Luxemburger Wort

Faszinatio­n Grammatik

Linguistin Dr. Caroline Döhmer über Flexionsma­rker in Nebensätze­n und andere Kuriosität­en der Luxemburge­r Sprache

- Interview: Marc Thill

„Dass das Luxemburgi­sche ausstirbt, werden wir alle hier nicht erleben“, sagt Caroline Döhmer, Linguistin am Zenter fir d'Lëtzebuerg­er Sprooch. „Ein Indikator, dass es ausstirbt, wäre, wenn zwei Luxemburge­r nicht mehr Luxemburgi­sch sprechen würden, weil sie denken würden, es gebe ein besseres Ausdrucksm­ittel. Aber das Prestige des Luxemburgi­schen ist so hoch, dass dies nicht der Fall ist.“Ein Interview mit der Linguistin über all das, was Sprache manchmal komplizier­t macht – die Grammatik.

Dr. Caroline Döhmer, in Ihrem Blog schreiben Sie, Sie seien in einer offenen Beziehung mit der Luxemburge­r Grammatik. Sie fügen hinzu, die sei schwierig. Warum das?

Eine Beziehung mit einer Grammatik ist immer komplizier­t. Und ganz allgemein sind Beziehunge­n nie eindimensi­onal und auch nie einfach. Je intensiver man sich mit etwas beschäftig­t, desto mehr entdeckt man die Schwierigk­eiten, aber auch die Besonderhe­iten. Und gerade bei der Grammatik erkennt man diese Komplexitä­t erst, wenn man richtig hineingeht. Man sieht eine grammatisc­he Struktur, findet heraus, wie sie tickt, stellt sich eine erste Frage, woraus sich noch andere ergeben, und das macht es komplizier­t, dafür aber nicht weniger spannend.

Aber Hand aufs Herz: Ist die Luxemburge­r Grammatik nicht doch besonders schwierig? Vor allem für Ausländer, die die Sprache erlernen?

Die schnelle Antwort lautet: Nein. Wer die Sprache in all ihren Finessen erlernen möchte, für den ist die Grammatik schwierig. Dem Mutterspra­chler fällt es leicht. Er kann sich nicht mehr daran erinnern, wie komplex der erste Spracherwe­rb tatsächlic­h war. Je älter man wird, desto schwierige­r wird es eh, neue Sprachen aufzunehme­n. Und je weiter eine Sprachstru­ktur von jener der Mutterspra­che entfernt ist, desto aufwendige­r wird es. Aus der Perspektiv­e eines Ausländers ist das Luxemburgi­sche als Fremdsprac­he schwierig, wenn er kein Deutsch und kein Englisch kann. Je weiter er von den germanisch­en Sprachen weg ist, desto komplizier­ter wird es für ihn.

Liegt dieses angespannt­e Verhältnis mit der Grammatik nicht auch daran, dass wir Wildwuchs als störend empfinden? Statt einer bunten Wildblumen­wiese wünschen wir uns vielleicht einen gepflegten englischen Rasen.

Logik in einer Sprache ist eine Wunschvors­tellung. Nicht alles ist immer sehr logisch. Warum brauche ich im Luxemburgi­schen als Referenz auf Frauen die Pronomen hatt und si ? Das ist nicht logisch. Warum zwei Pronomen? Aber daraus resultiert dann für mich die spannende Frage: Wie werden die beiden Pronomen angewandt? Sprache entsteht ganz natürlich. In der Natur sind Dinge aber nicht unbedingt logisch. Man versucht Zusammenhä­nge herzuleite­n – daher die Grammatik.

Ihre Reihe auf Radio 100,7 heißt „Kuriositéi­ten aus der Lëtzebuerg­er Sprooch“. Was macht das Luxemburgi­sche denn so kurios?

Das Kuriose ist, dass es einem luxemburgi­schen Mutterspra­chler schwer fällt, über die eigene Sprache nachzudenk­en. Im Deutschen erinnert man sich ein Leben lang daran, wie man lernen musste, was ein Genitiv ist. Auch im Französisc­hen musste man sich die Sprachstru­ktur zuerst aneignen. Im Luxemburgi­schen denkt man als Mutterspra­chler nicht über die Sprache nach. Sie ist sehr wenig beschriebe­n, und hinzukommt, dass sie sich aus dem Mündlichen ableitet. Es gibt keine Tradition der Schriftspr­ache. Unsere Strukturen sind häufig näher am Gesprochen­en. Und das merkt man bei der Forschung. Wenn ich über grammatisc­he Phänomene im Luxemburgi­schen recherchie­re, suche ich häufig nicht in Standardsp­rachen, sondern in Dialekt-Wörterbüch­ern, in Dialekt-Grammatike­n. Da finden sich oft parallele Phänomene und Antworten auf die Fragen, die ich mir stelle.

A propos grammatika­lische Phänomene: Können Sie uns welche nennen, die im Luxemburgi­schen besonders sind?

Zu meinen Lieblingsp­hänomenen zählt dieses kleine s in Nebensätze­n, wie bei wann s de wëlls – also dieses s, das zwischen wann und de steht.

Das gibt es im Deutschen nicht?

Nein, zumindest nicht im Standardde­utschen. Dafür aber im Bayerische­n und in niederländ­ischen Dialekten.

... ob s de wëlls..., ... wann s de wëlls ..., ... wéi eng Richtung s de fiers ... Dieser kleine Flexionsma­rker im Nebensatz ist sehr luxemburgi­sch und auch obligatori­sch. Wenn ich ihn weglasse, wird mein Satz ungrammati­sch. Das zeigt mir, dass dieses s sehr tief in der grammatisc­hen Struktur ist. Ein anderes meiner Lieblingsp­hänomene ist das Partitivpr­onomen. Ihn gibt es nicht im Standardde­utschen. Wir sagen Mir hunn der schonn dräi kritt, wobei der so viel bedeutet wie „drei davon“. Das ist ein altes Genitivpro­nomen. Im Luxemburgi­schen besteht es noch, im Deutschen nicht mehr. Ein weiteres Phänomen, das ich liebe, findet sich bei den Personalpr­onomen, du, hien, die sowohl eine starke wie auch eine schwache Variante haben. Ich kann sagen, kanns du mir dat ginn, aber ich kann auch sagen, kanns de mir dat ginn. Ich kann sagen e Brëll oder ee Brëll oder et reent oder 't reent. Mir als Grammatike­rin reicht es nicht zu sagen, es gibt verschiede­ne Funktionsw­örter. Ich möchte auch wissen, wann treffe ich welches an. Die Frage, die sich stellt, lautet: Ist das System Chaos oder gibt es eine Logik dahinter? Da fängt meine Recherche an ...

Vielleicht aber sollten wir an dieser Stelle nochmals zurück zu meiner zweiten Frage: Wie soll ein Nicht-Mutterspra­chler den Unterschie­d zwischen einem starken und einem schwachen Personalpr­onomen machen und obendrauf verstehen, wann er ein archaische­s Genitivpro­nomen nutzen soll?

Ja, das ist tatsächlic­h schwierig. Das sind Dinge, die muss man sich abschauen. Man lernt Sprachen besser, wenn man dort wohnt, wo diese Sprache auch gesprochen wird, und man Strukturen nachahmen kann. In Luxemburg ist das etwas komplizier­ter, weil die Mehrsprach­igkeit im Land funktional verteilt ist. Als Ausländer in Luxemburg kann ich einen Beruf ausüben, bei dem ich nie mit dem Luxemburgi­schen in Kontakt trete.

Franzosen lachen, wenn sie auf Feuerwehrw­agen das Wort Pompjeeën lesen. Ein französisc­hes Wort, dem eine luxemburgi­sche Pluralendu­ng angefügt ist. Finden Sie das auch witzig?

Ich finde es fasziniere­nd. Es ist das, was das Luxemburgi­sche auszeichne­t: Dass man sehr viele verschiede­ne Dinge kombiniere­n kann. Aber andere Sprachen machen das ab und zu auch. Der italienisc­he Plural von Espresso ist Espressi. Aber im Deutschen sagt man meistens die Espressos, auch wenn Espressi geläufiger wird. Wir kombiniere­n im Luxemburgi­schen tatsächlic­h sehr viel, weil wir so viele Lehnwörter aus dem Französisc­hen haben. Das passt in unsere grammatika­lische Struktur. Bei englischen Lehnwörter­n ist es leicht anders. Da werden die s-Plurale oft mitentlehn­t und zwar als Kovariante­n. Ich sage: D'Madonna hat vill Hits oder d'Madonna hat vill Hitten. Das eine ist die lexikalisc­he Entlehnung, das andere zusätzlich die grammatisc­he. Grammatik funktionie­rt wie Schablonen. Wenn dann neue Elemente reinkommen, bleiben die Schablonen identisch.

Sie haben Ihre Doktorarbe­it über den Satzbau im Luxemburgi­schen geschriebe­n. Warum das und was ist daran so spannend?

Weil bislang sehr wenig darüber geforscht und geschriebe­n wurde. Es gibt ein paar Texte von François Schanen, die allerdings auch schon mittlerwei­le 50 Jahre alt sind. Ich stellte mir viele Fragen, die mir nicht beantworte­t wurden. Der Satzbau vom Luxemburgi­schen ist besonders interessan­t, weil darin so viele Bausteine zusammenla­ufen, die dann erst ein Gesamtbild ergeben. Das muss man sich vorstellen wie eine Uhr mit sehr vielen Zahnrädern. Um zu erklären, wie die Uhr funktionie­rt, muss man alle Zahnräder erkennen, wie sie zueinander arbeiten. Und dann erst kann man den Satzbau beschreibe­n. Ich habe mich dabei auf ein paar Aspekte fokussiert. Warum kann ich sagen dem Pol säi Brëll aber nicht dem Gebai seng Fënster – man sagt d'Fënster vum Gebai.

Grammatik mag für Sie spannend sein, aber lassen Sie auch manchmal los von ihr oder ist sie stets präsent – auch nach den Bürostunde­n?

Natürlich habe ich die allbekannt­e „déformatio­n profession­nelle“. Wenn ich irgendwo was lese, fallen mir die Rechtschre­ibfehler sofort auf. Aber es ist für mich auch nicht schlimm. Ich bin nicht wertend. Man soll die Leute ja auch ermutigen zu schreiben. Die Standardis­ierung des Luxemburgi­schen verlangt, dass es orthografi­sch korrekt ist. Aber die Message, die ich derzeit vertrete, ist erstmal schreiben. Schreiben, schreiben, schreiben ...

Logik in einer Sprache ist eine Wunschvors­tellung. Nicht alles ist immer sehr logisch. Linguistin Dr. Caroline Döhmer

 ?? Foto: Chris Karaba ?? Dr. Caroline Döhmer hat zunächst Germanisti­k in Freiburg studiert, wo man viel Wert auf Variations­linguistik legt, also nicht nur auf Standardde­utsch. Sie schrieb ihre Masterarbe­it über den luxemburgi­schen Nebensatz, gelangte dadurch an das Institut für Luxemburgi­stik der Uni Lëtzebuerg und hat dort ihre Doktorarbe­it über den luxemburgi­schen Satzbau geschriebe­n. Nun arbeitet sie am Zenter fir d'Lëtzebuerg­er Sprooch.
Foto: Chris Karaba Dr. Caroline Döhmer hat zunächst Germanisti­k in Freiburg studiert, wo man viel Wert auf Variations­linguistik legt, also nicht nur auf Standardde­utsch. Sie schrieb ihre Masterarbe­it über den luxemburgi­schen Nebensatz, gelangte dadurch an das Institut für Luxemburgi­stik der Uni Lëtzebuerg und hat dort ihre Doktorarbe­it über den luxemburgi­schen Satzbau geschriebe­n. Nun arbeitet sie am Zenter fir d'Lëtzebuerg­er Sprooch.

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