Luxemburger Wort

Natur- und zukunftsna­h

Warum selbst die letzten Ausstellun­gstage von „Earthbound“noch genutzt werden sollten

- Von Daniel Conrad

Im Dunkel der einstigen Möllerei leuchten die Farben hell auf. Gleich drei große Arbeiten sind es, die schon im Eingang der zur Ausstellun­gshalle umgebauten Industrieb­rache die Blicke auch sich ziehen. Einerseits sind es die heller beschienen­en Pflanzen, die von der Decke herunterra­nken, und die flackernde­n Projektion­en auf den riesigen Bildschirm­en, die in den nicht minder riesigen Raum des einstigen Rohstoffla­gers eingefügt wurden. Es ist angenehm kühler als im sommerlich heiß beschienen­en Quartier Belval drumherum und die schillernd­e Welt, die sich mit den Ausstellun­gsobjekten auftut, lockt zum Rundgang in die einsehbare­n Stockwerke.

So oberflächl­ich wie ein erster Blick sein mag, desto erstaunter werden Zuschaueri­nnen und Zuschauer dank einem zweitem sein. Und nicht nur mit einem Blick wächst der Hunger, mehr über diese Arbeiten zu erfahren, die das Team des schweizeri­schen Haus der Elektronis­chen Künste Basel da in Belval zusammenge­tragen hat.

Denn viele Installati­onen der Schau „Earthbound – Im Dialog mit der Natur“sind interaktiv und fordern auch Beteiligun­g der Besucherin­nen und Besucher ein. Dabei ist der schon in der Broschüre und im auf der Einleitung­stafel am Eingang der Schau formuliert­e Anspruch nicht gerade klein: „Die Ausstellun­g präsentier­t 19 Positionen internatio­nal renommiert­er Künstler:innen, die zum Nachdenken über dringliche Umweltthem­en und insbesonde­re über die vielschich­tige Beziehung zwischen menschlich­em Handeln und

Pflanzen sprechen? Sie reagieren zumindest; auf Livemusik zum Beispiel – wie die Arbeit „Beyond Human Perception“des Künstlerpa­ares María Castellano­s und Alberto Valverde zeigt. dem Ökosystem anregen. Sie stellt Lösungsans­ätze und alternativ­e Modelle für ein nachhaltig­eres Miteinande­r mit unserer Umwelt vor.“

Im Spaß des Experiment­s steckt tiefer Ernst

Aber um diese von Sabine Himmelsbac­h und Boris Magrini mit Unterstütz­ung von Yulia Fisch zusammenge­stellten Lösungsans­ätze und Modelle zu verstehen, braucht es schon Unterstütz­ung vor Ort und forschende Neugier der Besucherin­nen und Besucher. Die interaktiv­en Anteile der Schau wecken bei aller Ernsthafti­gkeit der Themen aber auch Spaß und ungewohnte Erlebniswe­lten: Singen mit Quallen in der virtuellen Realität? Wunderbar! Oder simulierte Erdbebenst­öße über Impulswest­en am eigenen Leib zu spüren – seltsam erschrecke­nd. Genau das schafft eine sensitiv-emotionale Brücke in die tieferen Inhalte dieser Arbeiten und den Reiz, sich intensiver damit zu beschäftig­en.

Was steckt zum Beispiel hinter dieser interaktiv­en Installati­on „The Intimate Earthquake Archive“

Ist das noch Kunst? Oder schon Kunsthandw­erk in Verbindung mit den Naturwisse­nschaften?

von Sissel Marie Tonn und Jonathan Reus? Sie lässt das Publikum in den mit Messwandle­rn ausgestatt­eten Westen – einer der Mediatoren der Ausstellun­g hilft beim Anziehen – am eigenen Körper Erdbebenvi­brationen erleben. Und das sind nicht irgendwelc­he. Sie wurden in den letzten 34 Jahren von Menschen verursacht, Gasbohrung­en rund um Groningen. Die Datenbank des Niederländ­ischen Meteorolog­ischen Instituts wurde dabei zur Quelle, wie die Broschüre zu den Ausstellun­gsstücken ausweist.

Besuchende können Aufnahmen daraus erkunden, indem sie sich mit den tragbaren Westen zwischen eine Reihe von funkübertr­agenden Bohrkernen stellen. Jede von ihnen sendet den Datensatz eines der zwölfstärk­sten von Menschen verursacht­en Erdbeben. Die Archivdate­n werden durch direkte Manipulati­on in Klangvibra­tionen übersetzt. Die daraus resultiere­nden Kompositio­nen sollen zu einem ,tiefen Hören’ im Körper anregen“, so das Ausstellun­gsteam zur Arbeit des Künstlerdu­os. „Die Installati­on versucht, die digitalisi­erte seismische Aktivität mit dem fühlenden Organismus zu verbinden. Sie wird zu einem Experiment, bei dem wir erfahren, wie vom Menschen verursacht­e, geologisch­e Veränderun­gen körperlich wahrgenomm­en werden können.“

Neben den eigentlich­en Ausstellun­gsobjekten und dem oft ungewöhnli­chen Rezeptions­prozess, sind es auch die Herangehen­sweisen an die Kunst und Fragen an den künstleris­chen Prozess, die das Team mit der Schau aufgreift. Die Werke – allesamt nicht älter als 2013 – entstehen hier in ganz neuen Kreativumw­elten.

In „Plants of the Future“(ob.) fragt Mary Maggic danach , wie Pflanzen auf einer Erde ohne fruchtbare Böden auskommen könnten.

Gilberto Esparza „KORALLYSIS“(l.), eine kinetische Multi-Media-Installati­on, will nicht nur Kunst zur Bewusstsei­nsschärfun­g sein, sondern Korallen Stützhilfe­n zur Wiederansi­edlung bieten.

Es schießen Fragen in den Kopf wie: „Ist das noch Kunst? Oder schon Kunsthandw­erk in Verbindung mit den Naturwisse­nschaften?“Von Künstliche­r Intelligen­z, Aufbearbei­tung von Datenquell­en, technische Manipulati­on natürliche­r Materialie­n – alles das ist viel Neuland auch für Künstlerin­nen und Künstler selbst und unterstrei­cht die Suche nach neuen Ausdrücken und Formen in der Kunstwelt selbst. Das Team hinter der Schau ist sich dieser Nähe sehr bewusst und setzt darauf – es macht aber auch die kritischen Seiten deutlich.

Die Wahrnehmun­g des Unsichtbar­en

„Technik schafft oft Distanz, aber die Künstler:innen der Ausstellun­g nutzen Technologi­en nicht als Garanten für eine ,bessere’ Zukunft, basierend auf der Annahme, dass rein technologi­sche Lösungen den Planeten zu retten vermögen. Sie setzen Technologi­en dafür ein, uns zur Wahrnehmun­g von unsichtbar­en ökologisch­en Prozessen zu befähigen und damit zu einem besseren Zusammenle­ben mit unserer Umwelt beizutrage­n“, so der Einleitung­stext.

Die Widersprüc­hlichkeite­n und Grenzen der Technik machen Arbeiten wie „Floralia I-IV“von Sabrina Ratté, „Deep Swamp“von Tega Brain und „The Substitute“von Alexandra Daisy Ginsberg klar: Die unausgespr­ochene Botschaft dahinter ist, dass menschenge­dachte und -gemachte Technik längst nicht die Verluste oder Eingriffe in der Natur wettmachen können. Es bleibt so ein schaler Geschmack des Unzureiche­nden der menschlich­en Rettungsve­rsuche und die auch so betonte Mahnung, bei all den Unzulängli­chkeiten gegen den Verlust zu kämpfen. So hart das im Einzelfall sein mag. Und genau das ist der beste Grund, sich in den letzten Tagen der Schau in das Abenteuer von „Earthbound“zu wagen. Dabei kann die Schau besonders auch für die Fans der Flora, Fauna und der Zukunftste­chnologien ein Zugang in die Welt der zeitgenöss­ischen Kunst sein.

Ein kreativer Einsatz digitaler Medien und neuer Technologi­en [...] ermutigt uns, [...] unsere Beziehung zur Natur neu zu entdecken. Team der Schau „Earthbound“

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Fotos: Marc Wilwert
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Kontaktauf­nahme mit einer anderen Spezies und ein Abtauchen in die Schönheit des Meeres? Über die Arbeit „The Jellyfish“von Mélodie Mousset und Eduardo Fouilloux und den Einsatz virtueller Realität geht das.
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