Alptraum Afghanistan
Aiman al-Sawahiri ist tot. Die Nachricht der Beseitigung des Al-Kaida-Führers durch eine USDrohne geht am 31. Juli um die Welt und wirft damit ein Schlaglicht auf Afghanistan – das Land, das die USA und ihre Verbündeten nach einem chaotischen Abzug vor einem Jahr einfach seinem Schicksal überlassen haben. Denn in der Zwischenzeit ist das Land am Hindukusch in Vergessenheit geraten. Der Westen hat seine Aufmerksamkeit auf andere Themen gelenkt – vornehmlich auf Russlands Einmarsch in die Ukraine und die Wahrung seines eigenen Wohlstands. Dabei hätten die westlichen Länder allen Grund, Afghanistan im Blick zu behalten.
Zum einen gibt die terroristische Gefahr Anlass zur Sorge. Denn Al-Sawahiri war offenbar in der Villa des afghanischen Innenministers in Kabul untergebracht. Dabei hatten die Taliban den USA im DohaAbkommen einen Bruch mit Al-Kaida zugesagt. Das Land am Hindukusch ist auf bestem Wege, wieder zur Spielwiese diverser Terroristengruppen zu werden, die neue Anschlagspläne gegen westliche Hauptstädte aushecken.
Zum anderen ist es die desolate Menschenrechtslage in Afghanistan, die den westlichen Staatenlenkern die Schamröte ins Gesicht treiben sollte. Denn sie waren es, die einer ganzen Generation Hoffnung auf Freiheit und Demokratie machten. Das ist nun alles Makulatur. Besonders im Schatten von Putins Krieg haben die Taliban Terror, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Hinrichtungen, Folter, Schikanen und Unterdrückung verschärft. Am meisten zu leiden haben die Frauen, die fast gänzlich aus der Öffentlichkeit verbannt wurden. Mädchen wird der Zugang zu Bildung ab der sechsten Klasse und somit zu einer Zukunft verwehrt. Aber auch Minderheiten und all jene Personen, die mit ausländischen Organisationen zusammengearbeitet und/oder sich für freiheitliche Werte eingesetzt haben, stehen im Fokus der Schergen.
Fast noch dramatischer als die Repression ist die Armut, mit der die Menschen im Alltag zu kämpfen haben. Laut UN ist die Hälfte der Bevölkerung akut von Hunger bedroht. Neben aufeinanderfolgenden Dürren befeuern internationale Sanktionen, ausbleibende Finanzhilfen und eingefrorene Staatskonten im Ausland die Wirtschaftskrise. Der Westen knüpft seine Entwicklungshilfe an Bedingungen – und das ist auch richtig so. Er darf das menschenverachtende Regime der Steinzeit-Extremisten nicht anerkennen. Allein die Leidtragenden sind die Menschen vor Ort. Ein wichtiges Puzzlestück bleibt dabei die humanitäre Hilfe, die direkt bei den Notleidenden ankommt. Diese muss verstärkt von den westlichen Staaten unterstützt werden. Auch muss die Evakuierung sogenannter Ortskräfte sowie von Menschen, die in Lebensgefahr schweben, dringend fortgeführt werden. Dass dies so lange dauert, ist ein Skandal.
Der Westen, allen voran die USA, hat in Afghanistan eine historische Demütigung erlitten und sein Gesicht verloren. Doch Schuldzuweisungen helfen nicht. Die Taliban sind gekommen, um zu bleiben. Das Land geht einer düsteren Zukunft entgegen.
Der Westen hat die Afghanen ihrem Schicksal überlassen.
Kontakt: francoise.hanff@wort.lu