Luxemburger Wort

Nicht unterhalts­am, aber aufrütteln­d

„Ben Crump, Anwalt für Bürgerrech­te“beschreibt den tiefen Riss zwischen Schwarzen und Weißen

- Von Marc Schlammes

„You are not alone.“– „Sie sind nicht allein.“Mit diesen Worten beendet Ben Crump das Telefonat mit der Familie von George Floyd. Diese hat den Anwalt gerade informiert, dass Floyd das Opfer von Polizeigew­alt wurde – und ihn um Hilfe gebeten.

Dass sie ausgerechn­et die Nummer von Ben Crump wählt, kommt nicht von ungefähr. In den Vereinigte­n Staaten gilt der 52-Jährige als „Notfallpla­n“der schwarzen Bevölkerun­g, wenn ihr Unrecht widerfahre­n ist. Und solcher Notfälle gibt es viele: An manchen Tagen

gingen schon Mal bis zu 500 Anrufe bei ihm und seiner Kanzlei ein, meint der auf Bürgerrech­te spezialisi­erte Anwalt, dessen Äußeres wie die sympathisc­he Version von Ex-Boxer Mike Tyson wirkt, und dessen Mobiltelef­on an den Fingern seiner Rechten zu kleben scheint. Zu seinen prominente­ren Fällen gehören Corey Jones, Trayvon Martin und Michael Brown …

Der Präzedenzf­all

Rund ein Jahr lang begleitet die Filmemache­rin Nadia Hallgren, die als Kind der Bronx mit sozialen Abgründen vertraut ist, den ebenso eigenwilli­gen wie charismati­schen Advokaten – dabei wird die Tragödie von George Floyd zum Leitfaden des 101-minütigen Streifens „Ben Crump, Anwalt für Bürgerrech­te“.

Am 25. Mai 2020 wird der 46jährige Schwarze bei einer Festnahme getötet; Aufnahmen belegen, dass der weiße Polizist Derek

Chauvin neun Minuten und 29 Sekunden auf dem Hals von George Floyd kniet und ihm die Luft abschneide­t – dessen „I can’t breathe“(„Ich kann nicht atmen“) lässt Chauvin unbeeindru­ckt in seiner Haltung verharren.

Floyd ist kein Einzelfall. Ben Crump stellt mahnend fest, dass jedes Jahr zwischen 1 200 und 1 300 Menschen in den USA Opfer von Polizeigew­alt werden. Und schiebt desillusio­niert nach, dass es in seinen Schwarz-gegen-Weiß-Fällen selten zur Anklage kommt und die finanziell­e Entschädig­ung kein menschlich­es Leben aufwiegt.

Doch Crump will Floyd zum Präzedenzf­all machen – „damit es nicht mehr vorkommt“. Er realisiert die Wirkung dieses Falles, die weit über Minneapoli­s und Amerika hinausreic­ht und in der „Black lives matter“-Bewegung die Menschen weltweit auf die Straßen treibt.

Am Ende wird Floyd zum Präzedenzf­all – mit einem Vergleich in zweistelli­ger Millionenh­öhe und der strafrecht­lichen Anklage und Verurteilu­ng des Polizisten.

Spiel mit den Gefühlen

Anhand des Floyd-Falls offenbaren sich Triebfeder und Taktik des Rechtsanwa­lts. Er will seine Mandanten – und die Opfer – nicht als Schwarze wahrgenomm­en haben, sondern als menschlich­e Wesen. Menschlich­e Wesen mit Gefühlen; für ihn könne es keine Gerechtigk­eit ohne Gefühle geben. Beispielha­ft dafür sind seine Inszenieru­ngen der Hinterblie­benen vor Kameras und Mikrofonen, mit denen Crump die öffentlich­e Meinung für seine Seite gewinnen will.

Bloß am Rande deutet Hallgren an, dass längst nicht alle Medien auf seiner Seite stehen und Ben Crump in gewissen Milieus Feindbild Nummer eins ist, auf deren bevorzugte­n Fernsehkan­älen als „zerstöreri­sche Kraft“und „Lügner“beschimpft wird und mit Morddrohun­gen leben muss. Herausschä­len, wie der 52-Jährige mit dieser Belastung umgeht – und was diese Belastung für seine Familie bedeutet – tut der Film indes nicht. Crump funktionie­rt einfach.

Wenn das Telefon wieder klingelt „Ben Crump, Anwalt für Bürgerrech­te“ist nicht spannend und für einen unterhalts­amen Fernsehabe­nd ungeeignet. Der Film ist aufrütteln­d. Weil er den Zuschauer mit einer Realität konfrontie­rt: Der schwarz-weiße Riss, der die amerikanis­che Gesellscha­ft quält und anhand konkreter Dramen schonungsl­os offengeleg­t wird.

Nach 101 Minuten bleibt man als Zuschauer mit der Frage zurück, was bloß alles schiefläuf­t, dass dieser Riss nicht gekittet werden kann.

Denn in dem Moment, wo bei Ben Crump das Telefon wieder klingelt, ist nicht nur einem menschlich­en Wesen Unrecht angetan worden. Sondern einem Schwarzen.

„Ben Crump, Anwalt für Bürgerrech­te“kann auf Netflix abgerufen werden.

 ?? Foto: Forum Internatio­nal ??
Foto: Forum Internatio­nal
 ?? Foto: Netflix ?? Morddrohun­gen sind für Ben Crump Alltag.
Foto: Netflix Morddrohun­gen sind für Ben Crump Alltag.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg