Ein unerschütterliches Gottesurteil
Warum Khomeini seine noch immer gültige Todesfatwa gegen Salman Rushdie erlassen hatte
Khomeinis Fatwa gegen Salman Rushdie wurde mit fünfmonatiger Verspätung erlassen. Längst hatten sich die vor allem in Südostasien tobenden Proteste gegen die im September 1988 erschienenen „Satanischen Verse“gelegt, als Ayatollah Khomeini am 14.Februar 1989 den britisch-indischen Autor zum Tode verurteilte. „Ich fordere alle aufrechten Muslime auf, den Autor und alle an der Veröffentlichung beteiligten Leute sofort hinzurichten, wo immer Sie sie finden“, forderte der greise iranische Revolutionsführer in seinem über Radio Teheran verbreiteten Rechtsgutachten.
Nur Stunden später waren damals in der iranischen Hauptstadt Tausende von Iranern mit einem Galgen auf die Straße gegangen, an dem eine Rushdie-Puppe baumelte. Das Buch hatte natürlich niemand gelesen. Es reichte das Wort des Ayatollah. Der Inhalt, verkündeten die Staatsmedien, sei blasphemisch, weil es Rushdie in seinem Roman gewagt hätte, die Entstehung des Korans und des Islams in ein Bordell zu verlegen, in dem die Prostituierten die Namen der (angeblich neun) Frauen des Propheten annahmen.
Todesfatwa kam Khomeini damals wie gerufen
Damit nicht genug: Um die mutmaßlichen Mörder des „gottlosen Schriftstellers“zu belohnen, hatte die iranische Chordad-Stiftung auch noch ein Kopfgeld von einer
Salman Rushdie hätte ohne Khomeinis Fatwa ein normales Leben führen können.
Million Dollar ausgesetzt. Der Betrag wurde erst vor sechs Jahren auf 3.3 Millionen Dollar erhöht.
Tatsächlich ging es Khomeini um viel mehr als „nur“einen vermeintlichen Gotteslästerer liquidieren zu lassen. Zum Zeitpunkt der Fatwa-Veröffentlichung befand sich der Iran in einer schweren politischen Krise: Einige Monate zuvor musste Khomeini einen auch aus seiner Sicht „bitteren“Waffenstillstand mit dem Irak akzeptieren. Viele Iraner hatten damals das Gefühl, dass die vielen Entbehrungen während des achtjährigen Waffenganges mit dem arabischen Nachbarn umsonst gewesen waren.
Gleichzeitig tobte im Iran ein Machtkampf zwischen Khomeini und seinem populären Stellvertreter Ayatollah Hossein-Ali Montazeri. Um seine angeschlagene Position als politischer und geistlicher Führer des Landes wieder zu stärken, brauchte Khomeini ein Ventil, um von seinen vielfältigen Problemen ablenken zu können. Die Todesfatwa gegen Salman Rushdie schien dem Geistlichen dafür ein adäquates Mittel: Noch einmal wollte sich der damals schon schwerkranke Khomeini als Führer aller Muslime präsentieren, sich an die Spitze einer vermeintlichen „revolutionären Bewegung“(gegen Salman Rushdie) setzen – ehe er im Juni des gleichen Jahres starb.
Wer glaubte, dass nun auch die Todesfatwa ihre Gültigkeit verlieren würde, sah sich getäuscht. Neun Jahre nach dem Tod des Ayatollah Khomeinis versicherte die reformorientierte Regierung von Präsident Mohammed Khatami Großbritannien, dass „die Islamische Republik die Fatwa niemals umsetzen wird“. Zuvor hatten auch zahlreiche islamische Rechtsgelehrte in aller Welt die Argumentation Khomeinis als „unvereinbar mit der islamischen Rechtstradition“zurückgewiesen.
Bis heute gültig ist die Mord-Fatwa aber dennoch, weil der im Herbst 1989 designierte Nachfolger von Khomeini, Ayatollah Khamenei, die Gültigkeit des umstrittenen Rechtsgutachtens fast jedes
Jahr in unmissverständlicher Form bekräftigte.
So heißt es in einem Tweet des seit nunmehr 33 Jahren amtierenden iranischen Revolutionsführers vom 14. Februar 2019 wörtlich: „Khomeinis Urteil über Rushdie stützt sich auf göttliche Verse und diese sind unerschütterlich und unwiderruflich“. Ob sich der Attentäter von Chautauqua davon inspirieren ließ, ist nicht bekannt. Ohne Khomeinis Fatwa, das gilt als sicher, hätte Salman Rushdie aber ein normales Leben führen können und nicht, wie in den letzten drei Jahrzehnten, ständig seine Wohnung wechseln müssen.
Der Hass auf Rushdie ist im Iran auch heute noch groß
Die Gefahr für sein Leben hatte der Schriftsteller zuletzt als gering betrachtet. Wie Groß der Hass auf ihn war und offenbar noch immer ist, zeigen aktuelle Reaktionen aus dem Iran auf den Mordanschlag. So feierte der Chefredakteur der ultrakonservativen Zeitung „Khayhan“den Attentäter als einen „mutigen und pflichtbewussten Mann“. Wörtlich schrieb er: „Lasst uns die Hände desjenigen küssen, der dem Feind Gottes mit einem Messer den Hals durchgeschnitten hat...“
Salman Rushdie ist nach der Messerattacke auf dem Wege der Besserung. Trotz seiner schwerwiegenden und lebensverändernden Verletzungen bleibt sein kämpferischer und aufsässiger Sinn für Humor intakt“, schrieb sein Sohn Zafar Rushdie am Sonntag auf Twitter.