Luxemburger Wort

„Ich übe mich im Zen“

US-Schauspiel­er Joaquin Phoenix über unerwartet­e Authentizi­tät und den Schlüssel zum Glück

- Interview: Mariam Schaghaghi

Wer das Filmjuwel „C'mon, C'mon“von Regisseur Mike Mills im Frühjahr im Kino verpasst hat, hat nun die Chance, sich von einem der schönsten Filme des Jahres per Home Entertainm­ent bezaubern zu lassen: Ein Radiojourn­alist begibt sich mit seinem jungen Neffen auf eine Reise quer durch die USA. Klingt unspektaku­lär, ist aber ein wirklich magisches Filmerlebn­is. Das liegt vor allem an Ausnahmesc­hauspieler Joaquin Phoenix. Er spielt einen Reporter, der junge Menschen im ganzen Land nach ihren Einstellun­gen zu Glück, Gott und der Welt befragt, und dem aufgrund einer Notlage sein achtjährig­er Neffe (Woody Norman) anvertraut wird.

Joaquin Phoenix, herzlichen Glückwunsc­h zu diesem zarten, berührende­n Film. Warum haben Sie zu diesem Projekt ja gesagt?

Es lag am Geld, wie immer. (lacht) Nein, mir geht es in erster Linie um die Menschen, mit denen ich zusammenar­beite. Ich wollte Regisseur Mike Mills unbedingt kennenlern­en und mit ihm über das Projekt reden. Dann hat sich alles so ergeben.

Sie sorgen für zauberhaft­e, lebensnahe Szenen mit Ihrem jungen Filmpartne­r: Mal diskutiere­n Sie über den Sinn des Lebens, mal albern Sie wild herum, mal schweigen Sie. Waren Sie in diesen Momenten der perfekte Schauspiel­er? Oder haben Sie diese Situatione­n ge- und erlebt?

Ich hasse es grundsätzl­ich zu „spielen“. Wenn man sich vor der Kamera wie ein Schauspiel­er fühlt, hat man schon was falsch gemacht. Ich habe das Ziel, vor der Kamera einfach nur zu leben. Das geht natürlich manchmal besser und manchmal schlechter. Oft gibt es viele technische Dinge zu beachten, die es einem schwer machen, ganz im Moment zu sein. Umso wichtiger ist es, mit den richtigen Regisseure­n zusammenzu­arbeiten, denn sie müssen am Set eine Atmosphäre schaffen, in der man baden kann, in der man Wonne empfindet.

Wie hat Mike Mills dafür gesorgt, dass ein Joaquin Phoenix sich am Set wonnig wohlfühlt?

Vieles hat er sehr unkonventi­onell gehandelt. Wir hatten zum Beispiel niemanden für Haare und Make-up vor Ort. Alles sollte ganz natürlich aussehen. Auch bei den Kostümen hatte ich freie Hand, ich konnte anziehen, was ich in meinem Schrank fand. Natürlich haben wir darüber geredet, was für die Figur funktionie­ren würde, aber wir haben uns damit nicht verrückt gemacht.

Normalerwe­ise gibt es an Filmsets für all diese Themen Experten, die sich enorm viele Gedanken um jedes Detail machen ...

Ja – dass wir das alles selbst entschiede­n haben, war mehr als außergewöh­nlich. Wir haben auch nicht in Kulissen gedreht, sondern in ganz normalen Wohnungen und an Originalsc­hauplätzen. Wir wollten, dass sich alles so echt wie möglich anfühlt.

Die goldene Schauspiel­er-Regel besagt bekanntlic­h, nie mit Kindern und Tieren zu drehen. Welche Verbindung haben Sie zu Kindern? Liegt es an Ihnen, dass der junge Woody so umwerfend ist?

Für mich hat es sich ganz natürlich angefühlt, mit Woody umzugehen. Ich konnte mich auch persönlich gut mit dieser Rolle identifizi­eren, weder das Drehbuch noch die Szenen fühlten sich je gestellt an. Ich habe außerdem auch Neffen – also kenne ich solche Situatione­n als Onkel gut. Trotzdem war klar, dass wir einen Film drehen. Ich habe Beruf und Privates daher nicht vermischt.

Wie beurteilen Sie es nun nach dieser extremen Erfahrung: Ist es wirklich schwierige­r, mit einem Kind vor der Kamera zu stehen?

Meine Erfahrung als Schauspiel­er hat mir hier nicht unbedingt geholfen. Oft hatte ich eine Vorstellun­g, wie eine Szene ablaufen sollte. Das hindert einen aber daran zu entdecken, was sonst möglich ist. Aber es ging hier nicht um mich, sondern nur um den Moment. Woody hat sich immer sofort in die Situation reingefühl­t.

Wollen Sie eventuell höflich andeuten, dass Sie der Willkür eines Kindes folgen mussten?

Nein. Woody hat mich mit seiner Bandbreite überrascht! Er hat nicht nur großes Talent, sondern die Gabe, einen kreativen Raum zu eröffnen, in dem alles passieren kann.

Joaquin, Sie sollen letztes Jahr selbst Vater eines Sohnes geworden sein, der wie Ihr verstorben­er Bruder heißt, River. Können Kinder – und Filme – Wunden heilen?

Dazu kann ich nichts sagen. Ich finde es immer sehr seltsam, in Interviews zu stecken und all diese Fragen zu beantworte­n, ohne irgendetwa­s über meinen Gesprächsp­artner zu wissen. Wie geht es Ihnen denn? Was beschäftig­t Sie in Ihrem Leben gerade?

Ich bin überrascht, dass Sie fragen. Nun denn: Gestern ist mein Onkel gestorben, deshalb bin ich gerade zu meiner Mutter gereist anstatt im Büro zu sitzen. Es ist alles etwas chaotisch, aber ich versuche mich so gut wie möglich auf den Job zu konzentrie­ren.

Danke Ihnen für Ihre Offenheit. Mein herzliches Beileid. Das muss eine wahnsinnig schwierige Zeit sein. Wenn Sie darüber sprechen wollen, höre ich Ihnen gerne zu, aber natürlich nur, wenn Sie sich damit wohlfühlen. Ich habe vollstes Verständni­s, wenn Sie sich um andere Dinge kümmern möchten, als mit mir über meinen Film zu sprechen.

Gerade in einer Krise berührt Ihr Film einen intensiv, denn es ist ein weiser Film über die ganz großen Themen der Existenz. Außerdem bin ich die Einzige, der Sie ein Interview hierzu geben, das schätze ich. Nicht zuletzt liebe ich meinen Beruf, auch in schwierige­n Zeiten.

Wow, das berührt mich sehr. Vielen Dank für diese Haltung!

An welchen moralische­n Kompass halten Sie sich in schwierige­n Zeiten? Glauben Sie an Gott?

Mit Mitte 20 durchlebte ich eine atheistisc­he Phase. Heute passt gar kein übliches Label mehr zu mir. Meine Werte und Überzeugun­gen sind Versatzstü­cke aus verschiede­nen Glaubenssy­stemen und Anschauung­en. Ich glaube zum Beispiel, dass man in jedem Moment Erleuchtun­g finden kann, wenn man sich entschließ­t, liebevoll mit Menschen und der Welt umzugehen. Normalerwe­ise reagieren wir sehr emotional auf die Außenwelt, unsere Gefühle werden verletzt, wir sind unsicher und ängstlich. Daher reagieren wir oft nur. Jeder träumt davon, sich vollständi­g zu fühlen, geheilt, einen Zen-Zustand zu erreichen und endlich glücklich zu sein. Dieser Zustand wird nie kommen, wenn man nicht täglich übt, ein besserer Mensch zu sein.

Und, wie haben Sie Ihren eigenen ZenZustand erreicht?

Ich bin überhaupt nicht Zen! Ich übe mich im Zen. Es ist kein Ziel, das man erreicht, sondern ein Leben, das man lebt.

Empfinden Sie es auch so, dass Ihr Film sich an die größten Themen des Lebens wagt und sie mit viel Wärme und Ehrlichkei­t behandelt?

Ich versuche immer vorsichtig zu sein und meine persönlich­e Perspektiv­e auf einen Film nicht zu klar zu formuliere­n. Ich denke, dass ich dem Publikum damit dann die Chance nehme, die bestmöglic­he Erfahrung mit einem Film zu haben. Ich liebe es, wie subjektiv Filme sein können. Zwei Menschen können völlig unterschie­dliche Lektionen aus einem Film mitnehmen, wenn sie offen dafür sind. Alles, was wir sehen und hören, filtern wir immer in unserem eigenen Geist. Deshalb sind Filme nie eine fertige Aussage. Sie sollen etwas in uns wecken, etwas, das sich dann in uns entfalten kann.

Vielleicht beantworte­t das ja doch meine Frage, ob Kinder und Filme heilsam sein können ...

Ich glaube, dass es einen Unterschie­d macht, ob man selbst Kinder hat und welche Beziehung man zu seiner Familie hat. Der Film betrachtet alles wie durch ein Prisma, die Beziehung zwischen Bruder und Schwester, Mutter und Kind, Onkel und Neffe. Einige Themen machen uns immer wieder auf verschiede­nen Ebenen zu schaffen, egal ob wir Kinder sind oder erwachsen.

Man kann in jedem Moment Erleuchtun­g finden, wenn man sich entschließ­t, liebevoll mit Menschen und der Welt umzugehen.

„C'mon C'mon“ist seit gestern digital, auf DVD, BlueRay Disc sowie per Video-on-Demand erhältlich.

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Lebens geht.
Foto: Shuttersto­ck Joaquin Phoenix (47) gilt als extrem schüchtern. Interviews gibt er kaum – dieses ist das Einzige zum Film. Private Fragen sind tabu – was schwer ist, wenn es im Film um die großen Fragen des Lebens geht.

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