Der lange Marsch in die Sackgasse
Die Themenfelder Wohnen und Armut haben in letzter Zeit an Fahrt aufgenommen. Gut so. Alle möglichen Ideen und Argumente kommen auf den Tisch. Sie werden jedoch am Ende zwischen den gegensätzlichen Interessenlagen und vielen Detailfragen zerrieben. Eines jedoch haben sie alle gemeinsam. Mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit wird peinlichst darauf geachtet, den Ursprung allen Übels ja nicht anzusprechen.
Die Reformen im Renten- und Pensionswesen um die Jahrtausendwende ergaben die Notwendigkeit eines stetigen Wachstums von vier Prozent pro Jahr, um die Finanzierbarkeit des Rentensystems abzusichern.
Wachstum konkretisiert sich in der Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Haken dabei: Dazu benötigt man viele zusätzliche Arbeitskräfte. Egal ob hoch qualifiziert oder nicht. Eine starke Zuwanderung und ein entsprechender Druck auf dem Wohnungsmarkt sind seither die Folgen. Ansteigende Nachfrage und
Tatsache ist, dass die soziale Bel-Etage mit ihren Ansprüchen den Geringverdienern zunehmend die „Luft zum Atmen” abschneidet, sprich etwas wegnimmt.
das hinterherhinkende Angebot führen zur bekannten Preisspirale, einer hemmungslosen Spekulation und am Ende zu sich ausbreitender Verarmung und Verdrängung.
Ressourcenverbrauch, früher Overshoot-Day, Verkehr bis hin zu Themen wie Mangel an Bauschuttdeponien oder der Konflikt Neubauerhalt von Bausubstanz gesellen sich dazu. Insgesamt jedoch sind sie alle „nur” die Konsequenzen eines und desselben Ursprungs. Von dem jedoch viele nichts wissen wollen.
Der starke Rückgang der Zinslandschaft als Konsequenz der Finanzkrise führte dazu, dass Anleger kaum noch eine nennenswerte Rendite bei gängigen Bankeinlagen erwarten konnten. Umso mehr boten sich Immobilien als Alternative an. Ein weiterer Grund, den Wachstumsdruck als Hebel der Immobilienpreise nicht zu hinterfragen.
Zwischenzeitlich wurde uns das als Qualitätswachstum verkauft. Hoch qualifizierte Aktivitäten sind zukunftsweisend und wünschenswert. Der Haken: Auch Hochqualifizierte gehen zu Tisch, gehen einkaufen, benötigen die Dienstleistungen von Handwerkern und vielen anderen. Die Berufspyramide einer Gesellschaft kann somit nicht alleine an ihrer Spitze einen Wasserkopf ausbilden. Die in der Regel weniger gut bezahlte Basis muss notgedrungen mitwachsen. Dann muss auch sie ihren Platz haben und über lebenswerte Bedingungen verfügen.
Der zusehends ausufernden sozialen Schieflage versucht man mit entsprechenden Stützmaßnahmen zu begegnen. Dabei wird der Sinn mancher – auch bestehender – Maßnahme allmählich zum Unsinn.
Beispiel Indexierung der Gehälter als Inflationsausgleich. 2,50 Prozent für alle. Vordergründig sieht das gerecht aus. Beim näheren Hinsehen jedoch: Mindestlohnempfänger erhalten etwa 55 Euro. ein „Achttausender” 200 Euro. Erstere benötigen den Zusatz mit Sicherheit zum Abdecken der Grundbedürfnisse. Gutsituierte nutzen sie wohl eher für die angenehmeren Seiten des Lebens oder sie landen auf der hohen Kante. In Kurzfassung: „Haste mehr, kriegste mehr.“
Die höheren Löhne laufen somit den unteren regelrecht davon. Das treibt dann am Ende die Renten- und Pensionsansprüche der Oberschicht unverhältnismäßig weiter an. Verteidigt wird dies mit Verweis auf ein „droit acquis” (verbrieftes Recht). Eine soziale Maßnahme, welche jedoch zusehends eher den Bessergestellten zugute kommt, fördert die Ungleichheit und verfehlt am Ende ihren ursprünglichen Sinn.
Dereinst wurde eine Modulierung ins Gespräch gebracht, um das Auseinanderdriften der Gehälter zumindest im Zaum zu halten. Sogleich ein Aufschrei der Entrüstung von wegen Gleichmacherei und der durchaus vernünftige Vorschlag wurde umgehend klassiert.
Die Wachstumsfalle ist ein Teufelskreis aus stets mehr Wirtschaftsleistung und Reichtum auf der einen Seite und stets mehr Ungleichheit und Exklusion auf der anderen. Eine regelrechte Flucht nach vorn: unter Volldampf Richtung Sackgasse. Denn das Vollgaswachstum wird laut wiederholter Aussage der zuständigen Behörden am Ende das Abschmelzen der Rentenreserven in etwa 20 Jahren nicht verhindern können.
Daraus ergibt sich die Frage inwieweit ein unausgewogenes System durch forciertes Wachstum, sprich immer mehr Beitragszahler überhaupt zu halten ist. Denn durch die vielen Neuzugänge ergeben sich zeitversetzt um so mehr Verpflichtungen. Das Unterfangen wäre somit von Anbeginn zum Scheitern verurteilt gewesen und diente dann eher dazu, ein ungemütliches Thema zu verschleppen. Damit hat man, gewollt oder nicht, einer Spekulationsrallye Vorschub geleistet. An Aktualität hat es aufgrund der zunehmenden Kollateralschäden an nichts verloren, ganz im Gegenteil.
Der Nachhaltigkeitsrat greift das Thema inzwischen auf, spricht von Entkoppelung der Sozialleistungen vom Wachstum und mahnt zur Genügsamkeit.
Vorerst ohne das konkret zu untermauern.
Eine Rentenreform bedeutet weder Kahlschlag, noch dass Bezieher kleiner und moderater Renten zum Aderlass kämen. Wieso jedoch Gutsituierte Renten und Pensionen oberhalb von 6 000 bis 9 000 Euro in der Höhe benötigen, entzieht sich meinem Verständnis. Dies umso mehr als dass dieser Personenkreis beim Renteneintritt in der Regel schuldenfrei und sicher in den eigenen vier Wänden lebt. Nicht zu vergessen die steuerlich geförderte Vorsorge. Demzufolge ginge es bei Renten und Pensionen im Spitzenpeloton durchaus mit etwas weniger.
Wobei Bessergestellte gleichzeitig die Nutznießer der entfesselten Immobilienpreise sind. Geringverdiener sind eben eher selten Spekulanten. Und sprudeln erst die Gewinne, gibt es kein Halten mehr; der Appetit kommt bekanntlich mit dem Essen. Und damit das auch so bleibt, darf sich nichts ändern. „Die Geister, die ich rief“– das kann man wohl sagen!
Keinem etwas wegnehmen? Tatsache ist, dass die soziale BelEtage mit ihren Ansprüchen den Geringverdienern zunehmend die „Luft zum Atmen” abschneidet, sprich etwas wegnimmt. Das zu viel der einen ist das zu wenig der anderen. Der Zusammenhang (Kausalität) ist offensichtlich und somit auch die Verantwortung. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisung, sondern um Einsicht.
Nichtsdestotrotz wird weiter auf Zeit gespielt. Denn 20 Jahre sind nun mal weiter weg als der nächste Wahltermin. Eingebunkert
im Demokratiedefizit und unter dem Einfluss gewichtiger Lobbies verständigt die Politik sich auf eine gesicherte Klientel-Wiederwahl und reicht die ganze Misere der nächsten Generation einfach weiter. Nachhaltig?
Punktuell geht einiges in die richtige Richtung: öffentlicher
Die Wachstumsfalle ist ein Teufelskreis aus stets mehr Wirtschaftsleistung und Reichtum auf der einen Seite und stets mehr Ungleichheit und Exklusion auf der anderen.
Verkehr, regenerative Energien usw. Insgesamt jedoch sind Vollgaswachstum und Nachhaltigkeit unvereinbar. Allein eine vernünftige Neuausrichtung des Renten- und Pensionssystems vermag es, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und eine ausgewogene Entwicklung einzuleiten. Dabei käme ein ur-grüner Slogan sogar zum Tragen. Die Älteren werden sich erinnern: „Weniger ist mehr” (alias Genügsamkeit). Versteht, wer verstehen will.
Gegen ein vernünftiges, sprich verkraftbares Wachstum ist nichts einzuwenden. Ansonsten ist Wachstum wie Arznei. Denn überdosiert sind beide nur eines: Gift.