Mehr Inhalte wagen
Euphorisiert kehrt LW-Journalistin Nora Schloesser von ihrem Besuch in Kaunas zurück. Als Teil einer Luxemburger Abordnung rund um die Esch2022-Chefin Nancy Braun erzählt sie in der Redaktion von den Erlebnissen über das vergangene Wochenende und bringt viele Bilder und Eindrücke mit. Stolz sei dieser Kulturhauptstadt Europas anzumerken. Und das Publikum bei den Vorstellungen und Ausstellungen? Die Performances seien ausverkauft, das Interesse spürbar gewesen. Dass hier neue Kulturorte erschlossen, Vergangenheit aufgearbeitet und neue Chancen gerade in Nähe von aktuellen Kriegsgebieten entstehen würden, werde gewürdigt.
Und Esch2022? Noch vor ein paar Wochen kartete Guy Helminger nach: Im Beitrag für das ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“wird der Luxemburger Autor nicht nur als rebellischer Geist vorgestellt. Er sei „kulturhauptstadtskeptisch“, so die Journalistin Salwa Houmsi, die Helminger im Beitrag zum Gespräch bat. Die Kernstelle des Interviews in Bezug auf das Kulturjahr wiederholt einmal mehr bekannte Vorwürfe an die Verantwortlichen. Die Kurzfassung der Kritikpunkte: das „Weglegen“des von Janina Strötgen und Andreas Wagner erarbeiteten und im von der EU-Kommission abgesegneten Bid Book, der politische Wechsel in Esch und seine Folgen für die Kulturhauptstadt – und die nötige Neubewerbung der Projekte. „Was viele Leute nicht mehr gemacht haben. Ich zum Beispiel auch nicht“, so Helminger. „Vor allem gab es dann noch eine Klausel dazu, dass alle Künstler bis zu 50 Prozent ihres Kunstwerkes selbst finanzieren mussten; also selbst für Sponsoren sorgen mussten. Das ist ein Unding, das gab es nicht in ...“, Houmsi [fällt ihm ins Wort]: „Aber Luxemburg hat doch eigentlich genug Geld, oder?“, Helminger weiter: „Ja, wir sind sooo arm – das ist ein Politikum, in meinen Augen. Ich weiß nicht, woran es liegt, wie man auf eine so bescheuerte Idee kommen kann.“
Einerseits hat Helminger nicht ganz unrecht. Es gab und gibt klare Kritikpunkte an der Planung und Umsetzung. Man könnte aber ja auch in puncto Geld entgegnen: Wie bekommen denn die vielen anderen Künstlerinnen und Künstler, die sich bei Esch2022 mit einem Projekt engagieren, eine professionell fundierte Finanzierung hin?
Dabei gerät leider das, was diese reell Beteiligten inhaltlich leisten, in den Hintergrund. Kurz nach der Halbzeit erscheint es doch wichtiger, darüber zu diskutieren, welche Inhalte gut funktioniert haben. Auch eine Debatte darüber, was an neuen Spielorten dauerhaft eine Bereicherung bringen könnte, und ob die beteiligten Gemeinden neue Initiativen entdeckt haben, die sie auch im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger weiterbringen könnten, wäre sinnvoll.
Die bewusste Verknappung spielt nur wieder Kritikern, gerade auch der angeblich nicht beteiligten freien Szene an Esch2022, in die Karten; egal aus welchen Gründen eine Opposition Sinn macht oder nicht. Vielleicht ist es ja auch viel schöner, zu unken oder sich „an denen da oben“abzuarbeiten. Feindbilder helfen ja manchem, sich zu profilieren – egal, was man selbst substanziell geleistet hat. Die, die reell beitragen, sollten besucht, in ihrer kreativen
Arbeit hinterfragt und in ihren Initiativen begleitet werden. Das ist echter, kritischer Dialog im Sinne der Kultur.
Esch2022 braucht anderes als Nachkarten, nämlich echten Diskurs.
Kontakt: daniel.conrad@wort.lu