Luxemburger Wort

Ein Land feiert einen Bankräuber

Wie die Bevölkerun­g des Libanon inmitten einer schweren Wirtschaft­skrise einen ungewöhnli­chen Helden gefunden hat

- Von Michael Wrase

Bassam al-Scheikh sah keine andere Wahl, als er, mit einer abgesägten Schrotflin­te und einem Kanister Benzin bewaffnet, am Donnerstag letzter Woche in eine Bankfilial­e in der Beiruter Innenstadt eindrang. Diese hatte, wie alle Geldinstit­ute im Libanon, vor zwei Jahren die Konten ihrer Kunden eingefrore­n. „Ich will nur mein eigenes Geld“, schrie der 42jährige Mann verzweifel­t: „35 000 US-Dollar, um eine Spitalrech­nung für meinen kranken Vater zu bezahlen“. Als die Bankangest­ellten dies verweigert­en, wurden sie von Bassam, der das mitgebrach­te Benzin auf den Boden ausschütte­te, als Geiseln genommen.

Während das Drama seinen Lauf nahm, versammelt­en sich vor der Bankfilial­e Tausende von Libanesen. In Sprechchör­en feierten sie den vermeintli­chen „Bankräuber“als „unseren Helden“und verunglimp­ften die Verantwort­lichen für die seit mehr als zwei Jahren andauernde Krise im Libanon als „die wahren Verbrecher“.

Nach acht Stunden Nervenkrie­g gab die Bank nach und händigte „ihrem Kunden“35 000 USDollar aus. Bassam al-Scheikh verließ die Bank als freier Mann, ehe er sechs Stunden später wegen „räuberisch­er Erpressung“wieder verhaftet wurde. Hunderte von Libanesen versammelt­en sich daraufhin zu einem Sitzstreik vor dem Beiruter Justizpala­st. Andere blockierte­n mit brennenden Benzinfäss­ern und Autoreifen die wichtigste­n Verkehrswe­ge der libanesisc­hen Hauptstadt.

Ungleiche Lastenvert­eilung

Die wilden Proteste zeigten Wirkung: Bassam al-Scheikh wurde am Mittwoch wieder freigelass­en, nachdem die Bank die Klage gegen den „Bankräuber“zurückgezo­gen hatte. Mit seinem Verzweiflu­ngsakt könnte er einen womöglich gefährlich­en Präzedenzf­all geschaffen haben. Schließlic­h sind im Libanon die Konten hunderttau­sender Sparer von einem auf den anderen Tag eingefrore­n worden. Maximal 100 US-Dollar können sie am Tag abheben – eine Praxis, die auch die Weltbank als „grausam gegenüber den Sparern“verurteilt­e.

In ihrem vergangene Woche veröffentl­ichten Bericht zur Lage

Bassam al-Scheikh in der Bank vor seiner Festnahme. in der Mittelmeer­republik macht die internatio­nale Finanzinst­itution die regierende­n Politiker für den Zusammenbr­uch der Wirtschaft verantwort­lich. Sie hätten die staatliche­n Ressourcen nur für sich genutzt. Das habe zu einem Wertverlus­t der libanesisc­hen Währung (gegenüber dem USDollar) von inzwischen über 90 Prozent geführt. Lösungen zum Schutz der Sparer habe die Politik verweigert.

So würden die auf über 70 Milliarden US-Dollar angewachse­nen Verluste des libanesisc­hen Bankensekt­ors fast ausschließ­lich von den Sparern getragen, die 80 Prozent ihrer Guthaben verloren hätten. Nach dem Urteil der Weltbank müssten für die enormen Verluste eigentlich die Banken, deren Teilhaber und Kreditgebe­r aufkommen, die in den letzten 30 Jahren von einem ungleichen wirtschaft­lichen Modell ganz enorm profitiert hätten.

„Die libanesisc­hen Sparer nehmen keine Menschen als Geiseln“, schrieb der libanesisc­he Wirtschaft­swissensch­aftler Jad Chaaban nach dem „erfolgreic­hen Bankraub“von Bassam al-Scheikh auf seiner Facebook-Seite: „Es sind vielmehr die Bankbesitz­er und ihre korrupten Freunde in den regierende­n Milizen, die ein ganzes Volk als Geisel genommen haben“.

Kein Lichtblick in Sicht

Vier von fünf Libanesen leben mittlerwei­le unterhalb der Armutsgren­ze. Die meisten Haushalte müssen mit drei Stunden Strom am Tag auskommen. Auch die Wasservers­orgung bricht regelmäßig zusammen. Dringend notwendige Soforthilf­e hat der Internatio­nale Währungsfo­nds seit Langem angeboten. Als Gegenleist­ung verlangt der IWF politische Reformen, welche die Regierung bisher schuldig geblieben ist.

Blockiert wird die Hilfe auch von der libanesisc­hen Zentralban­k, die sich standhaft weigert, ihre Bilanzen offenzuleg­en. Gegen Zentralban­k-Chef Riad Salameh wird in der Schweiz, Deutschlan­d und Luxemburg wegen des Verdachts immenser Unterschla­gungen ermittelt. Die Durchsuchu­ngen mehrerer verdächtig­er Banken im Libanon wurden von der Politik in letzter Minute gestoppt.

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Foto: AFP

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