Ein Land feiert einen Bankräuber
Wie die Bevölkerung des Libanon inmitten einer schweren Wirtschaftskrise einen ungewöhnlichen Helden gefunden hat
Bassam al-Scheikh sah keine andere Wahl, als er, mit einer abgesägten Schrotflinte und einem Kanister Benzin bewaffnet, am Donnerstag letzter Woche in eine Bankfiliale in der Beiruter Innenstadt eindrang. Diese hatte, wie alle Geldinstitute im Libanon, vor zwei Jahren die Konten ihrer Kunden eingefroren. „Ich will nur mein eigenes Geld“, schrie der 42jährige Mann verzweifelt: „35 000 US-Dollar, um eine Spitalrechnung für meinen kranken Vater zu bezahlen“. Als die Bankangestellten dies verweigerten, wurden sie von Bassam, der das mitgebrachte Benzin auf den Boden ausschüttete, als Geiseln genommen.
Während das Drama seinen Lauf nahm, versammelten sich vor der Bankfiliale Tausende von Libanesen. In Sprechchören feierten sie den vermeintlichen „Bankräuber“als „unseren Helden“und verunglimpften die Verantwortlichen für die seit mehr als zwei Jahren andauernde Krise im Libanon als „die wahren Verbrecher“.
Nach acht Stunden Nervenkrieg gab die Bank nach und händigte „ihrem Kunden“35 000 USDollar aus. Bassam al-Scheikh verließ die Bank als freier Mann, ehe er sechs Stunden später wegen „räuberischer Erpressung“wieder verhaftet wurde. Hunderte von Libanesen versammelten sich daraufhin zu einem Sitzstreik vor dem Beiruter Justizpalast. Andere blockierten mit brennenden Benzinfässern und Autoreifen die wichtigsten Verkehrswege der libanesischen Hauptstadt.
Ungleiche Lastenverteilung
Die wilden Proteste zeigten Wirkung: Bassam al-Scheikh wurde am Mittwoch wieder freigelassen, nachdem die Bank die Klage gegen den „Bankräuber“zurückgezogen hatte. Mit seinem Verzweiflungsakt könnte er einen womöglich gefährlichen Präzedenzfall geschaffen haben. Schließlich sind im Libanon die Konten hunderttausender Sparer von einem auf den anderen Tag eingefroren worden. Maximal 100 US-Dollar können sie am Tag abheben – eine Praxis, die auch die Weltbank als „grausam gegenüber den Sparern“verurteilte.
In ihrem vergangene Woche veröffentlichten Bericht zur Lage
Bassam al-Scheikh in der Bank vor seiner Festnahme. in der Mittelmeerrepublik macht die internationale Finanzinstitution die regierenden Politiker für den Zusammenbruch der Wirtschaft verantwortlich. Sie hätten die staatlichen Ressourcen nur für sich genutzt. Das habe zu einem Wertverlust der libanesischen Währung (gegenüber dem USDollar) von inzwischen über 90 Prozent geführt. Lösungen zum Schutz der Sparer habe die Politik verweigert.
So würden die auf über 70 Milliarden US-Dollar angewachsenen Verluste des libanesischen Bankensektors fast ausschließlich von den Sparern getragen, die 80 Prozent ihrer Guthaben verloren hätten. Nach dem Urteil der Weltbank müssten für die enormen Verluste eigentlich die Banken, deren Teilhaber und Kreditgeber aufkommen, die in den letzten 30 Jahren von einem ungleichen wirtschaftlichen Modell ganz enorm profitiert hätten.
„Die libanesischen Sparer nehmen keine Menschen als Geiseln“, schrieb der libanesische Wirtschaftswissenschaftler Jad Chaaban nach dem „erfolgreichen Bankraub“von Bassam al-Scheikh auf seiner Facebook-Seite: „Es sind vielmehr die Bankbesitzer und ihre korrupten Freunde in den regierenden Milizen, die ein ganzes Volk als Geisel genommen haben“.
Kein Lichtblick in Sicht
Vier von fünf Libanesen leben mittlerweile unterhalb der Armutsgrenze. Die meisten Haushalte müssen mit drei Stunden Strom am Tag auskommen. Auch die Wasserversorgung bricht regelmäßig zusammen. Dringend notwendige Soforthilfe hat der Internationale Währungsfonds seit Langem angeboten. Als Gegenleistung verlangt der IWF politische Reformen, welche die Regierung bisher schuldig geblieben ist.
Blockiert wird die Hilfe auch von der libanesischen Zentralbank, die sich standhaft weigert, ihre Bilanzen offenzulegen. Gegen Zentralbank-Chef Riad Salameh wird in der Schweiz, Deutschland und Luxemburg wegen des Verdachts immenser Unterschlagungen ermittelt. Die Durchsuchungen mehrerer verdächtiger Banken im Libanon wurden von der Politik in letzter Minute gestoppt.