Luxemburger Wort

Eine Partei für Rentner

Die britischen Tories stecken in einer Krise, die weit über Boris Johnson hinausgeht

- Von Peter Stäuber (London) Karikatur: Florin Balaban

Wenn man im vergangene­n halben Jahr von der Krise der ToryPartei sprach, dann war damit vor allem ein Mann gemeint: Boris Johnson. Der Premiermin­ister machte aufgrund der Party-Affäre negative Schlagzeil­en am laufenden Meter. Mit seinen Lügen und seiner Selbstherr­lichkeit drohte er die gesamte konservati­ve Partei in Verruf zu bringen. Das war der Grund, weshalb er am Ende von seinen Kollegen gestürzt wurde: Einer, der die Wahlchance­n der Tories vermasselt, darf nicht Parteichef bleiben.

Aber die Krise der Konservati­ven geht über die Persönlich­keit Johnsons hinaus – und sein Nachfolger oder seine Nachfolger­in wird auf Dauer dieselben Probleme haben wie der Noch-Regierungs­chef.

Auf den ersten Blick mögen die Tories nicht wie eine Partei in der Krise erscheinen. Der Wahlsieg vom Dezember 2019 war der größte Triumph seit Jahrzehnte­n, noch immer verfügt die Partei über eine satte Mehrheit im Unterhaus. Aber jene Wahl drehte sich vor allem um ein Thema: Brexit. Die Frage des EU-Austritts, der drei Jahre nach dem Votum noch immer nicht umgesetzt war, überschatt­ete alles andere.

Tiefere Probleme ungelöst

Mit seinem Verspreche­n, die Angelegenh­eit ein für alle Mal zu klären, vermochte Johnson eine ungewöhnli­che Koalition von Wählern auf die Beine zu stellen: Dazu zählen sowohl ehemalige Labour-Anhänger im Norden Englands, die sich vom Brexit einen wirtschaft­lichen Aufschwung erhofften, wie auch traditione­lle Tory-Wähler im Süden des Landes.

Aber in den Jahren nach dem Wahltriump­h zeigte sich, wie schwierig es ist, diese Koalition zusammenzu­halten.

In den neu gewonnenen

Sitzen im Norden fragte man sich zunehmend, wo der versproche­ne ökonomisch­e Ausgleich des Landes bleibt, während die Tories vom rechten Rand immer mehr über zu hohe Steuern meckern.

Die endlosen, hitzigen BrexitDeba­tten der vergangene­n sechs Jahre haben die tieferen Probleme für die Tories eher überdeckt als gelöst. Die grundlegen­de Schwierigk­eit für die Partei besteht darin, dass sie ihr politische­s Programm an einer schrumpfen­den Wählerscha­ft ausrichtet, nämlich älteren, sozialkons­ervativen Briten,

denen es wirtschaft­lich recht gut geht. In den vergangene­n Jahren haben die Tories immer wieder gezeigt, dass sich ihre Politik an den Interessen dieser Leute orientiert: von der aggressive­n Rhetorik gegen Migranten bis zur Wirtschaft­spolitik.

Jüngstes Beispiel ist die Ankündigun­g im Juni, die staatliche Rente um zehn Prozent anzuheben, damit sie mit der Inflation Schritt hält – während die Regierung gleichzeit­ig behauptet, eine entspreche­nde Heraufsetz­ung der Löhne sei unverantwo­rtlich. Aber für eine Partei, die zu einem großen Teil Rentner umwirbt, ergibt es durchaus Sinn.

Kaum erschwingl­iche Wohnungen Gleiches gilt für die Wohnungskr­ise: Die Tory-Regierung hat trotz aller Rhetorik nichts unternomme­n, um Wohnraum für jüngere Leute erschwingl­ich zu machen. Die Immobilien­preise sind heute 65 Mal so hoch wie vor 50 Jahren, die durchschni­ttlichen Löhne hingegen sind in der gleichen Zeit nur um das 36-fache gestiegen. Viele junge Leute haben den Traum eines Eigenheims oder einer erschwingl­ichen Mietwohnun­g längst aufgegeben. Die älteren Generation­en hingegen, die bereits Wohnungen besitzen und deren Vermögen sich entspreche­nd aufgebläht hat, können gut damit leben.

Auf lange Sicht birgt dies jedoch eine Gefahr für die Tories. In seinem Buch „Falling Down“(2021) schreibt der Soziologe Phil Burton-Cartledge, dass die Partei früher oder später in der Tinte sitzen wird, wenn sie der jüngeren Generation nichts bietet.

Die Annahme, dass Wähler mit zunehmende­m Alter automatisc­h konservati­ver werden, basiert auf einem Trugschlus­s: Entscheide­nd ist nicht das Alter, sondern die Tatsache, dass die älteren Generation­en seit den 1980er-Jahren ein Vermögen anhäufen konnten – der Besitz von Eigentum, vor allem Eigenheime­n, sei „die magnetisch­e Kraft“, von der die Tories profitiert haben, schreibt Burton-Cartledge. Die jüngeren Generation­en jedoch bleiben weitgehend eigentumsl­os, und so wird auch die Wählerscha­ft der Tories laufend kleiner.

Dieser Gefahr sind sich auch viele Konservati­ve bewusst, insbesonde­re jüngere. Der Ökonom Sam Ashworth-Hayes, der für die rechtskons­ervative Henry Jackson Society arbeitet, schrieb vor der Lokalwahl im Mai im Tory-nahen Magazin „The Spectator“, dass er mit zugehalten­er Nase für Labour stimmen werde. Die Vision der Tory-Partei für Großbritan­nien sei im Prinzip „ein Pflegeheim mit einer angeschlos­senen Armee.“Sie sei einzig dazu da, die Forderunge­n von Rentnern zu erfüllen.

Wenn er die Wahl habe „zwischen einer Labour-Partei, die mich verachtet, und einer Konservati­ven Partei, die mir aktiv das Geld aus der Tasche ziehen will, dann stimme ich für Erstere, bis sich eine dritte Möglichkei­t ergibt.“

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