Natur- und zukunftsnah
Warum selbst die letzten Ausstellungstage von „Earthbound“noch genutzt werden sollten
Im Dunkel der einstigen Möllerei leuchten die Farben hell auf. Gleich drei große Arbeiten sind es, die schon im Eingang der zur Ausstellungshalle umgebauten Industriebrache die Blicke auch sich ziehen. Einerseits sind es die heller beschienenen Pflanzen, die von der Decke herunterranken, und die flackernden Projektionen auf den riesigen Bildschirmen, die in den nicht minder riesigen Raum des einstigen Rohstofflagers eingefügt wurden. Es ist angenehm kühler als im sommerlich heiß beschienenen Quartier Belval drumherum und die schillernde Welt, die sich mit den Ausstellungsobjekten auftut, lockt zum Rundgang in die einsehbaren Stockwerke.
So oberflächlich wie ein erster Blick sein mag, desto erstaunter werden Zuschauerinnen und Zuschauer dank einem zweitem sein. Und nicht nur mit einem Blick wächst der Hunger, mehr über diese Arbeiten zu erfahren, die das Team des schweizerischen Haus der Elektronischen Künste Basel da in Belval zusammengetragen hat.
Denn viele Installationen der Schau „Earthbound – Im Dialog mit der Natur“sind interaktiv und fordern auch Beteiligung der Besucherinnen und Besucher ein. Dabei ist der schon in der Broschüre und im auf der Einleitungstafel am Eingang der Schau formulierte Anspruch nicht gerade klein: „Die Ausstellung präsentiert 19 Positionen international renommierter Künstler:innen, die zum Nachdenken über dringliche Umweltthemen und insbesondere über die vielschichtige Beziehung zwischen menschlichem Handeln und
Pflanzen sprechen? Sie reagieren zumindest; auf Livemusik zum Beispiel – wie die Arbeit „Beyond Human Perception“des Künstlerpaares María Castellanos und Alberto Valverde zeigt. dem Ökosystem anregen. Sie stellt Lösungsansätze und alternative Modelle für ein nachhaltigeres Miteinander mit unserer Umwelt vor.“
Im Spaß des Experiments steckt tiefer Ernst
Aber um diese von Sabine Himmelsbach und Boris Magrini mit Unterstützung von Yulia Fisch zusammengestellten Lösungsansätze und Modelle zu verstehen, braucht es schon Unterstützung vor Ort und forschende Neugier der Besucherinnen und Besucher. Die interaktiven Anteile der Schau wecken bei aller Ernsthaftigkeit der Themen aber auch Spaß und ungewohnte Erlebniswelten: Singen mit Quallen in der virtuellen Realität? Wunderbar! Oder simulierte Erdbebenstöße über Impulswesten am eigenen Leib zu spüren – seltsam erschreckend. Genau das schafft eine sensitiv-emotionale Brücke in die tieferen Inhalte dieser Arbeiten und den Reiz, sich intensiver damit zu beschäftigen.
Was steckt zum Beispiel hinter dieser interaktiven Installation „The Intimate Earthquake Archive“
Ist das noch Kunst? Oder schon Kunsthandwerk in Verbindung mit den Naturwissenschaften?
von Sissel Marie Tonn und Jonathan Reus? Sie lässt das Publikum in den mit Messwandlern ausgestatteten Westen – einer der Mediatoren der Ausstellung hilft beim Anziehen – am eigenen Körper Erdbebenvibrationen erleben. Und das sind nicht irgendwelche. Sie wurden in den letzten 34 Jahren von Menschen verursacht, Gasbohrungen rund um Groningen. Die Datenbank des Niederländischen Meteorologischen Instituts wurde dabei zur Quelle, wie die Broschüre zu den Ausstellungsstücken ausweist.
Besuchende können Aufnahmen daraus erkunden, indem sie sich mit den tragbaren Westen zwischen eine Reihe von funkübertragenden Bohrkernen stellen. Jede von ihnen sendet den Datensatz eines der zwölfstärksten von Menschen verursachten Erdbeben. Die Archivdaten werden durch direkte Manipulation in Klangvibrationen übersetzt. Die daraus resultierenden Kompositionen sollen zu einem ,tiefen Hören’ im Körper anregen“, so das Ausstellungsteam zur Arbeit des Künstlerduos. „Die Installation versucht, die digitalisierte seismische Aktivität mit dem fühlenden Organismus zu verbinden. Sie wird zu einem Experiment, bei dem wir erfahren, wie vom Menschen verursachte, geologische Veränderungen körperlich wahrgenommen werden können.“
Neben den eigentlichen Ausstellungsobjekten und dem oft ungewöhnlichen Rezeptionsprozess, sind es auch die Herangehensweisen an die Kunst und Fragen an den künstlerischen Prozess, die das Team mit der Schau aufgreift. Die Werke – allesamt nicht älter als 2013 – entstehen hier in ganz neuen Kreativumwelten.
In „Plants of the Future“(ob.) fragt Mary Maggic danach , wie Pflanzen auf einer Erde ohne fruchtbare Böden auskommen könnten.
Gilberto Esparza „KORALLYSIS“(l.), eine kinetische Multi-Media-Installation, will nicht nur Kunst zur Bewusstseinsschärfung sein, sondern Korallen Stützhilfen zur Wiederansiedlung bieten.
Es schießen Fragen in den Kopf wie: „Ist das noch Kunst? Oder schon Kunsthandwerk in Verbindung mit den Naturwissenschaften?“Von Künstlicher Intelligenz, Aufbearbeitung von Datenquellen, technische Manipulation natürlicher Materialien – alles das ist viel Neuland auch für Künstlerinnen und Künstler selbst und unterstreicht die Suche nach neuen Ausdrücken und Formen in der Kunstwelt selbst. Das Team hinter der Schau ist sich dieser Nähe sehr bewusst und setzt darauf – es macht aber auch die kritischen Seiten deutlich.
Die Wahrnehmung des Unsichtbaren
„Technik schafft oft Distanz, aber die Künstler:innen der Ausstellung nutzen Technologien nicht als Garanten für eine ,bessere’ Zukunft, basierend auf der Annahme, dass rein technologische Lösungen den Planeten zu retten vermögen. Sie setzen Technologien dafür ein, uns zur Wahrnehmung von unsichtbaren ökologischen Prozessen zu befähigen und damit zu einem besseren Zusammenleben mit unserer Umwelt beizutragen“, so der Einleitungstext.
Die Widersprüchlichkeiten und Grenzen der Technik machen Arbeiten wie „Floralia I-IV“von Sabrina Ratté, „Deep Swamp“von Tega Brain und „The Substitute“von Alexandra Daisy Ginsberg klar: Die unausgesprochene Botschaft dahinter ist, dass menschengedachte und -gemachte Technik längst nicht die Verluste oder Eingriffe in der Natur wettmachen können. Es bleibt so ein schaler Geschmack des Unzureichenden der menschlichen Rettungsversuche und die auch so betonte Mahnung, bei all den Unzulänglichkeiten gegen den Verlust zu kämpfen. So hart das im Einzelfall sein mag. Und genau das ist der beste Grund, sich in den letzten Tagen der Schau in das Abenteuer von „Earthbound“zu wagen. Dabei kann die Schau besonders auch für die Fans der Flora, Fauna und der Zukunftstechnologien ein Zugang in die Welt der zeitgenössischen Kunst sein.
Ein kreativer Einsatz digitaler Medien und neuer Technologien [...] ermutigt uns, [...] unsere Beziehung zur Natur neu zu entdecken. Team der Schau „Earthbound“