Wer die Nachtigall stört
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Stelle dem Zeugen beim Kreuzverhör nie und nimmer eine Frage, deren Antwort du nicht im Voraus kennst – das war einer der Grundsätze, die ich mit meiner Babynahrung eingesogen hatte. Tust du es dennoch, wirst du oft eine unerwünschte Antwort bekommen, eine Antwort, an der du unter Umständen scheiterst.
Atticus griff in die Innentasche seiner Jacke und förderte einen Briefumschlag zutage. Dann zog er seinen Füllfederhalter aus der Westentasche. Er bewegte sich gemächlich und achtete darauf, dass den Geschworenen nichts von seinem Tun entging. Er schraubte die Kappe des Halters ab, legte sie behutsam auf den Tisch, schüttelte die Feder ein wenig und reichte sie dem Zeugen.
„Würden Sie wohl Ihren Namen auf diesen Umschlag schreiben? Aber bitte so, dass die Geschworenen Sie dabei sehen können.“
Mr. Ewell schrieb auf die Rückseite des Umschlags, blickte dann selbstzufrieden auf und musste feststellen, dass Richter Taylor ihn anstarrte, als sei er eine im Zeugenstand erblühte duftende Gardenie, dass Mr. Gilmer sich halb von seinem Stuhl erhoben hatte und dass die Geschworenen ihn gespannt beobachteten – einer von ihnen hatte sogar das Geländer umfasst und beugte sich weit vor.
„Was ist denn so interessant?“, fragte der Zeuge.
„Sie sind Linkshänder, Ewell“, sagte Richter Taylor.
Mr. Ewell wandte sich dem Richter zu und rief empört, er begreife nicht, was seine Linkshändigkeit damit zu tun habe, er sei ein gottesfürchtiger Mann, und Atticus Finch versuche die ganze Zeit, ihn reinzulegen. Solche geriebenen Advokaten wie Atticus Finch hätten alle möglichen Tricks auf Lager, das wisse er längst. Er habe gesagt, was passiert sei, er werde es wieder und wieder sagen – was er auch tat. Keine Frage, die Atticus ihm stellte, konnte ihn von seiner Geschichte abbringen: Er hatte durchs Fenster geschaut, der Nigger war davongerannt, er selbst war zum Sheriff gerannt. Schließlich entließ ihn Atticus.
Mr. Gilmer erhob sich zu einer letzten Frage. „Was Ihr Schreiben mit der linken Hand anbelangt, Mr. Ewell – sind Sie vielleicht ambidexter?“
„Das bin ich ganz bestimmt nicht, ich kann die eine Hand so gut gebrauchen wie die andere. Die eine so gut wie die andere“, betonte er mit einem wütenden Blick auf Atticus.
Jem hatte anscheinend einen stummen Tobsuchtsanfall. Seine Fäuste trommelten einen geräuschlosen Wirbel auf dem Geländer, und ich hörte ihn flüstern: „Jetzt haben wir ihn.“
Mr.
Ich dachte anders. Natürlich war mir klar, worauf Atticus abzielte: Er wollte auf die Möglichkeit hinweisen, dass Mr. Ewell seine Tochter verprügelt hatte. Wenn Mayellas rechtes Auge blau und verschwollen war und die Schläge vorwiegend die rechte Gesichtshälfte getroffen hatten, dann konnte man daraus schließen, dass ein Linkshänder der Täter war. In diesem Punkt wäre Sherlock Holmes mit Jem Finch einig gewesen. Was aber, wenn auch Tom Robinson linkshändig war? Wie Mr. Heck Tate rief ich ein imaginäres Gegenüber zu Hilfe, spielte im Geist rasch eine Pantomime und kam zu dem Schluss, dass es durchaus möglich war, einen Menschen mit der rechten Hand festzuhalten und ihn mit der linken zu schlagen. Ich blickte auf Tom Robinson