Auf den Spuren einer Ikone
Mit dem Design von Jean Prouvé reist man nicht nur durch die Jahrzehnte – man überquert auch Landesgrenzen
In Nancy geboren, in der Welt bekannt: Der Architekt und Designer Jean Prouvé (1901-1984) und sein Werk sind präsent – und das vielleicht mehr denn je. In seiner Heimatstadt sind viele seiner frühen Schmiede-Auftragsarbeiten aus der Art-Déco-Ära nicht nur zu sehen, sie werden seit zehn Jahren mit einem eigens konzipierten Parcours sogar bewusst in den Fokus gerückt. Das Musée des Beaux-Arts lädt zudem in einer Dauerausstellung dazu ein, rund 30 Arbeiten des Konstrukteurs kennenzulernen.
Sein Wohnhaus und die Werkstatt gelten als Ikone in der Bauwelt des 20. Jahrhunderts. Und im rund 200 Kilometer weiter südöstlich gelegenen Weil am Rhein bekommt man ein Stück Prouvé fürs eigene Zuhause, wenn man es sich leisten kann. Denn hier archiviert das internationale Designunternehmen Vitra nicht nur Prouvés Möbel und Wohnaccessoires. Nein: Es reproduziert und vertreibt sie und zollt damit dem Franzosen kontinuierlich Tribut.
Diesen Sommer ganz besonders, denn Vitra hat eines seiner Möbelstücke
neu aufgelegt: den „Fauteuil Kangourou“aus dem Jahr 1948. In Zusammenarbeit mit der Tochter des Konstrukteurs, Catherine Prouvé, wurde der Sessel aus naturfarbener Eiche mit Metallbeinen gefertigt und mit einem weich gewebten Bouclé-Stoff in der eigens von Prouvé kreierten Farbe „Bleu Marcoule“bezogen.
Er ist in limitierter Auflage Teil des Programms. Die 150 Stück, die in der ersten Runde Mitte Juni lanciert wurden, waren binnen Stunden ausverkauft, wenngleich man immerhin 4 050 Euro dafür hinblättern muss. Damit ist er zumindest erschwinglicher als mitunter im Auktionshaus Sotheby's, wo ein Exemplar auch schon mal für 400 000 Euro an einen offensichtlich großen Liebhaber ging. Ab dem 20.
September sind weitere 100 Sessel mit dunklem Eichenholz und einem hellen Bouclé-Stoff über Vitra im Verkauf.
Poetische Funktionalität: schnell, solide, einfach
Bevor Prouvé sich mit Interieur beschäftigte, war er eher draußen unterwegs, zunächst in seiner lothringischen Heimat. Wer also auf seinen Spuren reist, der beginnt in Nancy und im Jugendstil, spaziert an schmiedeeisernen Toren vorbei, findet in der Universitätsbibliothek kunstvolle Heizkörperverkleidungen und Lüftungsgitter sowie in der „Brasserie Excelsior“eine massive Leuchte, deren Fuß in das Treppengeländer übergeht.
Die Maxime „form follows function“lag dann vor allem seiner Arbeit als Unternehmer zugrunde, denn als er im Jahr 1924 seine eigene Werkstatt eröffnet, beginnt er damit, Möbel zu entwerfen. Er arbeitet weiterhin mit Metall, später auch mit Holz, ein berühmtes Schulmöbel – eine Kombination aus Stuhl und Tisch – wird zu einer der ersten Ikonen. Funktionale Unterkünfte für die Armee kommen Ende der 1930er-Jahre hinzu.
Schlendert man vom Zentrum Nancys aus über Osten in Richtung Maxéville, erschließt sich, wer Prouvé zu einer Zeit war, die bereits die (mindestens) dritte Phase seiner Karriere markierte. In seiner Werkstatt und seinem Wohnhaus aus den 1950er-Jahren in der Rue Augustin Hacquard wird deutlich: Der Konstrukteur war ein Macher. Nachvollziehbar wird dies in einer Mini-Ausstellung über seine Arbeit in der Werkstatt sowie bei der Besichtigung seines Hauses, das er übrigens aus Metallresten seiner Fabrik baute. Nachdem er seine Firma aufgrund von Auseinandersetzungen mit dem Mehrheitsaktionär verlassen hatte, konzentrierte er sich auf eigene
Wer auf Jean Prouvés Spuren reist, der beginnt in Nancy und im Jugendstil.
Von seinen auf- und abbaubaren Häusern hat es eine Variante aus dem Jahr 1944 sogar bis auf die Art Basel Miami geschafft.
und der Schweiz nicht nur seine ikonenhaften Werke von Experten mit Respekt und Leidenschaft eine Gegenwart und Zukunft haben.
Neue und alte Designklassiker in Weil am Rhein
Hier stellt Vitra Möbel und Wohnaccessoires der größten Designer des 19. und 20. Jahrhunderts her, darunter auch die von Prouvé. Seine Kollektionen werden mit neuen Farben und Stoffen überarbeitet und mitunter weniger bekannte Entwürfe vorgestellt.
Bei einem Archivbestand von rund 170 alleine für das Portfolio des Franzosen scheinen da die Möglichkeiten noch längst nicht erschöpft. Auch auf dem Gelände des Unternehmens reiht sich
Prouvé in die lange Liste der Architekten, die einzelne Gebäude konzipiert respektive gebaut haben, als Konstrukteur ein; neben dem Design Museum von Frank Gehry, einem Konferenzpavillon von Tadao Ando und einem Feuerwehrhaus von Zaha Hadid finden Besucher eine Tankstelle und eine Schaukel aus der Feder von Prouvé auf dem Vitra Campus.
Neu seit Mai 2021: Ein Designweg, der das Stadtzentrum von Weil am Rhein mit dem Campus verbindet. Der Weg wird von zwölf Vitrinen markiert, die von Ronan und Erwan Bouroullec gestaltet worden sind. Auf kleinen Drehpodien präsentieren die laternenartigen Vitrinen Miniaturen von Highlights des modernen Möbeldesigns aus der Sammlung des Vitra Design Museums. So lassen sich einige Ausschnitte aus fast 200 Jahren Möbelgeschichte erleben, vom berühmten Kaffeehaus-Stuhl von Thonet aus dem 19. Jahrhundert über Möbel von Le Corbusier bis zu Entwürfen von Charles und Ray Eames.