Luxemburger Wort

Zerknirsch­tes Verhältnis

- Von Marc Thill

Die Vereinigun­g „Lëtz Rise Up“verlangt, dass die Gedenktafe­l zu Ehren von Nicolas Cito, dem Erbauer der ersten Eisenbahnl­inie im belgischen Kongo, aus Niederkers­chen fortkommt. Beim Bau dieser Bahnstreck­e sind damals um die 5 000 afrikanisc­he Zwangsarbe­iter ums Leben gekommen. Diese Forderung könnte nur anekdotisc­h sein, wäre da nicht unser zerknirsch­tes Verhältnis zur Kolonialge­schichte. Warum verdrängen wir diese Vergangenh­eit? Warum ist sie so konfliktbe­laden? Warum die Ressentime­nts?

Menschen können nicht ohne Narrative auskommen. Sie brauchen historisch fundierte Angaben: Warum? Woher? Wohin? Wir sind halt keine Maschinen, die nur dazu bestimmt wären, einer Arbeit nachzugehe­n oder sich belanglose­r Unterhaltu­ng hinzugeben. Wir brauchen Geschichte und Geschichte­n.

Jahrelang haben Afrikaner und Asiaten und alle die, deren Wurzeln in ehemaligen Kolonien sind, vergeblich auf Erklärunge­n und Entschuldi­gungen der früheren Kolonialhe­rren gewartet. Heute tun es ihre Kinder und Enkelkinde­r. Die einzige Botschaft aber, die sie erhalten, ist die der Ideologen, vor allem aus der rechten Ecke, denen man leider auch noch das Mikrofon reicht, oder aber sie zu Gesprächsr­unden einlädt, wie etwa im Frühjahr bei einer Gesprächsr­unde des Staatsmuse­ums im Rahmen der Ausstellun­g „Luxemburgs koloniale Vergangenh­eit“. Weil sie eine andere Meinung vertreten, so damals das Argument.

„Die Frage, die letztlich im Raum schwebt, ist die, ob sich Luxemburg für seine koloniale Vergangenh­eit entschuldi­gen muss oder nicht“, sagt der Historiker Régis Moes im Interview. Er hat die Ausstellun­g im Museum kuratiert und mit ihr den Nerv der Zeit getroffen. Das Thema beschäftig­t die Luxemburge­r Gesellscha­ft in ihrer gesamten Diversität, und das auch sehr generation­sübergreif­end. Die Besucherza­hlen und die Reaktionen zeigen es.

Zeugen und Akteure der Kolonialze­it Luxemburgs sind zu einem gewissen Teil schon nicht mehr da. Ihre Kinder und Enkelkinde­r, mit denen sie gesprochen haben, leben aber noch. Es ist Zeit, die Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit voranzutre­iben, so wie das auch aktuell mit einem Forschungs­projekt am Institut für zeitgenöss­ische und digitale Geschichte der Fall ist.

Es ist natürlich absurd, schlechte Erinnerung­en versöhnen zu wollen. Sie bleiben frei, so zu sein, wie sie sind. Jeder hat Recht auf seine Erinnerung, vor allem wenn sie schmerzt, so wie er auch Recht hat auf seine eigene Meinung. Aber man muss Erinnerung und Meinung mit historisch­er Arbeit, Archiven und erwiesenen Tatsachen konfrontie­ren. Dann kann man Irrtümer reduzieren, Lügen und Spannungen, die sie aufrechter­halten, auflösen, und man kann wieder halbwegs miteinande­r reden und sich verstehen. Das gilt auch für die zu Stein oder Bronze gewordenen Erinnerung­en, Monumente und Straßenben­ennungen. Nur dadurch, dass man Vergangenh­eit niederreiß­t oder umbenennt, wird man die Wunden nicht heilen können. Aber man sollte die ganze Wahrheit sagen, das Gute wie das Schlechte.

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