Bangen um die eigene Existenz
Die Vereinigung Passerell muss seit dem 14. August ihre Beschäftigung einschränken
Am Weltflüchtlingstag am 20. Juni bewahrheitete sich das Gerücht: Die Asbl Passerell, die unter anderem Schutzsuchenden bei rechtlichen Fragen im Bereich der Familienzusammenführung oder bei der Erlangung des Asylstatus berät, muss seit dem 14. August ihre Aktivität hierzulande einschränken. Nach dem Auslaufen der Finanzierung der „Oeuvre Nationale de Secours GrandeDuchesse Charlotte“, von der die Vereinigung seit dem Anbeginn ihrer Tätigkeit 2016 profitiert, ist Passerell über die letzten Jahre finanziell in die Bredouille geraten.
Sind wir erst nicht mehr da, werden viele Asylsuchende vor der Tür stehen und nicht wissen wohin. Marion Dubois, Passerell
Trotz einer Intensivierung der Bemühungen, die verfügbaren Geldquellen durch zeitlich begrenzte institutionelle Subsidien und Spendenaufrufe zu diversifizieren, ist es Passerell bis dato nur gelungen, eine 60-prozentige Selbstfinanzierungsrate zu erreichen. Es gelte nun bis Jahresende das Budgetloch von 60 000 Euro zu füllen, um die Vollzeitbeschäftigung von drei Mitarbeitern und weiterhin fünf bis zehn Beratungen pro Tag garantieren zu können. Eine Teilzeit-Übersetzerin ist ebenfalls betroffen.
Den finanziellen Engpass, in dem sich die Asbl befindet, und den damit verbundenen Mangel an staatlicher Unterstützung deutete die Präsidentin und Mitbegründerin der Hilfsorganisation, Catherine Warin, Ende Juni in einer Pressemitteilung als „Inkohärenz vonseiten der Luxemburger Regierung, die sich zu den Menschenrechten bekennt, aber selten Projekte unterstützt, die vom Asylrecht handeln“.
„Sie werden merken, was sie an uns hatten“
Das Außen- und das Justizministerium äußerten sich daraufhin zur Lage Passerells, kündigten dennoch keine weiteren Schritte an, um die Vereinigung am Leben zu halten. Unter dem Vorwand, der Vereinigung bereits 2020 einen Zuschuss in Höhe von 5 000 Euro genehmigt zu haben, erklärte sich das Justizministerium nicht dazu bereit, der Anfrage der Vereinigung auf eine Erhöhung des Zuschusses nachzukommen. Stimmen aus dem Außenministerium monierten zwar die finanzielle Notlage Passerells, gaben aber eine ähnliche Erklärung wie die des Justizministeriums ab: Zwischen 2017 und 2019 seien bereits 7 500 Euro in den Erhalt der Vereinigung geflossen – weitere Subsidien stünden laut Angaben Jean Asselborns (LSAP) somit nicht zur Debatte.
Trotz finanzieller Notlage sei man überzeugt, die Arbeit Passerells würde den zuständigen Ministerien in Zukunft abgehen, betonte eine der drei Vollzeitmitarbeiterinnen der Vereinigung, Marion Dubois: „Sind wir erst nicht mehr da, werden viele Asylsuchende vor der Tür stehen und nicht wissen wohin. Dann werden die Ministerien
merken, was sie an uns hatten.“Ob mit oder ohne Hilfe der Ministerien würde man sich weiter darum bemühen, die notwendigen Mittel durch Spendenaufrufe oder Projektaufrufe des AMF (Asylum Migration and Integration Fund) aufzubringen.
Unerwarteterweise kündigte binnen einer Woche nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung der Asbl zu ihrer finanziellen Situation die Regierung Gespräche mit der „Oeuvre Grande-Duchesse Charlotte“an, um eine weitere Finanzierungsperiode für die Asbl zu sichern.
Zwei Monate später hat sich die Situation rund um Passerell medial wieder gelegt – intern erscheint die Zukunft weiterhin unsicherer denn je. Auf Nachfrage des „Luxemburger Wort“äußerte sich Projektkoordinatorin Ambre Schulz zur aktuellen Lage der Vereinigung. Nach diversen Spendenaufrufen sei es Passerell gelungen, rund 35 000 Euro aufzubringen. Ein weiterer Zuschuss in Höhe von rund 4 000 Euro wurde zudem vom Außenministerium genehmigt. Indessen lehnt die „Oeuvre Grande-Duchesse Charlotte“dennoch ab, für eine zusätzliche Finanzierungsperiode der Vereinigung aufzukommen.
„Das Geld wird bis zum Jahresende reichen, um eine Vollzeitstelle aufrechtzuerhalten. Bis Mitte Oktober werden eine Kollegin und ich uns abwechseln. Wie es im nächsten Jahr weitergehen soll, wissen wir noch nicht“, offenbart Schulz die unsichere Zukunft der Asbl.
Menschenrechtsorganisationen fürchten um ihre Existenz
Was mit Passerell geschieht, deuten mehrere Akteure aus der Zivilgesellschaft als symptomatisch für das fehlende Engagement der Luxemburger Regierung, wenn es darum geht, Vereinigungen mit einem Schwerpunkt auf den Schutz der Menschenrechte finanziell abzusichern. In einem offenen Brief, unter anderem von Amnesty International, der Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés (ASTI) oder dem Comité de liaison des associations d'étrangers (CLAE) unterschrieben, hinterfragen 30 heimische zivilgesellschaftliche Akteure und Experten den Umgang der Regierung mit Vereinigungen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen.
Diese Vereine seien finanziell abhängig von Projektaufrufen seitens der Regierung. In den letzten Jahren habe es dennoch keinen solchen Aufruf gegeben, wodurch relevante Akteure mit leeren Händen da stehen würden, heißt es in dem offenen Brief: „Dass Vereine existieren, die sich für den Schutz der Menschenrechte starkmachen, ist das Zeichen einer gesunden Demokratie. Aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung vonseiten der öffentlichen Hand sehen sich diese Vereine in ihrer Existenz bedroht.“
Ziel des offenen Briefes sei es nicht, die Behörden herauszufordern, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass der Schutz der Menschenrechte eine „fragile Errungenschaft“sei, für deren Erhalt es sich täglich einzusetzen gelte. „Wir fordern einen Dialog mit dem Sektor des Menschenrechtsschutzes, um gemeinsame Wege zu erforschen, damit die Unterstützung der öffentlichen Behörden für Vereine, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, auf Dauer gefestigt werden kann“, betonen die Unterzeichner des offenen Briefes an die Regierung.
Dass Vereine existieren, die sich für den Schutz der Menschenrechte starkmachen, ist das Zeichen einer gesunden Demokratie. Ausschnitt aus dem offenen Brief
Weckruf für die Luxemburger Regierung
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der über den finanziellen Engpass Passerells informiert wurde, teilt in einer Stellungnahme die Sicht der Luxemburger Zivilgesellschaft und verweist auf die Expertise der Asbl im Bereich der Rechtsberatung für Schutzsuchende. Die unsichere Zukunft Passerells solle nicht als warnendes Beispiel für andere zivilgesellschaftliche Akteure dienen, sondern als Weckruf für die Luxemburger Regierung, relevanten Vereinigungen in ihrem Kampf für den Schutz der Menschenrechte weiterhin Unterstützung zuzusprechen.