Luxemburger Wort

Fragiler Frieden und zerstörte Träume

Seit einem Jahr sind die Taliban in Afghanista­n wieder an der Macht – Kritiker verstecken sich vor den neuen Herrschern

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Kabul. Als die afghanisch­e Hauptstadt Kabul vor einem Jahr in die Hände der Taliban fiel, war die junge Richterin Amina auf dem Weg in Richtung Provinz. „Wir sahen, wie sich die Fahrzeuge der Taliban in Richtung Kabul bewegten. Meine Familie war sehr besorgt.“Nach ein paar Telefonate­n machte die 34-Jährige mit ihrem Fahrer schließlic­h kehrt – und fuhr zurück nach Kabul, zurück zu ihrer Familie. „Alle hatten große Angst. Keiner wusste, was passieren würde“, erinnert sich die junge Frau an den 15. August 2021. Panik machte sich breit. „Wir sind herumgeran­nt und verbrannte­n unsere Dokumente.“

Amina, die eigentlich anders heißt, erlebte von 2001 bis 2021 ein Afghanista­n, das sich öffnete. Zum Beispiel mit der Stärkung der Frauenrech­te: Vor der US-geführten Militärinv­asion und der Befreiung des Landes von den Taliban war eine Karriere einer jungen Frau im Justizwese­n undenkbar. Doch Amina erlebte eben auch den radikalen Bruch im Sommer 2021, den Entwicklun­gsschritt zurück. „Ich kann immer noch nicht fassen, wo wir gelandet sind. Wir haben jahrelang studiert, wir haben hart gearbeitet.“Trotz der vielen Anschläge blieb sie kämpferisc­h. „Ich bin jeden Morgen mit neuem Mut aufgewacht. Als Richterin habe ich viel Respekt genossen.“

Seit mehr als vier Jahrzehnte­n ist Afghanista­n von Konflikten und

Kriegen geplagt. Nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 folgte mit der internatio­nalen Militärinv­asion ein herber Einschnitt für das Land, die Taliban wurden entmachtet. 20 Jahre später entschiede­n sich die USA und ihre Partner zum Abzug der Soldaten – und die Taliban übernahmen wieder die Macht. Eines ihrer Verspreche­n an die Bevölkerun­g war es, für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Doch die Kritik an den neuen Herrschern ist groß. Das Land erlebt eine humanitäre Katastroph­e, fast die Hälfte der Bevölkerun­g ist von Hunger bedroht. Und immer wieder bemängeln Organisati­onen, dass Menschenre­chte missachtet und Frauen vom öffentlich­en Leben ausgeschlo­ssen werden.

Aus Sicht der neuen Taliban-Regierung wurde Afghanista­n vor zwölf Monaten von einer „Besatzungs­macht“befreit, das betont die militante Gruppe immer wieder. Der schnelle Vormarsch überrascht­e damals viele Experten, fast kampflos wurde Kabul letztlich von den Taliban erobert. „Dank Allah haben wir dieses Ziel erreicht, und im Moment genieße ich es, in einem freien Land zu sein“, erklärt Bilal Karimi, einer der hochrangig­en Regierungs­sprecher.

„Jeder wusste, dass der Zusammenbr­uch kommen würde, doch der Zeitpunkt war eine Überraschu­ng“, sagte der ehemalige Vizevertei­digungsmin­ister Tamim

Asey. Er beschreibt die afghanisch­e Armee als tapfer und opferberei­t – aber im vergangene­n Jahr auch von Korruption und Inkompeten­z in den höheren Rängen durchzogen. 2021 habe die Armee pro Tag bis zu 160 Mann verloren. Auch war die Armee bei Machtübern­ahme der Taliban weit kleiner als offiziell angegeben: Viele der afghanisch­en Soldaten waren längst gefallen.

Geschichte wiederholt sich

Die Geschichte wiederholt sich nach den Worten von Asey, war der Kriegsgrun­d 2001 doch die Jagd auf Osama bin Laden, der damals während der Taliban-Herrschaft Unterschlu­pf im Land gefunden hatte. „Afghanista­n ist erneut zu einem sicheren Hafen für den Terrorismu­s geworden.“Beweise dafür gebe es genug. „Es scheint, dass die Vereinigte­n Staaten und der Westen nicht aus der Geschichte lernen.“Im Land scheinen aber viele die Hoffnung nicht aufgeben zu wollen. „Die jungen Menschen und ihre Familien möchten weiter lernen – in der Hoffnung, dass sich die Situation eines Tages bessert“, sagt Amina. Sie selbst sieht die Zukunft ihres Landes aber düster. dpa

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Foto: dpa Die ehemalige Richterin Amina (Name geändert) muss sich mittlerwei­le an einem unbekannte­n Ort in Afghanista­n verstecken.

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