Eine Partei für Rentner
Die britischen Tories stecken in einer Krise, die weit über Boris Johnson hinausgeht
Wenn man im vergangenen halben Jahr von der Krise der ToryPartei sprach, dann war damit vor allem ein Mann gemeint: Boris Johnson. Der Premierminister machte aufgrund der Party-Affäre negative Schlagzeilen am laufenden Meter. Mit seinen Lügen und seiner Selbstherrlichkeit drohte er die gesamte konservative Partei in Verruf zu bringen. Das war der Grund, weshalb er am Ende von seinen Kollegen gestürzt wurde: Einer, der die Wahlchancen der Tories vermasselt, darf nicht Parteichef bleiben.
Aber die Krise der Konservativen geht über die Persönlichkeit Johnsons hinaus – und sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin wird auf Dauer dieselben Probleme haben wie der Noch-Regierungschef.
Auf den ersten Blick mögen die Tories nicht wie eine Partei in der Krise erscheinen. Der Wahlsieg vom Dezember 2019 war der größte Triumph seit Jahrzehnten, noch immer verfügt die Partei über eine satte Mehrheit im Unterhaus. Aber jene Wahl drehte sich vor allem um ein Thema: Brexit. Die Frage des EU-Austritts, der drei Jahre nach dem Votum noch immer nicht umgesetzt war, überschattete alles andere.
Tiefere Probleme ungelöst
Mit seinem Versprechen, die Angelegenheit ein für alle Mal zu klären, vermochte Johnson eine ungewöhnliche Koalition von Wählern auf die Beine zu stellen: Dazu zählen sowohl ehemalige Labour-Anhänger im Norden Englands, die sich vom Brexit einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofften, wie auch traditionelle Tory-Wähler im Süden des Landes.
Aber in den Jahren nach dem Wahltriumph zeigte sich, wie schwierig es ist, diese Koalition zusammenzuhalten.
In den neu gewonnenen
Sitzen im Norden fragte man sich zunehmend, wo der versprochene ökonomische Ausgleich des Landes bleibt, während die Tories vom rechten Rand immer mehr über zu hohe Steuern meckern.
Die endlosen, hitzigen BrexitDebatten der vergangenen sechs Jahre haben die tieferen Probleme für die Tories eher überdeckt als gelöst. Die grundlegende Schwierigkeit für die Partei besteht darin, dass sie ihr politisches Programm an einer schrumpfenden Wählerschaft ausrichtet, nämlich älteren, sozialkonservativen Briten,
denen es wirtschaftlich recht gut geht. In den vergangenen Jahren haben die Tories immer wieder gezeigt, dass sich ihre Politik an den Interessen dieser Leute orientiert: von der aggressiven Rhetorik gegen Migranten bis zur Wirtschaftspolitik.
Jüngstes Beispiel ist die Ankündigung im Juni, die staatliche Rente um zehn Prozent anzuheben, damit sie mit der Inflation Schritt hält – während die Regierung gleichzeitig behauptet, eine entsprechende Heraufsetzung der Löhne sei unverantwortlich. Aber für eine Partei, die zu einem großen Teil Rentner umwirbt, ergibt es durchaus Sinn.
Kaum erschwingliche Wohnungen Gleiches gilt für die Wohnungskrise: Die Tory-Regierung hat trotz aller Rhetorik nichts unternommen, um Wohnraum für jüngere Leute erschwinglich zu machen. Die Immobilienpreise sind heute 65 Mal so hoch wie vor 50 Jahren, die durchschnittlichen Löhne hingegen sind in der gleichen Zeit nur um das 36-fache gestiegen. Viele junge Leute haben den Traum eines Eigenheims oder einer erschwinglichen Mietwohnung längst aufgegeben. Die älteren Generationen hingegen, die bereits Wohnungen besitzen und deren Vermögen sich entsprechend aufgebläht hat, können gut damit leben.
Auf lange Sicht birgt dies jedoch eine Gefahr für die Tories. In seinem Buch „Falling Down“(2021) schreibt der Soziologe Phil Burton-Cartledge, dass die Partei früher oder später in der Tinte sitzen wird, wenn sie der jüngeren Generation nichts bietet.
Die Annahme, dass Wähler mit zunehmendem Alter automatisch konservativer werden, basiert auf einem Trugschluss: Entscheidend ist nicht das Alter, sondern die Tatsache, dass die älteren Generationen seit den 1980er-Jahren ein Vermögen anhäufen konnten – der Besitz von Eigentum, vor allem Eigenheimen, sei „die magnetische Kraft“, von der die Tories profitiert haben, schreibt Burton-Cartledge. Die jüngeren Generationen jedoch bleiben weitgehend eigentumslos, und so wird auch die Wählerschaft der Tories laufend kleiner.
Dieser Gefahr sind sich auch viele Konservative bewusst, insbesondere jüngere. Der Ökonom Sam Ashworth-Hayes, der für die rechtskonservative Henry Jackson Society arbeitet, schrieb vor der Lokalwahl im Mai im Tory-nahen Magazin „The Spectator“, dass er mit zugehaltener Nase für Labour stimmen werde. Die Vision der Tory-Partei für Großbritannien sei im Prinzip „ein Pflegeheim mit einer angeschlossenen Armee.“Sie sei einzig dazu da, die Forderungen von Rentnern zu erfüllen.
Wenn er die Wahl habe „zwischen einer Labour-Partei, die mich verachtet, und einer Konservativen Partei, die mir aktiv das Geld aus der Tasche ziehen will, dann stimme ich für Erstere, bis sich eine dritte Möglichkeit ergibt.“