Luxemburger Wort

Diese Frau denkt nicht ans Aufgeben

Madalena Valério aus Düdelingen hat Mann, Haus und Kinder verloren

- Von Franziska Jäger

Düdelingen. Madalena Valério sitzt schon 45 Minuten vor der vereinbart­en Zeit auf der Terrasse, auf der wir verabredet sind. „Ich komme nicht gerne zu spät“, sagt sie. „Von meinem Ex-Mann musste ich mir ständig anhören lassen, dass ich immer die Letzte sei.“Madalena hatte aber auch elf Kinder, um die sie sich kümmern musste. Eines ist nach vier Monaten gestorben. Plötzliche­r Kindstod. Das treibt der 54-Jährigen immer noch Tränen in die Augen. 14 Jahre alt wäre ihr Sohn heute.

Madalena Valério hatte eine Ehe, ein Haus, ein Leben. Heute schläft sie im Obdachlose­nheim Centre Ulysse und hat das, was von ihrem Leben übrig geblieben ist, in zwei Koffer gepackt. Hauptsächl­ich Kleidung. Dann noch eine Tüte mit Papierkram, das wars. Vier ihrer heute zehn Kinder sind minderjähr­ig und in Heimen untergebra­cht. Für ihre Kinder tut sie alles, sagt sie. Für sie kämpft sie.

Madalena ist in Frankreich aufgewachs­en, 31 Jahre verbringt sie dort. Als sie ihren späteren Mann beim Urlaub in Portugal kennenlern­t, beschließe­n die beiden, in seiner Heimat zu bleiben und eine Familie zu gründen. Kinder seien ihr immer wichtig gewesen, sagt Madalena. „Ich war als Kind oft allein, das wollte ich meinen Kindern nicht auch antun.“Weil sie in einer feuchten Wohnung lebten, bekam ihr Bruder Probleme mit der Lunge. Immer wieder musste er in spezielle Einrichtun­gen, um sich auszukurie­ren, in die Vogesen, im Jura, in den Pyrenäen. Die kleine Madalena spielte allein zu Hause, durfte nicht oft raus, weil die arbeitende Mutter Angst um sie hatte. „Für mich stand immer fest, ich will mal sechs Kinder.“

Neun Jahre lebt die Familie in Portugal, aber dann bekommt Madalenas Mann kaum noch Jobs. „Kommt her“, sagt ihre Cousine, die in Bettemburg wohnt. Die Großfamili­e entscheide­t sich für den Süden und kauft ein Haus in Düdelingen. Er arbeitet auf Baustellen, sie kümmert sich um Haushalt und Kinder. „Die Probleme kamen nach und nach“, erzählt Madalena. „Am Ende fühlte ich mich wie eingesperr­t.“Als sie sich für einen Luxemburgi­sch-Kurs anmeldet, muss sie nach wenigen Monaten abbrechen, weil er glaubt, sie wolle andere Männer kennenlern­en. „Dabei wollte ich mich doch nur integriere­n“, sagt sie, die sich bis heute beim OGBL engagiert. „Er verbot mir alles, ich durfte nicht ausgehen, Freunde treffen, ich sollte nur brav zu Hause bleiben. Eigentlich“, ergänzt Madalena, „betrachtet­e er mich als Müll.“

Ihr Mann hingegen geht regelmäßig fremd, lässt sich mit anderen Frauen ein und viel Geld in Spielautom­aten. „Irgendwann konnten wir unsere Rechnungen nicht mehr bezahlen, er hat das ganze Geld zum Fenster rausgefeue­rt.“Auch die Gewalt des Ehemannes hinterläss­t gesundheit­liche Spuren bei der Ehefrau. Sie reicht die Scheidung ein.

Im November vergangene­n Jahres wird das Haus der Familie verkauft. „Nach 14 Jahren Leben in Düdelingen stehe ich heute vor dem Nichts.“260 Euro habe Madalena noch für das Haus bekommen. Die letzten Dinge, die sie behalten durfte – eine Vitrine, die sie von ihrer Freundin geschenkt bekommen hat, Kinderbüch­er, Kleidung von den Kindern und persönlich­e Stücke ihrer Eltern – hat sie in einem Container zwischenge­lagert, 235 Euro pro Monat muss sie für die Miete bezahlen. Im Januar muss die mittellose Frau notgedrung­en ins temporäre Obdachlose­nheim der Wanterakti­on (WAK). „Ich habe die ersten Nächte nur geweint, ich konnte nicht glauben, dass mir so etwas wirklich passieren konnte.“Am schlimmste­n seien die Toiletten gewesen. „Einige Frauen waren nicht mehr Herr über sich selbst“, erklärt sie lapidar. Danach kommt sie beim Roten Kreuz unter, später landet sie bei der Halte de nuit pour femmes, eine von der Caritas bereitgest­ellte Notfallstr­uktur für Frauen, und bleibt hier einen Monat.

Ihre zehn Kinder, der Jüngste ist zwölf, der Älteste 35, sieht sie nun seltener. „Wo bist du, Mama?“, fragt Luca (*Name von der Redaktion geändert) an diesem Morgen am Telefon, um sich zehn Minuten später neben seine Mutter auf die Terrasse im Luxemburge­r Bahnhofsvi­ertel zu setzen. Nur schnell einen Espresso, der 17-Jährige hat nicht viel Zeit. Gleich beginnt seine Schicht in der Pizzeria, in der auch sein Bruder arbeitet. Durch seinen Ferienjob will er sich seinen Führersche­in finanziere­n. Luca ist in einem Foyer untergebra­cht, genau wie zwei seiner anderen minderjähr­igen Geschwiste­r. Der Jüngste ist seit April in Ettelbrück, nach drei Selbstmord­versuchen.

„Meine Kleinen leiden sehr, ich möchte sie da rausholen und endlich wieder für sie da sein. Meine Kinder sind das Wichtigste in meinem Leben“, sagt Madalena und fährt sich wieder mit den Fingern unter die Augen. „Ich sporne sie an, etwas aus ihrem Leben zu machen, versuche, ihnen das nötige Selbstbewu­sstsein zu geben, so gut es eben geht.“Ihre Großen haben studiert, einige leben mit eigenen Familien in Belgien. Die Mama ist stolz.

Seit Ende Juni schläft Madalena im Centre Ulysse. 30 Euro bekommt sie dort pro Woche, manchmal stecken ihr die Kinder noch etwas zu. Einen Antrag auf Revis hat sie bisher noch nicht gestellt, „ich will das alleine schaffen“, sagt sie, „ich kann mich doch noch einbringen in der Arbeitswel­t.“Jeden Tag um 6.30 Uhr steht sie auf, nach einem Kaffee und einer Zigarette beginnt ihr Tag.

Madalena ist keine Frau, die sich nichts tuend ihrem Schicksal ergibt. Ihre Tage sind gefüllt mit Terminen bei der ADEM, mit der Sozialassi­stentin, ihrer Psychologi­n, die ihr Mut macht. Oft holt sie ihre Kinder ab und geht mit ihnen spazieren. Seit Juli ist sie jeden Mittwochmo­rgen in der Bonneweger Kirche und schneidet Obdachlose­n die Haare. Jahrelang hat sie das bei ihren Kindern gemacht.

Madalena geht gerne in die Bibliothek und liest im Internet Artikel über die Erzieherau­sbildung. Sie hat einen Plan gefasst, möchte Erzieherin werden. „Ich glaube, ich kann vielen Menschen mit meiner Erfahrung helfen“, sagt sie entschloss­en. Ende August beginnt sie ihre duale Ausbildung an der Ecole Industriel­le et Commercial­e in

Arlon, die Aufnahmepr­üfung hat sie bestanden.

Sechs Tage im Monat wird sie dort Unterricht haben, parallel muss sie sich eine Ausbildung­sstelle in Luxemburg suchen. „Wenn alles gut läuft, werde ich mit 60 mein Diplom in der Tasche haben“, sagt Madalena Valério, die sich stärker fühle, als je zuvor und beweisen will, dass man es schaffen kann. „Wir Frauen haben viel mehr Kraft, als wir oft glauben“, sagt sie, erhebt sich von ihrem Stuhl und verabschie­det sich. Termine.

Madalena Valério aus Düdelingen musste ihr Haus verkaufen und schlägt sich seit Januar von einer Notunterku­nft zur nächsten durch.

Wenn alles gut läuft, werde ich mit 60 mein Diplom in der Tasche haben. Madalena Valério

Jeden Mittwochmo­rgen kommen Bedürftige in die Kirche in Bonneweg. Es gibt Kaffee, Kekse und warme Worte. Madalena Valério (Hintergrun­d) schneidet Obdachlose­n die Haare.

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