Trotzdem stolz
Ni Xia Lian und Sarah De Nutte holen EM-Bronze
Natürlich konnten sie wieder lächeln. Mit der Bronzemedaille um den Hals wurde Ni Xia Lian und Sarah De Nutte erst so richtig bewusst, was sie bei diesen European Championships geleistet hatten. Die Enttäuschung nach dem verlorenen Halbfinale gegen die starken Rumäninnen Elizabeta Samara und Andreea Dragoman war zwar noch präsent, wurde aber durch den Applaus von den Rängen in der Münchner Rudi-Sedlmayer-Halle gedämpft.
Die beiden Tischtennisspielerinnen waren gestern mit großen Hoffnungen ins Halbfinale gegangen, nach Bronze bei der EM 2018 in Alicante und Bronze bei der WM 2021 in Houston sollte es diesmal ein anderes Edelmetall werden. Doch eine verspielte 8:2-Führung im dritten Durchgang brach den FLTT-Spielerinnen das Genick. Am Ende verloren sie nach 1:0-Satzführung mit 1:3.
„Es ist schade“, sagte De Nutte, die direkt nach dem Match zur Dopingkontrolle musste. „Den dritten Satz dürfen wir einfach nicht verlieren. Wir wollten unbedingt schnell die letzten Punkte und haben deshalb zu viele Fehler gemacht. Vorher hatten wir die Ballwechsel besser ausgespielt.“
Ihre 59 Jahre alte Partnerin war unmittelbar nach der Niederlage deutlich weniger gesprächig. „Sie haben sehr gut gespielt“, hatte die gebürtige Chinesin trotz der Enttäuschung ein Lob für ihre Gegnerinnen übrig – allerdings mit versteinerter Miene. „Ich gratuliere ihnen.“Die erfahrene Samara (33 Jahre) erklärte, dass der Schlüssel zum Sieg eine taktische Umstellung gewesen sei, „die aber unter uns bleibt“.
Beeindruckende Sammlung
Nach allen Analysen bleibt jedoch, dass Sarah De Nutte und Ni Xia Lian wieder einmal die Erwartungen der luxemburgischen Sportfans erfüllt haben. Sie wollten die EM-Medaille in München, und sie haben sie gewonnen. „Wir haben in den vergangenen Jahren so viele Medaillen gewonnen“, sagte Trainer Tommy Danielsson. „EM, WM, auch bei dem großen Turnier in Singapur. Wer hat das noch geschafft? Das ist nicht so einfach.“
Vor allem für die gebürtige Chinesin Ni, die sich gestern im Einzel mit einem 4:3-Sieg gegen die 18-jährige Französin Prithika Pavade für das Achtelfinale qualifizierte, ist das Edelmetall bei den European Championships das nächste Kapitel einer scheinbar endlosen Erfolgsgeschichte.
1985 holte sie in Göteborg WMSilber im Doppel – damals noch für China. Zwei Jahre zuvor in Tokio gewann Ni sogar mit der Mannschaft und im Mixed jeweils die Goldmedaille. Für Luxemburg ergatterte die Materialspezialistin, die auf beiden Schlägerseiten mit Noppenbelägen
agiert, zwei EM-Titel: Gold 1998 im Einzel (in Eindhoven) und 2002 im Einzel und Mixed (Zagreb). 2000 holte sie in Bremen an der Seite von Peggy Regenwetter Silber im Doppel.
„Wir haben hier eine Dame, die fast 60 Jahre alt ist“, stellt Danielsson klar, der Ehemann von Ni Xia Lian. „Finden Sie jemand anderen auf der Welt, der in diesem Alter diese Medaillensammlung hat – egal in welcher Sportart.“
Dass die ganze Delegation nach der bitteren Halbfinal-Niederlage enttäuscht ist, daraus will auch der erfahrene Schwede keinen Hehl machen. „Wenn wir vorher gesagt hätten, dass wir eine Medaille kriegen, hätten wir uns vielleicht die Finger verbrannt“, erklärte Danielsson.
Er verweist auf die Weltranglistenpositionen seiner beiden Schützlinge, die zwar zur internationalen Klasse zählen, aber von den Rankings der Tischtennisstars noch ein Stück entfernt sind. „Xia Lian ist die Nummer 40, Sarah die 66. Und trotzdem sind wir auf dem Papier das drittbeste Doppel auf der Welt. Das ist nicht schlecht. Aber daraus entstehen sehr hohe Erwartungen“, erklärte der 63 Jahre alte Coach.
Während Danielsson spricht, steht Ni mit ihrer Sporttasche daneben. Ihr ist anzumerken, dass sie besser jetzt als gleich in der Umkleidekabine verschwinden will. Dennoch spricht er weiter über seine Ehefrau, mit Stolz in der Stimme. „Sie ist Europameisterin im Einzel, Europameisterin im Mixed – jetzt hätte sie diesen Titel auch gerne im Doppel geholt.“
Mit der Medaille um den Hals sind am Abend jedoch alle Eventualitäten für Ni Xia Lian und Sarah De Nutte plötzlich nicht mehr so wichtig.
Wir haben in den vergangenen Jahren so viele Medaillen gewonnen. Trainer Tommy Danielsson
nicht in den Mund. Bei der Bundesregierung gibt es keine konkreten Pläne zu einer Bewerbung. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Mittwoch in Berlin, man unterstütze die Perspektive einer solchen Bewerbung und sei dazu auch mit dem Deutschen Olympischen Sportbund im Austausch. „Aber weder ein Wann noch ein Wo sind da bisher konkret Thema gewesen.“
Für DOSB-Chef Thomas Weikert sind die Championships ein Baustein für eine neue Bewerbung. „Ich denke, man kann auch Olympische Spiele ausrichten, ohne einen Gigantismus zu haben. Hier ist eine sehr gute Veranstaltung mit neun Sportarten und man sieht, dass man darauf gut aufbauen kann“, sagte der Funktionär der „Sportschau“.
„Ich glaube, wir müssen ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht gerne Olympia in Deutschland hätte – das wäre total genial. Aber ich denke, dass erst einmal andere Sachen geklärt werden müssen und einige Zielstellungen vielleicht auch formuliert werden müssen“, sagte Beachvolleyballerin Karla Borger, die auch Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland ist. Man solle diesen Schwung lieber erstmal mit in die Vereine, in den Nachwuchs nehmen. „Das heißt ja noch nicht, dass dieser Sport jetzt angekommen ist in der Gesellschaft und akzeptiert ist, weil einmal die Hütte voll ist – und das soll nicht despektierlich klingen.“
Volle Tribünen
Im historischen Olympiapark hatten die Organisatoren zeitweise Mühe, den Publikumsandrang zu regulieren. „Es war natürlich der positiven Resonanz geschuldet. Aber dass der Olympiapark schließen muss, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet“, sagte Tobias Kohler, Leiter der Stabstelle Kommunikation der Olympiapark GmbH, der „Rheinischen Post“. In die ausverkaufte Olympiahalle waren 9 000 Menschen gekommen. Auf dem Königsplatz beim Klettern feierten 5 000 Fans eine Party.
Beim Straßenrennen feuerten offiziellen Angaben zufolge 110 000 Menschen die Radfahrer an, während am Bahnrad-Oval an allen Entscheidungstagen die knapp bemessenen 1 700 Plätze besetzt waren. „Das war richtig cool, es hat richtig Spaß gemacht. Man fährt über die Ziellinie und wenn man gewinnt, freuen sich die Leute halt, die stehen da und rufen den Namen, Deutschlandflaggen – ich habe jedes Mal Gänsehaut bekommen“, sagte Bahnrad-Weltmeisterin Emma Hinze, mit gleich drei Titeln einer der deutschen Stars von München. „Wahrscheinlich die beste Atmosphäre, in der ich je geklettert bin“, sagte der tschechische Szenestar Adam Ondra, der Bronze im Bouldern und Gold im Lead gewann.
Richard Ringer, zum Auftakt der Leichtathletik-Titelkämpfe Sieger im Marathon, gab sich wie andere deutsche Sportler als Fan der European Championships zu erkennen. „Bei den European Games sieht man ja, wie das Konzept funktioniert, wenn du nicht ganz so viele Sportarten aufeinander hast. Das ist ein Riesen-Event, das ist supertoll“, sagte er, gab aber auch zu bedenken: „Olympische Spiele in der heutigen Zeit, das ist schon echt enorm.“Man müsse überlegen, warum das kaum einer mache, ergänzte der 33-Jährige.
Sieben gescheiterte Bewerbungen seit den Olympischen Spielen in München vor 50 Jahren haben die deutsche Sportführung zwar nicht mutlos, aber dennoch vorsichtig gemacht. Zuletzt war insbesondere die mangelnde Zustimmung in der Bevölkerung ausschlaggebend dafür, dass eine deutsche Olympia-Kandidatur fehlgeschlagen ist – nicht zuletzt wegen der enormen Kosten, die auf den Steuerzahler zukommen. Selbst das Multi-EM-Event in München verschlingt rund 100 Millionen Euro, für die ebenfalls zu einem großen Teil die öffentliche Hand aufkommt.
Eine Art Meilenstein
Als „nicht lukrativ“bezeichnete Monika Schöne, Geschäftsführerin des Olympiaparks, das Großereignis im „Deutschlandfunk“. Die Veranstaltung finanziere sich über Ticketing-Einnahmen und Sponsoring, „aber der größte Batzen kommt letztendlich von den öffentlichen Zuschussgebern“. Je mehr Eintrittskarten verkauft würden, desto geringer falle der Zuschuss aus.
„Die European Championships sind eigentlich so eine Art Meilenstein zu weiteren Großveranstaltungen hier in Deutschland, weil man einfach wieder das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen musste, dass solche Großveranstaltungen möglich sind, dass die Leute auch mit dabei sind und das ist genau das, was wir vermitteln wollen“, sagte Schöne im „Bayerischen Rundfunk“.
DOSB-Chef Weikert kündigte an, dass der Dachverband sich mit dem Thema Olympia befassen werde. Bei der DOSB-Mitgliederversammlung
im Dezember soll ein möglicher Prozess für eine Olympia-Bewerbung präsentiert werden. „Das heißt aber nicht, dass wir uns direkt bewerben“, sagte Weikert. Stattdessen solle transparent und ergebnisoffen mit allen Beteiligten und Betroffenen diskutiert werden, „ob und unter welchen Voraussetzungen eine erneute Bewerbung Deutschlands überhaupt Sinn macht. Oder eben nicht“, sagte Weikert der „Stuttgarter Zeitung“und den „Stuttgarter Nachrichten“. Der Gigantismus der jüngeren Vergangenheit sei out, Nachhaltigkeit hingegen in. Mittlerweile habe auch der Letzte erkannt, „dass es keine megateuren Prachtbauten braucht, in denen wenige Jahre später Unkraut wuchert“.
Das Bündnis NOlympia sieht trotz der Euphorie in München keine Grundlage für Olympische Spiele in Deutschland. „Die Rahmenbedingungen haben sich seit den letzten Bewerbungen nicht verändert: Das IOC (Internationale Olympische Komitee) ist immer noch das gleiche, inklusive Knebelverträge, die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen nach dem Motto ,Gewinne behalten wir, Verluste tragen die anderen““, sagte NOlympics-Sprecherin Katharina Schulze. Zudem betreibe das IOC eine massive Kommerzialisierung der Spiele. Dagegen stünden die European Championships für ein Konzept, welches auf Gigantomanie verzichte, die Wettkämpfe fügten sich gut in die Stadt ein, so Schulze. dpa