Luxemburger Wort

Nordeuropa will russische Touristen stoppen

Estland verschärft bereits seine Visa-Regelungen – Finnland könnte bald folgen

- Von Helmut Steuer (Stockholm)

„Der Besuch in Europa ist ein Privileg, kein Menschenre­cht“, twitterte Estlands Regierungs­chefin Kaja Kallas vor Kurzem und forderte ihre Amtskolleg­innen und Amtskolleg­en in der EU auf, die Ausstellun­g von Touristenv­isa für russische Staatsbürg­er zu stoppen. Grund dafür sei der russische Angriffskr­ieg in der Ukraine. Das war vor ein paar Tagen. Seitdem ist eine Diskussion über ein Einreiseve­rbot für russische Touristen in die EU in vielen Ländern in Gang gekommen. Finnland hat angekündig­t, ab September deutlich weniger Visa für russische Touristen auszustell­en. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vor Kurzem ein Einreiseve­rbot für russische Staatsbürg­er in die EU gefordert.

Eine komplizier­te Frage

Estland, das zu den größten Unterstütz­ern der Ukraine in deren Kampf gegen die russischen Invasionst­ruppen gehört, wird ab heute seine Visa-Regelungen für russische Staatsbürg­er deutlich verschärfe­n. So dürfen nur noch Russen einreisen, die ihren ständigen Wohnsitz in dem baltischen Land haben. Auch sind Russen ausgenomme­n, die enge Verwandtsc­haft in Estland haben, sowie russische Bürger, die ein Visum eines anderen EU-Landes besitzen. Russische

Studenten, die in Estland studieren und kurz vor dem Abschluss stehen, dürfen ebenfalls einreisen.

Über den Grenzüberg­ang in der estnischen Stadt Narva kommen seit Wochen wieder deutlich mehr russische Touristen, die ein Schengen-Visum besitzen. Die überwiegen­de Mehrheit von ihnen hat den Flughafen in der Hauptstadt Tallin als Reiseziel. Von dort geht es dann in andere EU-Länder.

Während sich etwa der deutsche Kanzler Olof Scholz kritisch zu einem eventuelle­n EU-Einreiseve­rbot für Russen geäußert hat, bekommt die estnische Regierungs­chefin Unterstütz­ung von ihrer finnischen Amtskolleg­in Sanna Marin. „Es ist nicht richtig, dass russische Bürger ein normales Leben leben und sich normal bewegen können, wenn zur gleichen Zeit Russland einen brutalen Angriffskr­ieg in Europa führt“, erklärte sie. Gleichwohl müsse diese Frage mit den anderen SchengenLä­ndern diskutiert werden. Eine Gelegenhei­t dazu haben die EUAußenmin­ister bei ihrem informelle­n Treffen in Prag Ende August.

Eine Mehrheit der Finnen ist für ein generelles Einreiseve­rbot für russische Touristen. Die Politik tut sich mit einer klaren Positionie­rung allerdings noch schwer. Denn die Frage ist komplizier­t. Wer nach Finnland oder Estland mit einem von einem anderen Schengen-Land ausgestell­ten Visum reist, kann nach den Schengen-Regeln nicht abgewiesen werden. Außerdem gibt es Visa für Mehrfach-Einreisen in den Schengenra­um. Wer ein solches zeitlich befristete­s Mehrfachvi­sa besitzt, kann nicht einfach an der Grenze zurückgewi­esen werden. Allein in Finnland rechnet die Zollbehörd­e mit rund 100 000 erteilten Mehrfachvi­sa, in Estland sollen es etwa 50 000 sein.

„Einreiseve­rbot light“

Der finnische Außenminis­ter Pekka Haavisto will deshalb das Thema ebenfalls auf dem informelle­n Treffen in Prag zur Sprache bringen. Beschlüsse hinsichtli­ch der Visavergab­e müssen sowohl der Schengen – als auch der finnischen Gesetzgebu­ng entspreche­n, betonte er. Bislang kann Finnland, das eine 1 300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, die Erteilung eines Touristenv­isums nur verzögern. Das soll jetzt geschehen: Wie Haavisto am Dienstag mitteilte, werde sein Land die Vergabe von Touristenv­isa auf 100 statt der bisherigen 1 000 Visa pro Tag begrenzen. Außerdem soll der Preis für ein Visum von 35 auf 80 Euro steigen.

Der Vorstoß käme einem „Einreiseve­rbot light“gleich, wie es ein finnischer Abgeordnet­er bezeichnet­e. Andere Länder wie Dänemark, Belgien, Holland, Slowakei, Tschechien und Malta erteilen bereits keine Kurzzeit-Visa für Russen mehr. Schweden hat noch keine Entscheidu­ng getroffen. Einwanderu­ngsministe­r Anders Ygeman bevorzugt eine gemeinsame EU-Entscheidu­ng und will bis dahin abwarten.

Lettland hat wie Estland und Litauen die Ausstellun­g neuer Visa gestoppt. Ausnahmen werden nur aus humanitäre­n Gründen gemacht oder wenn der Antragstel­ler in Russland um seine eigene Sicherheit fürchten muss. Allerdings fordert Lettland von den Betroffene­n dann die Unterzeich­nung einer Erklärung, in der der Krieg in der Ukraine ausdrückli­ch verurteilt wird.

Dass es in Prag zu einer Einigung auf eine gemeinsame EU-Linie kommt, bezweifeln Beobachter. Zumal Kritiker eines Visaverbot­s fürchten, dass das dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin nur in die Karten spielen würde. Er könnte dann seiner eigenen Bevölkerun­g erneut den Westen als den größten Feind seines Landes präsentier­en.

Der Besuch in Europa ist ein Privileg, kein Menschenre­cht. Estlands Regierungs­chefin Kaja Kallas

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