Mehr Querverbindungen wagen
Wie sich der neue Direktor des ’natur musée’, Patrick Michaely, nach 100 Tagen im Amt die Zukunft vorstellt
Er spricht von der „Dreifaltigkeit“des Museums: „Wissenschaft“, „Vermittlung“, „Sammlung“. Und am liebsten lebt Patrick Michaely, der einstige Kommunikationschef des Nationalmuseums für Naturgeschichte (MNHN), nun als Direktor selbst vor, wie er sich die Arbeit unter seiner Leitung vorstellt. Einmischen und austauschen sollen sich nicht nur die Mitarbeiter intern, sondern das im Volksmund als ’natur musée’ bekannte Haus soll als Ganzes und insbesondere als Wissenschaftsinstitut seine Stimme deutlicher machen – gerade in Richtung Politik und Gesellschaft.
Patrick Michaely, Sie sind nun 100 Tage im Amt. Welche Herausforderung war die größte bisher? Auch wenn man meinen könnte, dass das kein allzu schwieriger Umstieg war, wenn man wie Sie schon so lange an einem Haus ist ...
Es ist der Perspektivenwechsel. Früher konnte ich mich quasi ganz auf meine Zuständigkeit fokussieren; sprich, mich um die Kommunikation kümmern. Bei allem, was sonst anfiel – sei es im Bereich Pädagogik oder Ausstellungskonzeption – konnte ich meinen Teil beisteuern, war über die Projekte auf dem Laufenden und informierte mich, was man wie darstellen könnte. Nun muss ich mich viel enger mit den Abteilungen verzahnen, ganze andere Verantwortlichkeiten übernehmen und Impulse setzen. Und dieser Perspektiv- und auch Rollenwechsel war schon eine Herausforderung, um als Direktor wegweisend und glaubwürdig die Abteilungen in eine gemeinsame Richtung zu führen. Und das bedeutet Arbeit.
Haben die Schäden durch das Hochwasser im letzten Jahr gleich zwei Dinge bewirkt: einerseits Sie als Manager zu positionieren und andererseits den Schutz vor solchen Katastrophen auf Ihre persönliche Agenda ganz nach oben gesetzt?
Also ich war sicher nicht in dieser Zeit der Manager, das war
Patrick Michaely ist seit wenigen Monaten Leiter des MNHN. schon mein Vorgänger – der sich sicher auch ein anderes Ende seiner Amtszeit als eine Pandemie und Hochwasserüberschwemmung gewünscht hat. Auf unserem Agenda – was auch politisch so gewünscht wird – steht ein Notfallplan, der in allen möglichen Fällen klare Handlungsanweisungen intern, wie auch für Partner wie den CGDIS gibt. Das wird dann auch so in dem noch zu festzuzurrenden Arbeitsplan mit klaren Zielsetzungen für die Jahre 2022 bis 24 stehen. Und das braucht auch seine Zeit, weil zum Beispiel auch jedes einzelne Depot – längst nicht alles ist ja hier in Grund vor Ort – in dem Sinne abgesichert ist. Und wir haben Millionen von Objekten.
Die Sammlung des Museums an sich ist einerseits ein echtes Pfund und andererseits muss sie sich – insbesondere in einer Ausstellung – auch in der Inszenierung gegenüber Medien wie Games und Online-Plattformen schlagen, oder?
Da sehe ich keine echte Konkurrenz. Ich zitiere da Peter Weibel vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien, der häufig auf diese Kontexte angesprochen wurde. Sind Netflix, Games und Co. Konkurrenz? „Nein“, sagt Weibel – wir können aber versuchen, mit unseren Mitteln eine Art „besseres Netflix“zu machen.
Das heißt, sich permanent die Frage zu stellen, wie wir uns mit unseren Sammlungen und unserer Forschung besser positionieren und gerade die Forschung auch noch besser vermitteln können. Das bedeutet nicht unbedingt die komplette technische Aufrüstung mit Augmented (AR) oder Virtual Reality (VR). Aber es gilt zu schauen, wie wir welchen Inhalt klarer machen können und welchen Weg wir dazu gehen. Dabei kann VR mal ein Weg sein, ein schönes „nice to have“. Letztlich ist das ganz Direkte, quasi Greifbare immer noch das, was uns auszeichnet. Unsere Objekte – wie zum Beispiel das Präparat des besonders komplett erhaltenen Plesiosaurus aus Sanem und seine Aura – machen uns einzigartig. Dennoch ist es zum Beispiel auch wichtig, die Sammlung in den Dialog zu stellen. Beispielsweise mit Literatur, Tanz, Kino und Musik. Dadurch schaffen wir einen neuen Zugang und einen anderen Blick auf unsere Themen. Letzten Endes sind es eher erlebte Erfahrungen – nicht das Objekt oder das Medium dazu –, die in Erinnerung bleiben.
Könnten Sie da ein Beispiel nennen?
In ein paar Monaten startet unsere Ausstellung zum Thema „Der Impakt des Menschen auf die Biodiversität“. Darum planen wir ein dichtes Rahmenprogramm mit Workshops und Veranstaltungen. Wir arbeiten zum Beispiel daran, den DJ und Naturschützer Dominik Eulberg für einen Auftritt im Museum zu gewinnen. In der Berliner DJ-Szene hat er sich längst einen Namen gemacht – auch dadurch, dass er seine Titel an der Naturwelt wie zum Beispiel bedrohten Arten orientiert. Und das in seinen Auftritten auch vermittelt. Bei Konzerten in Museen entwickelt er einen ganz eigenen Zugang in die Welt von Pflanzen und Tieren. Und genau das macht seinen Auftritt so spannend – und wie unser Publikum darauf reagieren wird. Im besten Fall nehmen sie eine besondere
Erfahrung mit, an die sie sich erinnern. Ergänzend zum klassischen Führungs- und Bildungsprogramm wollen wir so versuchen, unsere Werte – im besten Sinne des Wortes – weiterzugeben.
Wurde zu lange unterschätzt, was das Museum als Wissenschaftsinstitut leisten kann? Von der Gesellschaft und der Politik?
Sicher nicht intern. Seit den 1960er-Jahren – das Museum hatte zum Beispiel im Land das erste Elektronenmikroskop – haben Forschungen in der Mineralogie und die landesweite Pflanzenkartierung für viele ganz grundlegende Daten gesorgt. Warum es nicht eine Art Push gegeben hat, darf man aber ruhig fragen. Natürlich packen wir uns da auch an die eigene Nase – mit der Frage: „Hat unser pädagogisches Engagement die wissenschaftliche Arbeit übertüncht?“. Aber andererseits war diese Arbeit auch auf sehr wichtig. Wir profitieren heute davon; einst begeisterte Kinder zeigen heute ihren eigenen Sprösslingen das Museum. Doch ganz sicher wollen wir in Zukunft unsere wissenschaftliche Arbeit, die wir immer stärker professionalisiert und ausgebaut haben, auch nach außen tragen.
Meinen Sie besondere Expertisen und Segmente?
Was uns als Wissenschaftsinstitut auszeichnen könnte, ist, dass wir Querverbindungen herstellen. Kein anderes wissenschaftliches Institut im Land hat diese direkte Nähe zu breiten Schichten der Gesellschaft. Deswegen möchte ich, dass sich unsere Mitarbeiter untereinander austauschen und gemeinsam versuchen, aus der aktuellen Forschung heraus und ganz nah für das Publikum spürbar zu arbeiten. Sprich: Jemand, der eine Führung zum Dachs macht, kann darauf verweisen, dass er selbst eine DNA-Analyse in unserem Labor gemacht hat – und erklärt, warum es wichtig ist, solche Analysen zu machen.
Wer Sie kennt, weiß, dass Sie selbst Kinder haben, viel international unterwegs sind und ihre private Bibliothek stetig auffrischen. Helfen diese damit verbundenen Erfahrungswerte?
Allein der Fakt, dass ich Vater bin, macht mich nicht zwangsläufig zu einem besseren Vermittler. Aber natürlich beobachte ich meine und andere Kinder, wie sie auf Ausstellungen und Angebote reagieren. So gilt es, vielleicht eher Impulse zu setzen – auch aus den Erfahrungen bei zum Beispiel den aktuell sehr starken deutschen naturwissenschaftlichen Museen.
Ich hatte in meiner Karriere hier im Haus das große Glück, die „Dreifaltigkeit“aus „Wissenschaft“, „Vermittlung“und „Sammlung“kennenzulernen.
Und das halte ich auch persönlich für sehr wichtig, andere Stellen und deren Arbeit kennen und verstehen zu lernen. Das dann auch immer in einem internationalen Netzwerk zu tun, ist gerade für uns unumgänglich. In der eigenen Suppe zu kochen, sorgt dafür, dass sie kalt wird.
Wir können versuchen, mit unseren Mitteln eine Art „besseres Netflix“zu machen.