Fifty Shades of Grey and Green
Der Zertifikate-Handel mit Ökostrom täuscht oft über die tatsächliche Zusammensetzung der Energie hinweg
Man muss weder besonders gut in Geografie noch in Physik sein, um zu sehen, dass das nicht funktionieren kann. Es sei denn, es gäbe eine Leitung zwischen Island und dem europäischen Festland. Doch die gibt es nicht. Das, was Island an überschüssigem Strom abgeben könnte, lässt sich also nicht in andere europäische Länder exportieren. Und trotzdem ist das, was in Island erzeugt wird, in anderen Ecken Europas sehr begehrt. Denn die Energie, die in dem Inselstaat produziert wird, ist nahezu komplett regenerativ. Sie stammt größtenteils aus Wasserkraft und der Rest aus Geothermie. Was wiederum das Land so interessant für den Handel mit Energiezertifikaten macht.
Bereits seit 2005 wird das in Europa im Rahmen des Europäisches Emissionshandelssystems (EU ETS) praktiziert. Und das Prinzip, das dahinter steht, ist recht simpel: Jedes Unternehmen, das eine emissionsintensive Anlage betreibt und damit mehr C02 ausstößt als es ihm gemäß Kontingent zusteht, muss entweder für jede überschüssige Tonne CO2 eine Strafgebühr zahlen oder aber hat die Möglichkeit, diesen Mehrausstoß durch eine entsprechende Menge an Energiezertifikaten zu kompensieren. Umgekehrt können Unternehmen, die weniger oder sogar keine Treibhausgase ausstoßen, entsprechende Zertifikate verkaufen. Wie das zum Beispiel in Ländern wie Island oder Norwegen praktiziert wird. Dadurch bildet sich ein Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen, der wiederum emissionsintensive Unternehmen dazu anspornen soll, den eigenen CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Räumlich und zeitlich nicht begrenzt „Theoretisch ist das ein guter Ansatz“, sagt Thomas Gibon vom Luxembourg Instititut of Science an Technology (LIST). „Das Problem ist aber, dass wir dadurch zwei parallele Systeme haben, die nebeneinander laufen“, fügt er hinzu. Auf der einen Seite das System mit den Zertifikaten und auf der anderen das des reellen Strombezugs. „Island verkauft also nur Zertifikate, exportiert aber keinen Strom“, sagt Gibon. „Und auch Norwegen exportiert bei weitem nicht so viel Strom, wie es Zertifikate verteilt“, erklärt er. Der meiste Strom bleibe im Land. Das alles wäre kein Problem, wenn die Einnahmen aus dem Zertifikate-Handel in die Infrastruktur erneuerbarer Energien investiert würden, so der Forscher. Doch leider sei genau das oft nicht der Fall.
Zudem habe der Emissionshandel das Problem, dass er weder räumlich noch zeitlich begrenzt sei. Es kann also zum einen sein, dass man Zertifikate aus einem Land kauft, das gar nicht an das eigene Stromnetz angeschlossen ist, oder aber Zertifikate kauft für grünen Strom, der zwar ins Netz eingespeist wurde, aber eben irgendwann in der Vergangenheit, also schon längst verbraucht wurde. „Natürlich ist der
Handel mit Zertifikaten besser, als gar nichts zu machen“, sagt Gibon. „Aber es führt eben auch dazu, dass Menschen und Unternehmen denken, dass sie unterm Strich grünen Strom verwenden und das Problem damit gelöst ist.“Was tatsächlich aber gar nicht der Fall sei. Zumal die Zusammensetzung des Strommixes auch ständig schwanke. „Es gibt Tageszeiten, wo der Anteil fossiler Energien extrem hoch ist, und Zeiten, in denen er eher gering ist“, so der LIST-Forscher.
Auf Import angewiesen
Dieses zweigleisige System ermöglicht also einen Handel mit grünem Strom, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht in dieser Menge vorhanden ist. „Und die Gefahr besteht, dass das dann auch bei Produkten geschieht, die mit dieser Energie erzeugt werden“, sagt Gibon. Als Beispiel nennt er Wasserstoff, der dann vielleicht als Grüner Wasserstoff deklariert werde, dies letztendlich aber nur dem ZertifikateHandel zu verdanken habe. „Der CO2Abdruck
wird dadurch womöglich ein ganz anderer als man es bei Grünem Wasserstoff erwartet“, so Gibbon.
Nun hat Luxemburg im Gegensatz zu Ländern wie Island oder Norwegen das Problem, dass es gar nicht in der Lage ist, den kompletten Strombedarf über eigene regenerative Energien abzudecken. Der Anteil des selbst produzierten Stroms am Endenergiebedarf bewegt sich im unteren zweistelligen Prozentbereich. Luxemburg importiert den größten Teil seines Stroms, davon mehr als die Hälfte aus Deutschland. Der dort produzierte Strom kam laut Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr zu knapp 43 Prozent aus erneuerbaren Energien. Und auch Deutschland importiert Strom aus anderen Ländern, die ebenfalls importieren und exportieren.
Es scheint also auf den ersten Blick, als wäre es gar nicht möglich, es anders zu regeln, als es derzeit getan wird. Das aber sieht Gibon anders. So sei es zum Zeitpunkt des Verbrauchs jederzeit möglich, den durchschnittlichen
Strommix zu kennen, den man tatsächlich verbraucht. Die europäischen Stromerzeuger seien schließlich dazu verpflichtet, dem Verband europäischer Übertragungsnetzbetreiber die Live-Erzeugung für jedes Kraftwerk mit einer Nennleistung von mehr als 100 Megawatt öffentlich zu melden, erklärt er.
Darüber hinaus sei auch die Energiemenge bekannt, die über die Verbindungsleitungen zwischen den Netzen ausgetauscht werde. Selbst die Speicherinfrastruktur wie beispielsweise die Pumpspeicherkraftwerke müssten ihre Ladung und Entladung melden. „Durch die Bilanzierung dieses gesamten Verbundsystems ist es möglich, den Stromverbrauchsmix für jeden Ort zu jeder Zeit zu kennen“, erklärt Gibon.
Bisheriges System überdenken
Vor diesem Hintergrund wäre es nach Auffassung des Forschers sinnvoll, über ein neues System des ZertifikateHandels nachzudenken, bei dem die Zertifikate nicht – wie derzeit – einen Zeitraum von zwölf Monaten umfassen, sondern nur einen Tag oder vielleicht jeweils sogar nur eine Stunde. „So könnte man sichergehen, dass der zu dieser Zeit gekaufte Strom auch tatsächlich in diesem Zeitraum produziert wurde“, erklärt er. Wenn also gerade keine Sonne auf die Solarmodule scheine oder eben kein Wind die Rotoren der Windkraftanlagen in Bewegung setze, wären dann Zertifikate auch teurer. „Dadurch ließe sich der Handel eindämmen“, ist Gibon überzeugt, „weil es für viele Unternehmen dann auch attraktiver würde, selbst in regenerative Energien zu investieren.“
Es gibt Tageszeiten, wo der Anteil fossiler Energien extrem hoch ist. LIST-Forscher Thomas Gibon