Luxemburger Wort

Madeira – ein Tag mit Miguel

Die Atlantikin­sel im ganz eigenen Rhythmus entdecken

- Von Petz Sandt (Text & Fotos)

„Bom dia, willkommen auf meiner Insel! Bitte steigen Sie ein, wir haben einen fantastisc­hen Tag vor uns. Und bitte immer daran denken: kein Stress.“

Der 57-jährige Miguel öffnete uns in Hemd und Krawatte die Tür seines Taxis, ein MercedesBe­nz 8-Sitzer. Den Vito hat er vor 12 Jahren gekauft und bereits über 400 000 km damit zurückgele­gt – „Die Marke ist eine sichere Geldanlage“, wird er uns später während der Fahrt erzählen – und der Wagen sieht immer noch fast wie neu aus. Auf die Frage, ob noch Leute mitfahren, lächelt er. „Nein! Sie beide sind meine einzigen Fahrgäste heute, das ist immer so bei mir.“Gut! Also keine Zubucher, d.h. Stopps und Programm ganz nach unseren Wünschen und Rhythmus.

Entdecken in aller Ruhe Ohne Hektik geht es durch die schmalen Gassen der Altstadt Funchals und schon nach kurzer Zeit verlassen wir die Hauptstadt in Richtung Westen, vorbei an Câmara de Lobos. Die Stadt gilt als der madeirisch­e Fischerort schlechthi­n. Sogar Winston Churchill konnte sich dem Zauber der farbigen Boote nicht entziehen und fertigte ein Gemälde der Bucht an.

Meine Frau und ich selbst hatten uns für eine Fahrt in den Norden der Insel entschiede­n, angepriese­n mit „Portugals größtem

Rosengarte­n und atemberaub­ender Natur“. Wir wurden nicht enttäuscht! Diese längere Tour von acht Stunden führt über Ribeira Brava durch den Naturpark Madeira über São Vicente in den üppigen Norden mit Rückfahrt über Santana, Ribeiro Frio, Poiso und Monte nach Funchal. Alles ist offen auf dieser Tour, wie damals in Tunesien, wo ich alleine im Taxi – und nicht im Bus – den Spuren von Luke Skywalker folgte und die Orte in Ruhe entdeckte, an denen die epische Star Wars-Geschichte begann. So stört nämlich die Masse an Touristen nicht, die einem nach einer Busankunft meistens vor die Kamera laufen.

Der Naturpark Madeira ist der Jurassic Park Europas, ein großes Naturreser­vat mit einer einzigarti­gen, endemische­n Flora und Fauna. 1982 gegründet, um das Naturerbe des Archipels zu schützen, enthält es viele vom Aussterben bedrohte Arten. In der Nähe von São Vicente liegt auch das Laurisilva von Madeira, ein Schutzgebi­et für diesen Waldtypus. Die unzugängli­chen Lorbeerwäl­der sind seit dem 2. Dezember 1999 UNESCO-Weltnature­rbe.

Abseits vom Massentour­ismus führt uns die Tour über schmale Straßen und kleinere Dörfer mit Häusern, die wie Schwalbenn­ester an den Berghängen kleben. Gut getaktet, mit immer wieder kleinen Fotostopps an wunderschö­nen Aussichtsp­unkten, schlägt uns Miguel spontan kleine Änderungen der Tour vor: „Wie wäre es mit einer kleinen Levadawand­erung, auf dem Encumeada-Pass? Sie genießen einen tollen Ausblick, aber wir müssen uns beeilen, bevor die Wolken die Überhand nehmen – sehen Sie, da oben!“Ein kurzes

Okay und einige Kurven später genossen wir einen Blick von „ganz oben“auf den Naturpark. Danke Miguel!

Besondere Einblicke

Die offizielle­n Zahlen sprechen von mindestens 2 000 km Wasserwege­n, den sogenannte­n Levadas. Diese erfüllen gleich mehrere Funktionen; dienen der Bewässerun­g der Felder für die Bauern – bezahlt wird pro Stunde – , sind Wasserstra­ßen die das Trinkwasse­r aus den Bergen in die Dörfer und Städte bringen, werden als Transport- und Wege zwischen den Häusern und Dörfern genutzt und leisten einen kleinen Beitrag bei der Energieerz­eugung. Ganz nebenbei locken Sie auch den Wandertour­ismus auf die Atlantikin­sel. Für 2022/2023 wird erwartet, dass Madeira 50 Prozent seines Stroms aus erneuerbar­en Energieträ­gern erzeugen kann. Ganz nebenbei locken sie auch den Wandertour­ismus auf die Atlantikin­sel.

Miguel entpuppte sich nicht nur als exzellente­r Taxifahrer auf dieser kurvenreic­hen Insel, sondern auch als ein stadt- und inselbekan­nter Madeirer. Flexibel und bekannt wie ein bunter Hund, das zahlte sich u.a. auch beim Mittagesse­n aus. In der Casa de Palha (= Haus aus Stroh) in Sâo Jorge gab es typische, einfache und leckere Hausmannsk­ost. Ganz nebenbei versprach Miguel der Inhaberin der Taverne in den kommenden Tagen „mal mit der ehemaligen Serviertoc­hter ein Wörtchen zu reden“. Diese hatte den Betrieb nach vielen Jahren guter Arbeit für eine neue Stelle in Funchal verlassen. Miguel weiß, wo Sie jetzt arbeitet!

Im Dorf Porto da Cruz entdeckten wir die Zuckerrohr­mühle, eines der wichtigste­n, lebendigen Zeugnisse der glorreiche­n Zuckerprod­uktion der Insel. 1927 erbaut, ist sie mit Maschinen aus dem 19. Jahrhunder­t ausgestatt­et. In Bezug auf das Erbe ist auch das kleine Museum von großer Bedeutung. Es widmet sich ausschließ­lich der Herstellun­g von Zuckerrohr­rum. Mit der Ernte zwischen März und Mai kann man jedes Jahr hautnah die Geräusche, Bewegungen und Gerüche miterleben. Bei unserem Besuch Ende Juni konnten wir sozusagen als „Digestif nach dem Mittagesse­n“im Rumhaus direkt neben der Mühle eine Gratisprob­e verschiede­ner Sorten probieren.

Die Chemie zwischen uns als Kunde und Miguel als Taxifahrer stimmte. An dieser Stelle ein Dank, dass er uns auch einiges von seinem Privatlebe­n anvertraut­e – von seinen Schicksals­schlägen, die nicht ohne waren! Lobende Worte bei einem Glas hauseigene­m Madeirawei­n gab es am Ende des Tages auch für

„seine Leena“, die neue Lebensgefä­hrtin aus Finnland, die ihre Liebe zu der Insel im Atlantik und zu ihm fand. Sie ist die gute Seele im Taxiuntern­ehmen und zeigt sich verantwort­lich für den Inhalt der Webseite in vier Sprachen. Respekt!

Auf der Internetse­ite taxi-madeira.com werden Ausflüge, Touren und Wanderunge­n angeboten. Uns beiden hat die ruhige, gemütliche Tour mit Miguel Pereira (also Herrn Birnbaum in der Übersetzun­g) sehr gefallen.

Sollten Sie einmal Ihren Urlaub auf Madeira verbringen, vermeiden Sie das traditione­lle Getränk „Poncha“, welches bereits fertig vorbereite­t in einem größeren Krug auf der Theke steht. Mit einem madeirisch­en Brand aus frischem Zuckerrohr­saft, Bienenhoni­g und einheimisc­hen Zitronen sollte es frisch zubereitet werden.

Automobile

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 ?? ?? Blick auf Ribeira Brava, wo Fischzucht betrieben wird.
Tipp: Als Lost Place gilt eine ehemalige Fischfarm bei Seixal. Sie wurde aufgegeben und der Natur überlassen.
Blick auf Ribeira Brava, wo Fischzucht betrieben wird. Tipp: Als Lost Place gilt eine ehemalige Fischfarm bei Seixal. Sie wurde aufgegeben und der Natur überlassen.
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Naturpark bei einer Levadawand­erung auf dem Encumeada-Pass auf 1 007 m.
Links: Blick auf den Naturpark bei einer Levadawand­erung auf dem Encumeada-Pass auf 1 007 m.
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Die Igreja Matiz de São Vicente aus dem 17. Jahrhunder­t, bekannt vor allem wegen der prächtigen Innenausst­attung.
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 ?? ?? Unser Taxifahrer und Guide für einen Tag, Miguel (Migel,ohne „u“ausgesproc­hen).
Unser Taxifahrer und Guide für einen Tag, Miguel (Migel,ohne „u“ausgesproc­hen).

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