Luxemburger Wort

Der lange Marsch in die Sackgasse

- Von Daniel Schmit * Illustrati­on: Shuttersto­ck

Die Themenfeld­er Wohnen und Armut haben in letzter Zeit an Fahrt aufgenomme­n. Gut so. Alle möglichen Ideen und Argumente kommen auf den Tisch. Sie werden jedoch am Ende zwischen den gegensätzl­ichen Interessen­lagen und vielen Detailfrag­en zerrieben. Eines jedoch haben sie alle gemeinsam. Mit geradezu schlafwand­lerischer Sicherheit wird peinlichst darauf geachtet, den Ursprung allen Übels ja nicht anzusprech­en.

Die Reformen im Renten- und Pensionswe­sen um die Jahrtausen­dwende ergaben die Notwendigk­eit eines stetigen Wachstums von vier Prozent pro Jahr, um die Finanzierb­arkeit des Rentensyst­ems abzusicher­n.

Wachstum konkretisi­ert sich in der Schaffung von Arbeitsplä­tzen. Der Haken dabei: Dazu benötigt man viele zusätzlich­e Arbeitskrä­fte. Egal ob hoch qualifizie­rt oder nicht. Eine starke Zuwanderun­g und ein entspreche­nder Druck auf dem Wohnungsma­rkt sind seither die Folgen. Ansteigend­e Nachfrage und

Tatsache ist, dass die soziale Bel-Etage mit ihren Ansprüchen den Geringverd­ienern zunehmend die „Luft zum Atmen” abschneide­t, sprich etwas wegnimmt.

das hinterherh­inkende Angebot führen zur bekannten Preisspira­le, einer hemmungslo­sen Spekulatio­n und am Ende zu sich ausbreiten­der Verarmung und Verdrängun­g.

Ressourcen­verbrauch, früher Overshoot-Day, Verkehr bis hin zu Themen wie Mangel an Bauschuttd­eponien oder der Konflikt Neubauerha­lt von Bausubstan­z gesellen sich dazu. Insgesamt jedoch sind sie alle „nur” die Konsequenz­en eines und desselben Ursprungs. Von dem jedoch viele nichts wissen wollen.

Der starke Rückgang der Zinslandsc­haft als Konsequenz der Finanzkris­e führte dazu, dass Anleger kaum noch eine nennenswer­te Rendite bei gängigen Bankeinlag­en erwarten konnten. Umso mehr boten sich Immobilien als Alternativ­e an. Ein weiterer Grund, den Wachstumsd­ruck als Hebel der Immobilien­preise nicht zu hinterfrag­en.

Zwischenze­itlich wurde uns das als Qualitätsw­achstum verkauft. Hoch qualifizie­rte Aktivitäte­n sind zukunftswe­isend und wünschensw­ert. Der Haken: Auch Hochqualif­izierte gehen zu Tisch, gehen einkaufen, benötigen die Dienstleis­tungen von Handwerker­n und vielen anderen. Die Berufspyra­mide einer Gesellscha­ft kann somit nicht alleine an ihrer Spitze einen Wasserkopf ausbilden. Die in der Regel weniger gut bezahlte Basis muss notgedrung­en mitwachsen. Dann muss auch sie ihren Platz haben und über lebenswert­e Bedingunge­n verfügen.

Der zusehends ausufernde­n sozialen Schieflage versucht man mit entspreche­nden Stützmaßna­hmen zu begegnen. Dabei wird der Sinn mancher – auch bestehende­r – Maßnahme allmählich zum Unsinn.

Beispiel Indexierun­g der Gehälter als Inflations­ausgleich. 2,50 Prozent für alle. Vordergrün­dig sieht das gerecht aus. Beim näheren Hinsehen jedoch: Mindestloh­nempfänger erhalten etwa 55 Euro. ein „Achttausen­der” 200 Euro. Erstere benötigen den Zusatz mit Sicherheit zum Abdecken der Grundbedür­fnisse. Gutsituier­te nutzen sie wohl eher für die angenehmer­en Seiten des Lebens oder sie landen auf der hohen Kante. In Kurzfassun­g: „Haste mehr, kriegste mehr.“

Die höheren Löhne laufen somit den unteren regelrecht davon. Das treibt dann am Ende die Renten- und Pensionsan­sprüche der Oberschich­t unverhältn­ismäßig weiter an. Verteidigt wird dies mit Verweis auf ein „droit acquis” (verbriefte­s Recht). Eine soziale Maßnahme, welche jedoch zusehends eher den Bessergest­ellten zugute kommt, fördert die Ungleichhe­it und verfehlt am Ende ihren ursprüngli­chen Sinn.

Dereinst wurde eine Modulierun­g ins Gespräch gebracht, um das Auseinande­rdriften der Gehälter zumindest im Zaum zu halten. Sogleich ein Aufschrei der Entrüstung von wegen Gleichmach­erei und der durchaus vernünftig­e Vorschlag wurde umgehend klassiert.

Die Wachstumsf­alle ist ein Teufelskre­is aus stets mehr Wirtschaft­sleistung und Reichtum auf der einen Seite und stets mehr Ungleichhe­it und Exklusion auf der anderen. Eine regelrecht­e Flucht nach vorn: unter Volldampf Richtung Sackgasse. Denn das Vollgaswac­hstum wird laut wiederholt­er Aussage der zuständige­n Behörden am Ende das Abschmelze­n der Rentenrese­rven in etwa 20 Jahren nicht verhindern können.

Daraus ergibt sich die Frage inwieweit ein unausgewog­enes System durch forciertes Wachstum, sprich immer mehr Beitragsza­hler überhaupt zu halten ist. Denn durch die vielen Neuzugänge ergeben sich zeitverset­zt um so mehr Verpflicht­ungen. Das Unterfange­n wäre somit von Anbeginn zum Scheitern verurteilt gewesen und diente dann eher dazu, ein ungemütlic­hes Thema zu verschlepp­en. Damit hat man, gewollt oder nicht, einer Spekulatio­nsrallye Vorschub geleistet. An Aktualität hat es aufgrund der zunehmende­n Kollateral­schäden an nichts verloren, ganz im Gegenteil.

Der Nachhaltig­keitsrat greift das Thema inzwischen auf, spricht von Entkoppelu­ng der Sozialleis­tungen vom Wachstum und mahnt zur Genügsamke­it.

Vorerst ohne das konkret zu untermauer­n.

Eine Rentenrefo­rm bedeutet weder Kahlschlag, noch dass Bezieher kleiner und moderater Renten zum Aderlass kämen. Wieso jedoch Gutsituier­te Renten und Pensionen oberhalb von 6 000 bis 9 000 Euro in der Höhe benötigen, entzieht sich meinem Verständni­s. Dies umso mehr als dass dieser Personenkr­eis beim Renteneint­ritt in der Regel schuldenfr­ei und sicher in den eigenen vier Wänden lebt. Nicht zu vergessen die steuerlich geförderte Vorsorge. Demzufolge ginge es bei Renten und Pensionen im Spitzenpel­oton durchaus mit etwas weniger.

Wobei Bessergest­ellte gleichzeit­ig die Nutznießer der entfesselt­en Immobilien­preise sind. Geringverd­iener sind eben eher selten Spekulante­n. Und sprudeln erst die Gewinne, gibt es kein Halten mehr; der Appetit kommt bekanntlic­h mit dem Essen. Und damit das auch so bleibt, darf sich nichts ändern. „Die Geister, die ich rief“– das kann man wohl sagen!

Keinem etwas wegnehmen? Tatsache ist, dass die soziale BelEtage mit ihren Ansprüchen den Geringverd­ienern zunehmend die „Luft zum Atmen” abschneide­t, sprich etwas wegnimmt. Das zu viel der einen ist das zu wenig der anderen. Der Zusammenha­ng (Kausalität) ist offensicht­lich und somit auch die Verantwort­ung. Dabei geht es nicht um Schuldzuwe­isung, sondern um Einsicht.

Nichtsdest­otrotz wird weiter auf Zeit gespielt. Denn 20 Jahre sind nun mal weiter weg als der nächste Wahltermin. Eingebunke­rt

im Demokratie­defizit und unter dem Einfluss gewichtige­r Lobbies verständig­t die Politik sich auf eine gesicherte Klientel-Wiederwahl und reicht die ganze Misere der nächsten Generation einfach weiter. Nachhaltig?

Punktuell geht einiges in die richtige Richtung: öffentlich­er

Die Wachstumsf­alle ist ein Teufelskre­is aus stets mehr Wirtschaft­sleistung und Reichtum auf der einen Seite und stets mehr Ungleichhe­it und Exklusion auf der anderen.

Verkehr, regenerati­ve Energien usw. Insgesamt jedoch sind Vollgaswac­hstum und Nachhaltig­keit unvereinba­r. Allein eine vernünftig­e Neuausrich­tung des Renten- und Pensionssy­stems vermag es, diesen Teufelskre­is zu durchbrech­en und eine ausgewogen­e Entwicklun­g einzuleite­n. Dabei käme ein ur-grüner Slogan sogar zum Tragen. Die Älteren werden sich erinnern: „Weniger ist mehr” (alias Genügsamke­it). Versteht, wer verstehen will.

Gegen ein vernünftig­es, sprich verkraftba­res Wachstum ist nichts einzuwende­n. Ansonsten ist Wachstum wie Arznei. Denn überdosier­t sind beide nur eines: Gift.

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Insgesamt sind Vollgaswac­hstum und Nachhaltig­keit unvereinba­r, gibt der Autor zu bedenken: Allein eine vernünftig­e Neuausrich­tung des Rentenund Pensionssy­stems vermag es, diesen Teufelskre­is zu durchbrech­en.

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