend mit einem „High-Five“die Hand ab. Als schon niemand mehr damit rechnete, schockte Manchin vergangenen Monat das politische Washington mit der Aufgabe seiner Blockade beim Klimaschutz. Er half die andere Zauderin, Kyrsten Sinema aus Arizona, zu überzeugen, das als „Inflation Reduction Act“neu etikettierte Reformpaket zu unterstützen.
Zentrales Wahlkampfversprechen Schumer machte Zugeständnisse bei der Vergabe neuer Lizenzen zur Gas- und Ölforderung, einem Pipelineprojekt und dem Erhalt eines Steuerschlupflochs für Hedgefonds-Manager. Aus Sicht des Senatsführers war das ein verhältnismäßig kleiner Preis für ein großes Ziel, an dem der Kongress über Jahrzehnte immer wieder gescheitert war, seit der NASA-Forscher James Hansen 1988 im Senat erstmals vor dem „Treibhauseffekt“warnte.
Und auch diesmal sah alles nach einem Scheitern aus, als Manchin vergangenen Dezember Bidens „Build-Back-Better“-Paket als zu ambitioniert eine Absage erteilte.
Schumers Hartnäckigkeit verbunden mit der stillen Verhandlungsdiplomatie des Weißen Hauses machten am Ende den Weg frei für den Sinneswandel des Kohlesenators aus West Virginia und die Einlösung des Klimaversprechens des Präsidenten.
Mit einer von Experten veranschlagten Verringerung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent unter dem Stand von 2005 bleibt der erwartete Effekt der gesetzgeberischen Maßnahmen knapp hinter den 50 Prozent zurück, die Joe Biden als Zielmarke ausgegeben hat. Der Rest lässt sich, so die Hoffnung, mit Exekutivbefehlen und Initiativen der Bundesstaaten wettmachen.
„Das hat viele Kompromisse abverlangt“, lobte Biden den hauchdünnen „51 zu 50“-Abstimmungserfolg im Senat am späten Sonntagnachmittag. „Aber bei wichtigen Sachen ist das immer so“. Die Regierung werde nun endlich wieder Dinge tun, „die Familien helfen“. Die entscheidende Stimme gab Vizepräsidentin Kamala Harris nach einem nächtlichen „Voteo-Rama“ab, bei dem der Senat über unzählige Zusatzartikel (sogenannte „Amendments“) abstimmte, mit denen die Republikaner das Paket aufzuhalten versuchten.
Die notwendige Zustimmung im Repräsentantenhaus am kommenden Freitag gilt als sicher. Speakerin Nancy Pelosi versprach, das
Gesetz absegnen zu lassen, sobald der Senat den Entwurf zuleitet. „Wir werden das beschließen“, sagt Pelosi, deren Gespür für die Stimmung in ihrer Fraktion legendär ist. Die Progressiven hätten sich mehr gewünscht, wollen „dem Fortschritt“aber, wie deren Sprecherin Pramila Jayapal sagt, „nicht im Weg stehen“.
Anreize statt Strafen
Die Liste der beschlossenen Klimainitiativen ist lang und setzt auf Anreize statt Strafen. Herzstück sind Hilfen für Industrie, Landwirtschaft und Privathaushalte bei Produktion, Anschaffung und Einsatz erneuerbarer Energien. Es fließen Milliardenbeträge in die einheimische Herstellung von Solarund Windanlagen, steuerliche Anreize für die Amerikaner, ihre Häuser zu modernisieren und Rabatte für den Kauf von Elektrofahrzeugen. Das Gesetz schafft eine „grüne Bank“für innovative Projekte, investiert in benachteiligte Nachbarschaften, zahlt höhere Prämien für in die Erde geleitetes CO2 und erhöht die Kosten für den Ausstoß von Methan.
Senator Brian Schatz aus Hawaii ist nach der Abstimmung so gerührt, dass ihm die Tränen über die Wangen fließen. „Seit Jahrzehnten haben wir dafür gekämpft“, sagt der Demokrat. „Jetzt kann ich meinen Kindern in die Augen schauen und sagen, dass wir wirklich etwas fürs Klima getan haben.“
Der ehemalige Vizepräsident Al Gore weiß, dass dies keine Übertreibung ist und spricht von einem „historischen Wendepunkt“. Er war der Erste, der nach Hansens Warnung 1993 die Initiative ergriff, ein Klimaschutzpaket durch den Kongress zu bekommen. Er scheiterte am Widerstand der Republikaner; wie 2009 auch Barack Obama mit seinem „Cap-and-Trade“-Gesetz.
Auch diesmal hielt die Front der republikanischen Neinsager, die das Klimapaket als „rücksichtslose Verschwendung“von Steuergeldern charakterisieren. Zusammen mit den ebenfalls beschlossenen Reformen bei der Gesundheitspolitik und den Unternehmenssteuern werde das Gesetz die Teuerung nur weiter anheizen. „Erst erledigten Sie das Haushaltsbudget Ihrer Familie, jetzt wollen Sie auch Ihre Jobs killen“, kritisierte Minderheitsführer Mitch McConnell den „Inflation Reduction Act“.
Sehr zum Missfallen der TrumpRepublikaner konnte der MeisterTaktierer im Kongress nicht verhindern, dass die Demokraten in den vergangenen Wochen einen unerwartet guten Lauf hatten. Erstmals seit drei Jahrzehnten konnten sie kleinere gesetzliche Änderungen am Waffengesetz beschließen, die Gesundheitsversorgung der Veteranen verbessern und erhebliche Investitionen in die Herstellung von Computerchips und Forschung durchsetzen.
All das hilft auch dem angeschlagenen Image von Präsident Biden, der zuletzt auch mit der Tötung von Al-Kaida-Chef Aiman alSawahiri punkten konnte. Der frisch gebackene „Klimaschutz“Präsident plant, seine Errungenschaften vor den Zwischenwahlen im November offensiv den Wählern zu verkaufen. Erster Stopp war gestern der Bundesstaat Kentucky, der mit gewaltigen Überschwemmungen in diesem Sommer unter den Folgen des Klimawandels ganz besonders leidet.
Der Senat hat Geschichte geschrieben. Senatsführer Chuck Schumer