Lügen als Waffe
Mit der Wahrheit in der öffentlichen Debatte wird in diesen Zeiten Schindluder betrieben wie selten zuvor. Dabei geht es nicht so sehr um die kleinen Mauscheleien oder Plagiate, mit denen mancher sich Vorteile und akademische Würden erschleicht. Es geht auch nicht um die großen Lügen, die etwa den Krieg in der Ukraine begleiten. Sorge bereitet vielmehr das gezielte Verbreiten von Desinformation, das Säen von Zweifeln und das Stiften von Verwirrung, die – befeuert von den sozialen Medien – eine gesunde politische Auseinandersetzung im Keim ersticken. Schon Hannah Arendt warnte davor, dass Tatsachen neutralisiert werden können, indem sie auf den Rang von Meinungsäußerungen herabgestuft werden.
Insofern ist es ein gutes Zeichen, dass in dieser Woche einer der berühmtesten und berüchtigtsten Verschwörungstheoretiker der USA zur Rechenschaft gezogen wurde. Alex Jones, ein mit vielen schamlosen Lügen reich gewordener Radiomoderator und rechtsextremer Eiferer, wurde von einem Gericht verurteilt und muss Schadensersatz in Millionenhöhe zahlen, weil er in seinen Sendungen unter vielen anderen die falsche Behauptung verbreitete, dass das Attentat in der Sandy-Hook-Grundschule von 2012 mit 26 Toten, darunter 20 Kindern, eine Inszenierung der Obama-Regierung gewesen sei mit dem Ziel, das Tragen von Waffen einzuschränken. Im Gerichtssaal musste Jones der Mutter eines Sechsjährigen unter die Augen treten, der bei dem Attentat ermordet worden war. Wahrheit sei das, worauf das Fundament der Wirklichkeit gebaut sei, sagte die Mutter dem Beklagten ins Gesicht. Ohne Wahrheit gebe es keine Gesellschaft.
Rechte Lautsprecher wie Alex Jones sind ein zentraler Baustein jener Verschwörung aus Politikern, Medien und potenten Geldgebern, die alles dafür tun, um ihre politische Agenda durchzusetzen und sich dabei persönlich zu bereichern. Sie haben die Lüge als politische Waffe entdeckt und zögern nicht, sie einzusetzen. Lügen werden dazu benutzt, Macht zu demonstrieren sowie Gefolgschaft und Loyalität bei den Anhängern zu erzeugen. Wer die Lüge der Mächtigen mitträgt und verbreitet, der gehört zur Gemeinschaft. Alle anderen sind Außenseiter, werden als Feinde gebrandmarkt.
Ihre zerstörerische Kraft beziehen Lügen und Unwahrheiten im öffentlichen Diskurs nicht zuletzt daraus, dass sie einen Kern Wahrheit enthalten oder wenigstens plausibel erscheinen. Nicht selten kommt Desinformation zudem unscheinbar daher. Manche Luxemburger Politiker etwa, die sich vollmundig für den Erhalt der Landessprache einsetzen, schüren durchaus vorhandene Ängste, dass das Luxemburgische vom Aussterben bedroht sei. Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass dies auf absehbare Zeit nicht passieren wird, werden dabei ausgeblendet.
Im Kleinen wie im Großen zersetzen Lügen und Desinformation die Gesellschaft und die Demokratie. Doch unser Gefahrenbewusstsein hinkt hinterher. Es ist wie beim Klimawandel: Sind die Auswirkungen des Phänomens erst einmal spürbar, ist es für eine Umkehr zu spät.
Desinformation und Lügen zersetzen Demokratie und Gesellschaft.