Luxemburger Wort

Der Scheinheil­ige

Nicht nur Gläubige halten den Kölner Erzbischof Woelki für einen Heuchler

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Karikatur: Florin Balaban

Der Montag ist ein guter Tag für Kardinal Rainer Maria Woelki. Einerseits. Es ist Feiertag – und er zelebriert beim Gottesdien­st in der Wallfahrts­kirche Maria Vesperbild im Bayerisch-Schwäbisch­en ein Pontifikal­amt. In seiner Predigt sagt er unter anderem, in jedem Menschen „leuchtet Gott auf“.

Dass genau daran bei ihm zu Hause in Köln, gut 500 Kilometer entfernt, viele nicht glauben wollen – das steht am Montag in der Zeitung. Und wie. Die „FAZ“veröffentl­icht ein Interview mit dem Vorsitzend­en des Diözesanra­ts im Erzbistum am Rhein. Tim Kurzbach – im Hauptberuf Oberbürger­meister der 160 000-Einwohner-Stadt Solingen – fordert kaum versteckt, Woelki müsse endlich aus dem Amt. Und also der Papst handeln. Denn: „Alles über Kardinal Woelki ist in Rom bekannt.“

Falls das stimmt mit dem „alles“– dann weiß Franziskus, der Heilige Vater, auch von dem neuesten Skandal, in dessen Zentrum Woelki steckt. Wegen anderen hatte er ihn von vergangene­m Oktober bis zum Aschermitt­woch in eine „geistliche Auszeit“geschickt. Und ihm ein Rücktritts­gesuch abverlangt – über das er bislang nicht entschiede­n hat. In Köln sind viele entschloss­ener: Gut 10 500 Menschen sind allein im ersten Halbjahr aus der katholisch­en Kirche ausgetrete­n – ein Rekord.

Neue Details

Und nun hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“(KStA) berichtet, wie Woelki vor zwei Jahren versuchte, sich aus einer Affäre im Zusammenha­ng mit Missbrauch­staten durch Priester und andere Bistumsmit­arbeiter zu ziehen. Unterlagen belegen, dass und wie Opfer und Öffentlich­keit gesteuert werden sollten.

Anlass war die Fertigstel­lung eines vom Erzbistum bei der Münchner Anwaltskan­zlei Westpfahl Spilker Wastl in Auftrag gegebenen Missbrauch­s-Gutachtens. Woelki verhindert­e im Oktober 2020, nachdem er sich die Unterstütz­ung des Betroffene­nbeirats gesichert hatte, dessen Veröffentl­ichung – und gab ein neues Gutachten in Auftrag. Umgehend war der Verdacht in der Welt, es gehe dem Kardinal darum, unangenehm­e Erkenntnis­se zu unterschla­gen.

Nun berichtet der „KStA“, Woelki habe sich zuvor von der Leipziger PR-Agentur Ewald&Rössing ein Kommunikat­ionskonzep­t erarbeiten lassen. Titel: „Wie ,überlebt’ der Kardinal bis März 2021“. Woelkis Berater Torsten Rössing riet darin dem Kardinal, den Betroffene­nbeirat auf seine Linie zu bringen – indem er bei einer Sitzung „Emotionen, Glaubhafti­gkeit und Echtheit“zeige. Außerdem solle er versuchen, einen „einflussre­ichen

und glaubwürdi­gen“Journalist­en eines überregion­alen Leitmedium­s, der zu den „potenziell­en Gegnern“gehöre, in einen „Fürspreche­r (Befürworte­r)“zu verwandeln.

Inzwischen hat der „FAZ“-Journalist Daniel Deckers einen von dieser Absicht getragenen Anruf bestätigt. Woelki habe ihm „exklusive Informatio­nen angeboten“. Er habe abgelehnt. Der Betroffene­nbeirat wirft Woelki vor, ihn in der entscheide­nden Sitzung manipulier­t zu haben. Das Erzbistum selbst braucht fünf Tage, ehe der neue Generalvik­ar Guido Assmann sich in einem Brief an die

„lieben Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r“über den „KStA“-Artikel beklagt. Es werde da von „von einigen Medien nun ein Riesenskan­dal gemacht, ist es aber nicht“. Assmann bestätigt den Auftrag an Ewald&Rössing – „wir sind alle keine Kommunikat­ionsprofis“– und behauptet, „handlungsl­eitend“sei für Woelki „immer und ausschließ­lich die Betroffene­nperspekti­ve“.

Immer mehr Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Bistums aber halten das für eine Lüge. Pastoralun­d Gemeindere­ferenten, Religionsl­ehrerinnen und Geistliche fühlen sich „benutzt“. Und sie werfen in persönlich­en Ergänzunge­n zu einer gemeinsame­n Stellungna­hme Woelki vor, ihm gehe es allein um den „eigenen Machterhal­t“.

Moralische­r Bankrott

Noch deutlicher wird Diözesanra­ts-Vorsitzend­er Kurzbach. Er bescheinig­t Woelki den „Verlust jeglicher moralische­n Integrität“. Und erklärt, nicht der Auftrag an Ewald&Rössing sei das Problem – wenn er sich auch frage, „ob ein katholisch­er Bischof fast eine Million Euro für so etwas ausgeben muss“. Laut „KStA“haben Ewald&Rössing 820 000 Euro erhalten; laut Erzbistum hat Woelki, Stand Dezember 2021, rund 2,8 Millionen Euro für Gutachter, Medienanwä­lte und Kommunikat­ionsberate­r ausgegeben. Für Kurzbach hat Woelki nicht beim Geld versagt. Sondern bei der Wahrhaftig­keit. „Wenn“, sagt er der „FAZ“, „ein solches Papier vor dir auf dem Tisch liegt und da steht drin: ,Du sollst durch vorgespiel­te Emotionen den Betroffene­nbeirat auf deine Seite ziehen’ – dann bist du doch als Christenme­nsch verpflicht­et zu sagen: ,Das mache ich jetzt nicht.’“

Ebenfalls am Montag – an dem Woelki in Bayern von Gottes Leuchten in jedem Menschen predigt – heftet die Fraueninit­iative „Maria 2.0“rot-weißes Absperrban­d an die Eingangstü­r des Kölner Generalvik­ariats. Es ist dann, anderersei­ts, ein ganz schlechter Tag für den Kardinal. Denn über dem Band hängt ein Schild: Geschlosse­n. Und darunter steht: Moralische­r Bankrott.

Alles über Kardinal Woelki ist in Rom bekannt. Tim Kurzbach, Oberbürger­meister von Solingen

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