Zerknirschtes Verhältnis
Die Vereinigung „Lëtz Rise Up“verlangt, dass die Gedenktafel zu Ehren von Nicolas Cito, dem Erbauer der ersten Eisenbahnlinie im belgischen Kongo, aus Niederkerschen fortkommt. Beim Bau dieser Bahnstrecke sind damals um die 5 000 afrikanische Zwangsarbeiter ums Leben gekommen. Diese Forderung könnte nur anekdotisch sein, wäre da nicht unser zerknirschtes Verhältnis zur Kolonialgeschichte. Warum verdrängen wir diese Vergangenheit? Warum ist sie so konfliktbeladen? Warum die Ressentiments?
Menschen können nicht ohne Narrative auskommen. Sie brauchen historisch fundierte Angaben: Warum? Woher? Wohin? Wir sind halt keine Maschinen, die nur dazu bestimmt wären, einer Arbeit nachzugehen oder sich belangloser Unterhaltung hinzugeben. Wir brauchen Geschichte und Geschichten.
Jahrelang haben Afrikaner und Asiaten und alle die, deren Wurzeln in ehemaligen Kolonien sind, vergeblich auf Erklärungen und Entschuldigungen der früheren Kolonialherren gewartet. Heute tun es ihre Kinder und Enkelkinder. Die einzige Botschaft aber, die sie erhalten, ist die der Ideologen, vor allem aus der rechten Ecke, denen man leider auch noch das Mikrofon reicht, oder aber sie zu Gesprächsrunden einlädt, wie etwa im Frühjahr bei einer Gesprächsrunde des Staatsmuseums im Rahmen der Ausstellung „Luxemburgs koloniale Vergangenheit“. Weil sie eine andere Meinung vertreten, so damals das Argument.
„Die Frage, die letztlich im Raum schwebt, ist die, ob sich Luxemburg für seine koloniale Vergangenheit entschuldigen muss oder nicht“, sagt der Historiker Régis Moes im Interview. Er hat die Ausstellung im Museum kuratiert und mit ihr den Nerv der Zeit getroffen. Das Thema beschäftigt die Luxemburger Gesellschaft in ihrer gesamten Diversität, und das auch sehr generationsübergreifend. Die Besucherzahlen und die Reaktionen zeigen es.
Zeugen und Akteure der Kolonialzeit Luxemburgs sind zu einem gewissen Teil schon nicht mehr da. Ihre Kinder und Enkelkinder, mit denen sie gesprochen haben, leben aber noch. Es ist Zeit, die Aufarbeitung der Vergangenheit voranzutreiben, so wie das auch aktuell mit einem Forschungsprojekt am Institut für zeitgenössische und digitale Geschichte der Fall ist.
Es ist natürlich absurd, schlechte Erinnerungen versöhnen zu wollen. Sie bleiben frei, so zu sein, wie sie sind. Jeder hat Recht auf seine Erinnerung, vor allem wenn sie schmerzt, so wie er auch Recht hat auf seine eigene Meinung. Aber man muss Erinnerung und Meinung mit historischer Arbeit, Archiven und erwiesenen Tatsachen konfrontieren. Dann kann man Irrtümer reduzieren, Lügen und Spannungen, die sie aufrechterhalten, auflösen, und man kann wieder halbwegs miteinander reden und sich verstehen. Das gilt auch für die zu Stein oder Bronze gewordenen Erinnerungen, Monumente und Straßenbenennungen. Nur dadurch, dass man Vergangenheit niederreißt oder umbenennt, wird man die Wunden nicht heilen können. Aber man sollte die ganze Wahrheit sagen, das Gute wie das Schlechte.