Der Scheinheilige
Nicht nur Gläubige halten den Kölner Erzbischof Woelki für einen Heuchler
Der Montag ist ein guter Tag für Kardinal Rainer Maria Woelki. Einerseits. Es ist Feiertag – und er zelebriert beim Gottesdienst in der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild im Bayerisch-Schwäbischen ein Pontifikalamt. In seiner Predigt sagt er unter anderem, in jedem Menschen „leuchtet Gott auf“.
Dass genau daran bei ihm zu Hause in Köln, gut 500 Kilometer entfernt, viele nicht glauben wollen – das steht am Montag in der Zeitung. Und wie. Die „FAZ“veröffentlicht ein Interview mit dem Vorsitzenden des Diözesanrats im Erzbistum am Rhein. Tim Kurzbach – im Hauptberuf Oberbürgermeister der 160 000-Einwohner-Stadt Solingen – fordert kaum versteckt, Woelki müsse endlich aus dem Amt. Und also der Papst handeln. Denn: „Alles über Kardinal Woelki ist in Rom bekannt.“
Falls das stimmt mit dem „alles“– dann weiß Franziskus, der Heilige Vater, auch von dem neuesten Skandal, in dessen Zentrum Woelki steckt. Wegen anderen hatte er ihn von vergangenem Oktober bis zum Aschermittwoch in eine „geistliche Auszeit“geschickt. Und ihm ein Rücktrittsgesuch abverlangt – über das er bislang nicht entschieden hat. In Köln sind viele entschlossener: Gut 10 500 Menschen sind allein im ersten Halbjahr aus der katholischen Kirche ausgetreten – ein Rekord.
Neue Details
Und nun hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“(KStA) berichtet, wie Woelki vor zwei Jahren versuchte, sich aus einer Affäre im Zusammenhang mit Missbrauchstaten durch Priester und andere Bistumsmitarbeiter zu ziehen. Unterlagen belegen, dass und wie Opfer und Öffentlichkeit gesteuert werden sollten.
Anlass war die Fertigstellung eines vom Erzbistum bei der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl in Auftrag gegebenen Missbrauchs-Gutachtens. Woelki verhinderte im Oktober 2020, nachdem er sich die Unterstützung des Betroffenenbeirats gesichert hatte, dessen Veröffentlichung – und gab ein neues Gutachten in Auftrag. Umgehend war der Verdacht in der Welt, es gehe dem Kardinal darum, unangenehme Erkenntnisse zu unterschlagen.
Nun berichtet der „KStA“, Woelki habe sich zuvor von der Leipziger PR-Agentur Ewald&Rössing ein Kommunikationskonzept erarbeiten lassen. Titel: „Wie ,überlebt’ der Kardinal bis März 2021“. Woelkis Berater Torsten Rössing riet darin dem Kardinal, den Betroffenenbeirat auf seine Linie zu bringen – indem er bei einer Sitzung „Emotionen, Glaubhaftigkeit und Echtheit“zeige. Außerdem solle er versuchen, einen „einflussreichen
und glaubwürdigen“Journalisten eines überregionalen Leitmediums, der zu den „potenziellen Gegnern“gehöre, in einen „Fürsprecher (Befürworter)“zu verwandeln.
Inzwischen hat der „FAZ“-Journalist Daniel Deckers einen von dieser Absicht getragenen Anruf bestätigt. Woelki habe ihm „exklusive Informationen angeboten“. Er habe abgelehnt. Der Betroffenenbeirat wirft Woelki vor, ihn in der entscheidenden Sitzung manipuliert zu haben. Das Erzbistum selbst braucht fünf Tage, ehe der neue Generalvikar Guido Assmann sich in einem Brief an die
„lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“über den „KStA“-Artikel beklagt. Es werde da von „von einigen Medien nun ein Riesenskandal gemacht, ist es aber nicht“. Assmann bestätigt den Auftrag an Ewald&Rössing – „wir sind alle keine Kommunikationsprofis“– und behauptet, „handlungsleitend“sei für Woelki „immer und ausschließlich die Betroffenenperspektive“.
Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums aber halten das für eine Lüge. Pastoralund Gemeindereferenten, Religionslehrerinnen und Geistliche fühlen sich „benutzt“. Und sie werfen in persönlichen Ergänzungen zu einer gemeinsamen Stellungnahme Woelki vor, ihm gehe es allein um den „eigenen Machterhalt“.
Moralischer Bankrott
Noch deutlicher wird Diözesanrats-Vorsitzender Kurzbach. Er bescheinigt Woelki den „Verlust jeglicher moralischen Integrität“. Und erklärt, nicht der Auftrag an Ewald&Rössing sei das Problem – wenn er sich auch frage, „ob ein katholischer Bischof fast eine Million Euro für so etwas ausgeben muss“. Laut „KStA“haben Ewald&Rössing 820 000 Euro erhalten; laut Erzbistum hat Woelki, Stand Dezember 2021, rund 2,8 Millionen Euro für Gutachter, Medienanwälte und Kommunikationsberater ausgegeben. Für Kurzbach hat Woelki nicht beim Geld versagt. Sondern bei der Wahrhaftigkeit. „Wenn“, sagt er der „FAZ“, „ein solches Papier vor dir auf dem Tisch liegt und da steht drin: ,Du sollst durch vorgespielte Emotionen den Betroffenenbeirat auf deine Seite ziehen’ – dann bist du doch als Christenmensch verpflichtet zu sagen: ,Das mache ich jetzt nicht.’“
Ebenfalls am Montag – an dem Woelki in Bayern von Gottes Leuchten in jedem Menschen predigt – heftet die Fraueninitiative „Maria 2.0“rot-weißes Absperrband an die Eingangstür des Kölner Generalvikariats. Es ist dann, andererseits, ein ganz schlechter Tag für den Kardinal. Denn über dem Band hängt ein Schild: Geschlossen. Und darunter steht: Moralischer Bankrott.
Alles über Kardinal Woelki ist in Rom bekannt. Tim Kurzbach, Oberbürgermeister von Solingen