Plötzliche Eile
Das Vorgehen der FBI-Ermittler im Zuge der Hausdurchsuchung in Donald Trumps Anwesen wirft beunruhigende Fragen auf
Das Justizministerium stattete Mar-a-Lago zwei Besuche ab. Der erste, angemeldet, am 3. Juni dieses Jahres in Person des Leiters der für nationale Sicherheit zuständigen Abteilung im Justizministerium, Jay Bratt. Der andere sechs Wochen später, unangemeldet, durch zwei Dutzend Agenten des FBI. Diese hatten einen richterlichen Durchsuchungsbefehl in der Tasche. Die Ermittler wollten nicht länger darauf warten, dass Donald Trump in seiner Privat-Villa gehortete Staatsgeheimnisse herausrückt.
Dazu hätte er über Monate Gelegenheit gehabt, als das Justizministerium noch höflich um die Übergabe bat. Plötzlich musste alles zügig gehen. Selbst auf die Gefahr hin, dass sich die erste Razzia bei einem ehemaligen Präsidenten in der Geschichte der USA als Stich in ein politisches Hornissennest erweisen könnte.
Die „Washington Post“gab mit Ihrer explosiven Enthüllung über die Hintergründe des von Justizminister Merrick Garland abgesegneten Durchsuchungsbefehls teilweise eine Antwort auf die Frage, woher die plötzliche Ungeduld rührte. Unter Berufung auf Personen mit Insider-Wissen gab der Generalbundesanwalt grünes Licht für das beispiellose Vorgehen, weil Trump mit „Top-Secret“gekennzeichnete Atomgeheimnisse der Supermacht in Mar-a-Lago versteckt haben soll.
Bleibt die Frage, warum die Behörden so lange auf die Herausgabe der Staatsgeheimnisse warteten, die laut Definition „eine außerordentlich gravierende Gefahr“für die nationale Sicherheit darstellten? Waren zwischen der ersten Kontaktaufnahme wegen der von Trump nach Mar-a-Lago verbrachten Akten im Frühjahr 2021 und der Razzia doch schon fast eineinhalb Jahre vergangen. Es ist kaum vorstellbar, dass ein scharfer Hund wie Bratt nicht längst schon angeschlagen hätte. Die Rekonstruktion der Ereignisse deutet darauf hin, dass zwischen dem ersten Besuch Bratts und dem zweiten durch die FBI-Agenten etwas Dramatisches passiert sein muss.
Trump hatte alle Register gezogen, als der Justizbeamte im Juni in Mar-a-Lago auf der Matte stand. Er umschmeichelte die ungeliebten Besucher und sicherte zu, seine Anwälte würden umfassend mit ihnen kooperieren. Kurz darauf inspizierten diese Kartons mit Dokumenten, die ungesichert direkt unter einem Bereich in Mar-A-Lago lagerten, der für Mitglieder des Privatclubs und deren Gäste offen zugänglich war.
Bratt nahm wohl eine Reihe von als „geheim“eingestufte Dokumente an sich. Ein Mitglied des Anwaltsteams des Ex-Präsidenten versicherte an Ort und Stelle schriftlich, es gebe keine weiteren Geheimdokumente mehr in Mar-a-Lago. Wie die veröffentlichte Inventarliste der FBI-Razzia vom vergangenen Montag allerdings belegt, entspricht das nicht der Wahrheit.
Demnach bewahrte Trump zwischen Golfkleidung und Strandpritschen nicht bloß Memorabilien wie Speisekarten, Besucherlisten oder Fotos auf. Die Beamten stellten unter anderem vier Sätze an Dokumenten der höchsten Geheimhaltungsstufe der USA sicher.
Die möglichen Motive Trumps
Die summarische Bezeichnung „Various classified/TS/SCI documents“im Inventar der Entnahmen zeigt an, dass diese Akten so vertraulich sind, dass sie nur in „SCIF“genannten Spezialräumen eingesehen werden dürfen. Diese Beschreibung träfe auf Atomgeheimnisse der USA zu, über die die „Washington Post“berichtet hatte. Selbst ein Präsident darf sie nicht freigeben, weil diese durch den „Atomic Energy Act“besonders geschützt sind.
Stellt sich die beunruhigende Frage, was Trump mit diesen Staatsgeheimnissen anstellen wollte? Die Liste der Interessenten an solchen Informationen wäre lang. Der ehemalige Geheimdienst-Chef James Clapper schließt ein „Amigo“-Geschäft mit Wladimir Putin nicht aus, dessen Bewunderer Trump ist. Andere verweisen auf den Geldsegen von zwei Milliarden USDollar für Schwiegersohn Jared Kushner aus Saudi-Arabien kurz nach Ende der Amtszeit. Vielleicht
war es bloß die Sturheit eines Narzissten, wie wieder andere vermuten.
Letztlich spielen die Motive in der rechtlichen Bewertung keine Rolle. Strafbar mit vielen Jahren Gefängnis ist allein die unrechtmäßige Aneignung dieser Dokumente. Das gilt auch für die übrigen Akten, die das FBI abtransportierte. In den 20 Kisten fanden sich zudem jeweils drei weitere Sätze an Dokumenten mit dem Vermerk „Geheim“beziehungsweise „Vertraulich“und eines, auf dem „Präsident von Frankreich“stand.
Nachspiel
Es kann weiterhin nur darüber spekuliert werden, was zwischen dem ersten Besuch Bratts und der Razzia passiert war. Das Justizministerium muss Informationen erhalten haben, die sie an der schriftlichen Versicherung von Trumps Anwälten zweifeln ließen, dass keine Dokumente mehr in Mar-a-Lago seien. Alles deutet auf einen Insider hin, der den Ermittlern einen Tipp gab, wo sie suchen müssten. Gut denkbar, dass die Staatsgeheimnisse in dem Safe im Büro Trumps lagen, von denen nur eine Handvoll Vertrauter wusste.
Die Justiz ermittelt laut Durchsuchungsbefehl wegen Verstößen gegen das Spionage-Gesetz, Behinderung der Justiz und Zerstörung von Dokumenten. Falls es zu einer Anklage und Verurteilung kommt, drohen ihm mehrere Jahre Gefängnis. Wenn sich der Beweis des widerrechtlichen Besitzes von Atomgeheimnissen der USA in den Pappkisten fand, die FBI-Agenten aus Mar-a-Lago schleppten, braucht Trump Anwälte, die Wunder bewirken können.
Der Autor ist USA-Korrespondent des „Luxemburger Wort“.